Frauenlob. Der Roman eines jungen Mannes. Rudolf Stratz

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Frauenlob. Der Roman eines jungen Mannes - Rudolf Stratz


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wird meine Eltern gewiss freuen!“ sagte das junge Kind sittig mit seiner sanften, klaren Stimme.

      „Und Sie, Fräulein Françoise?“

      Die kleine Klosterfrau lächelte nur zur Antwort. Zum ersten Mal waren da ein paar Grübchen von Mutwillen in den feinen Zügen. Dann streckte sie die zarten zehn Fingerchen aus und wich erschrocken, mit einem halben Aufschrei zurück, sodass sie beide sich berührten. ,,Oh Gott — Man wird uns doch nicht hier über den Haufen galoppieren!“

      „Keine Sorge!“ Sascha Kersting benutzte die Gelegenheit. Er schlang in dem Aufschrei und der Flucht umher, den Arm um sie, und hielt sie schützend fest. Françoise Nezot schmiegte sich, mit halboffenem, rotem Mund, wie ein gescheuchtes Schäfchen an seine Brust. Niemand achtete auf die Zwei. Der Donner kam heran und brauste haarscharf an den Zuschauern vorüber. Die siebenten und zehnten Kürassiere ritten das grosse Schlussund Schaustück der Parade. Die Attacke in Karriere. Die Hufe dröhnten, die Helmkämme flatterten. Dann gellten alle Trompeten: Halt! Die Reiterwogen standen in langen, schimmernden Linien. Gerührtes Händeklatschen. Man brach auf. Sascha Kersting gab der kleinen Françoise träumerisch die Hand. Sie nahm sie sittig, mit einer leisen Abwehr, als habe sein Lächeln ihren Klosterfrieden versengt. Auf ihrem weissen, unbeschriebenen Gesicht wohnte der tiefe unschuldige Ernst eines Kindes. Er dachte sich: Es ist wahrhaftig eine kleine Heilige. Zugleich scheute neben ihnen das Pferd eines Wachtmeisters. Der Reiter plumpste zu Boden. Er tat sich nichts. Aber es sah komisch aus, wie der dicke Krieger verdutzt dasitzend um sich starrte.

      Und sie — die kleine Françoise — platzte mit den Anderen heraus. Lachte, wie nur eine Sechzehnjährige lachen kann. Bog sich vor Heiterkeit. Der übermut sprühte aus ihren Augen. Die frommen Lippen kicherten. Das spitzbübische Gesichtchen zuckte vor Entzücken. Und nun, wo aus dem Klosterschrein ein reizendes kleines Weib heraustrat und dies heilige Kind sich zu Blut und Leben wandelte, war es für Sascha Kersting ein Schicksals-Augenblick, und es wurde ihm eng und weit ums Herz, und er stieg wie ein Nachtwandler am Mittag zu den de Noutz in den grossen Familien-Landauer.

      Und in seiner Eckstube oben in Lyon kritzelte er heftig als Schluss des Briefs an die Cousine in Odessa:

      „Eben komme ich von der Soldatenspielerei zurück. Du — Katja — das ist eine schöne Geschichte! Also ich bin drum und dran, mich in diese junge Françoise zu verlieben! Wenn Du sie sähst, würdest Du meine Ekstase begreifen! Das alles — bei Françoise — ist noch ein holdes Wunder der Zukunft. Das Alles hat sich noch nicht erschlossen. Diese kleine Seele träumt noch. Diese zarte Knospe ist noch eingerollt in Winterfrost — Werde ich nicht ganz poetisch? — Das Alles ist noch nicht — das wird erst — das ahnt erst — das verspricht — das will zum Licht — zu mir! . . Ja! — Ja! . . Ich gefalle ihr. Ich weiss es — Ich sah es an ihren sanften Augen . . .

      Der Erste zu sein — auch geistig — einer Frau — Sie aus dem Pflanzenstand zum freien Menschentum emporzuführen — Oh — mon amie — sodass solch holdes Geschöpf dies zweite Leben unsereinem verdankt — ganz ein Werk meiner Hände — von mir geformt — mein Eigentum im schönsten Sinn . . . Wer könnte sich eines solchen unberührten Schatzes rühmen? Ich schliesse. Ich sehe schon Dein gewisses Lächeln. — Hélas! — Ich kenne Dich, Katja! Lies diesen Brief. Oder lies ihn nicht. Mache daraus, was Du willst. Dieser Brief gehört Dir. Dir muss ich alles schreiben, liebe kleine Mama! In diesem Brief fliegt meine Seele auf einen Sprung zu Dir nach Odessa. Nimm sie gut auf! Ewig Dein Sascha!“

      Der junge Deutsch-Russe rannte die sechs Stockwerke hinunter und warf den Brief an Katja Gebauer selbst in den Kasten. Das Schreiben nahm seinen Weg gen Osten. Es war ein glühend heisser bessarabischer Maitag, als der Postsack, in dem es reiste, in Odessa eintraf.

      Die, an die es gerichtet war, schwamm gerade in dieser Vormittagsstunde weit draussen vor der Stadt am Villenstrand im Schwarzen Meer, zusammen mit ihren Cousinen, den beiden Malbasá, der Presnjakowa, Fräulein Wollbaum, Mademoiselle Makri, Natalie Kobeko. Es war wie eine Herde grosser farbiger Fische — Goldfische alle — Töchter der internationalen Finanz von Odessa, die sich da schwimmend, spritzend und lachend tummelten. Katja Gebauer trug einen purpurnen Badeanzug mit purpurner Kappe. Er leuchtete aus dem tiefen Blau der Wogen. Dazu das Weiss der Arme und der Füsse. Man konnte die Glieder ruhig aus dem Wasser heben. Das Nass des Schwarzen Meers war so schwer, so salzgesättigt, dass es elastisch den Körper trug, wenn man windgeschaukelt auf dem Rücken liegend, über sich den stürmenden weissen Wölkchenflug am blassblauen Himmel sah. Katja Gebauer’s schönes, längliches, bräunliches Gesicht blinzelte träumerisch in den Schaumkämmen, als läge sie im Bett. Weisse Möven schrieen klagend über ihr. Abwechselnd stieg und schwand im Spiel der Wellen die nahe niedere Küste und wuchsen und sanken draussen, fern am Horizont, die schwarzqualmenden Schlote einiger grosser Dampfer. Eine Herde Delphine schnitt mit dunklen Kämmen in pfeilschnellem Tauchschwung durch die Fluten.

      Ein Schwall Seewasser sprühte Katja in das selbstvergessen an Licht, Luft, Sonne, Sein hingegebene Antlitz. Sie prustete, leckte sich das Salz von den Lippen, hob die dunklen, glänzenden Augen: drüben schnalzten noch ausgelassen die Schweinsfische und überschlugen sich triefend in der Luft. Aber die menschlichen Tummler hatten das Ufer aufgesucht. Vor den Badehüttchen, von denen Holztreppen zu den Gärten der einzelnen Choutors, der Sommer-Landsitze der Grosskaufmannschaft, hinaufführten, leuchteten farbige Punkte.

      Katja schwamm der Küste zu, landete vorsichtig, um nicht vom Prall der Brandung an eine der kleinen Klippen unter Wasser geworfen zu werden, und stieg ein paar Minuten später mit ihrer Freundin, der geschiedenen Kobeko, zum Akazien- und Tamariskenpark des Choutor’s Gebauer empor. Die beiden Damen trugen Strohschuhe und hatten lange Bademäntel umgeworfen. Es lohnte sich nicht, sich umzuziehen, für den kurzen Weg. Man musste zuhause ja doch gleich nach dem Seebad in eine Wanne voll Süsswasser steigen, um die prickelnde Salzkruste auf der Haut abzuspülen.

      „Also — ich lasse ihn dir, Katja!“ sagte die schöne Russin unterwegs aufgeregt auf deutsch.

      „Wen denn? Den alten tatarischen Gärtner da? Oder den Iswoschtschik dort vor der Türe?“

      „Er kommt! Aristide Murussi kommt! Er kommt ganz bestimmt heute zu Euch zum Frühstück!“

      „Wenn er kommt, kommt er wegen dir, Natuschka! Man kennt ihn doch! Er will mit dir sein Verhältnis fortsetzen!“

      „Und ist das gut? Ist das schön?“ Die reizende Russin mit den Rehaugen und dem unschuldigen, naiven Kindergesicht blieb beschwörend stehen. „Ich habe schon Verhältnisse genug gehabt — Katja — meine Taube . . .“

      „. . . und wirst noch mehr haben!“

      „. . . wenn Gott mich straft — ja!“ sprach schicksalsergeben die Schöne und wickelte sich gegen die Männer fester in ihren Bademantel. „Es kommt auf einen nicht an! Nimm ihn nur! Du hast meinen Segen!“

      „Du weisst doch, Schatz, dass ich keine Verhältnisse habe und nie gehabt habe!“ Katja pflückte sich zerstreut im Gehen einen Zweig mit weissen Akazienblüten und fächelte ihn vor der Nase und atmete den süssen Duft.

      „Bei der heiligen Dreifaltigkeit: nein! . . Aber würde Murussi denn mich heiraten? Wer heiratet denn mich?“ frug die Russin sittlich empört. „Eine Frau von meinem Ruf? . . . Hier gewiss nicht mehr! Ich muss zur Herbstsaison einmal hinüber in die Krim . . . Vielleicht, dass da . . . Diese Moskauer haben eine breite Brust . . . Sie sind nachsichtig . . Sie können ’was vertragen! . . . Aber dich will Aristide Murussi heiraten! Ich muss es doch wissen! Er frug mich doch um Rat! Meine Antwort war: ,Katja — nur Katja!’ “

      „Danke!“ sagte Fräulein Gebauer gefühllos.

      „Glaube doch mir — einer unglücklichen Frau, mit der die Männer spielen!“ Die schöne Madame Kobeko machte halt und tippte der anderen seelenvoll mit dem rosigen Zeigefinger auf die Brust. „Murussi sieht selbst ein, dass das nicht so weiter geht mit den Frauen und dem Spiel! Die Familie hat sich ins Mittel gelegt. Er hat bereits die Zigeunerinnen fortgejagt. Er ist jede Nacht schon um ein, zwei Uhr zuhause. Er bereut. Er geht vor Anker! Nun — er ist ja auch schon fünfunddreissig! Du zehn Jahre jünger. Er passt so gut zu dir . . .“


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