Frauenlob. Der Roman eines jungen Mannes. Rudolf Stratz

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Frauenlob. Der Roman eines jungen Mannes - Rudolf Stratz


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in Odessa, du dummer Junge . . .“

      Dies ,du dummer Junge‘ jetzt eben, wo er sich in kommendem Todesernst als Germanen-Jüngling fühlte — das brachte Sascha Kersting aus dem Häuschen.

      „Das ist ja die allgemeine Bêtise — bei Euch in Odessa . . . .“ schrie er wütend.“

      „Sascha — sei gefälligst nicht ungezogen gegen Papa!“

      Er kümmerte sich nicht um Katja’s Zwischenruf. Er stiess zornig weiter heraus:

      „Das ist ja das Verfluchte. — weswegen man dort zu nichts Rechtem kommt — zu nichts Höherem — weil Ihr keinen Schimmer von was Höherem habt! Immer ventre par terre! Immer der Rubel oder die Rente in Paris oder sonst ’n Dreck! An einem Abend wie heute . . .“

      „Ja — nenne nur dein mühsam von deinem Vater und Grossvater erworbenes Vermögen einen Dreck!“ sprach der Oheim leise und langsam, mit sehr matter Stimme. „Ohne diese vielen Rubel, mein Lieber, was wärst du dann? Was ist denn ein Mensch ohne Geld? Nichts!“

      „Schreib’ es dir nur hinter die Ohren!“ bekräftigte aus dem Hintergrund die geborene Abasá laut und tief.

      „Was würde denn aus dir ohne dein Geld? Ein Kommis, den man am Ersten wegjagt! Vielleicht würdest du nicht einmal dazu taugen — in deiner verträumten Art! Du müsstest dich auf der Steppe, bei den Kolonisten, als Drescher verdingen oder als Dwornik auf der Datsche!“

      „Ich seh’ dich förmlich Kohlensäcke unten im Hafen tragen, mit einem alten Sack überm Kopf als einzige Bekleidung!“ ergänzte Madame Gebauer strafend.

      „Ich sehe mich in allernächster Zeit ganz anders!“ sagte der junge Mann spöttisch. Sein Oheim blickte ihn einen Augenblick scharf an und machte dann eine müde, verabschiedende Handbewegung, während er in sich zusammengesunken dasass. „Bitte geh’ jetzt! . . . Auf morgen um acht! . . Ich bin heute ausser Stande, mich mit einem unreifen jungen Menschen deiner Art herumzustreiten!“

      „Ich lasse mich mit Wonne hinausschmeissen!“ Sascha verbeugte sich oberflächlich. „Diese Luft hier im Zimmer erstickt einen ja. ’Nacht, Katjuschka!“

      ,,Du — Ich heiss’ Katja — ohne zärtliche Verkleinerung!“ ,,Gute Nacht, Katinka! . . . Nacht . .! Nacht!“

      Sascha Kersting rannte tatendurstig davon. Er lief durch die engen finsteren Gässchen der Altstadt hinter dem Hotel, auf denen es heute zwischen den sonst so stillen, niederen Häusern von Leuten summte und wirrte, als ob die Bienen schwärmten. Aber man kam doch rascher vorwärts als in dem Gewühl der Hauptstrasse. Er stürmte an lärmenden, menschenüberfüllten Wirtschaften vorbei hinaus auf die Anlagen. Er nahm drei Treppenstufen auf einmal empor zur Ritterschen Wohnung. Die war leer. Der Professor hatte das Kanonenfieber. Er war, schon lange vor der Zeit, in voller Ausrüstung nach dem Bahnhof abgerückt. All die Seinen mit ihm. Nur das Elsche hütete das Haus. Der junge Mann machte sich eilig, mit hämmerndem Herzen, feldfertig. Er steckte den kleinen Revolver in die rechte Hosentasche, Knackwürste, Wasserweck und harte Eier in die linke, die Feldflasche in den Rock, die Karte von Frankreich in die Weste.

      „Also, Elsche: Auf dich verlass’ ich mich . . . Du verpetzt uns nicht . . .“

      „Und wenn sie mich in den Neckar schmeisse — ich halt’s Maul!“ rief das Kind.

      „Du kommst auf den Bahnhof hergesprunge und rufst, mein Onkel wär’ da — aber erst kurz bevor der Zug abgeht!“

      „Der Zug ist schon vorbeigekomme! Er hält auf dem Bahnhof. Der Pappa hockt sicher schon drin! Mach’ hurtig, dass du hinkommst!“

      Hermann Ritter sass in einem Wagen dritter Klasse des endlosen Zugs. Um ihn im Abteil noch drei Kollegen vom Gymnasium, angehende Samariter wie er. Die bebrillten; gefürchteten Schulgewaltigen schienen dem Sekundaner komisch verändert und fremdartig, kaum wiederzuerkennen in ihrer gleichmässigen, grauen Krankenpflegertracht. Er stand neben dem Albert draussen auf dem Bahnsteig in vielköpfigem Gedränge all der Familienmitglieder, Gross und Klein, bis zum Nesthäkchen und Kindermädchen, die dem ausreisenden vierblättrigen Kleeblatt von Professoren das Geleit zum Bahnhof gaben. Der ganze Bahnhof brauste, nächtig dunkel, von gelben Gaslaternen Punkten durchflimmert, vom Stimmengewirr des Menschengewoges. Hurrah!

      — klang es aus den Wagen. — Hurrah! hallte es auf dem Bahnsteig. Sedan . . . . Sedan . . .

      „In Frankfurt stehe die Leut’ zu viele Tausenden, Kopf an Kopf, auf der geil!“ verkündete ein Reisender, der vom Main-Neckar-Bahnhof kam. „Do hat’s welche drunter — die bringe unscheniert ein Hoch auf den König Wilhelm nach dem andern aus . .!“

      In Frankfurt, dem preussenhassenden — Eine Bewegung lief durch die Gruppe umher. Hier in Süddeutschland wusste man, was das hiess . . . In Frankfurt, wo in manchen Patrizierfamilien das Wort ,Bismarck’ bei Tisch nicht ausgesprochen werden durfte . . . .

      „Wirklich? . . Hoch auf den König von Preussen?“ frug einer zweifelnd.

      „Auf den Kaiser von Deutschland — du Rindvieh!“ rief der Reisende und kletterte in sein Abteil. Es durchschauerte Sascha Kersting. Er blickte verstohlen auf die Uhr. Noch eine Viertelstunde. Neben ihm raunte der Albert:

      „Also jetzt pass’ auf wie ein Schiesshund! Wir laufe auf den Ausgang zu und hinten um den Zug herum und steige fix drüben, auf der dunklen Seite, in den vorletzten Wagen — da wo die Pferdeköpf’ ’rausgucke! Die badische Dragoner helfe uns! Die haben’s mir versproche! Die verstecke uns unter dem Stroh!“

      „Ich komme eben aus Karlsruhe!“ meldete ein Herr aufgeregt seinen Freunden und allen umher, die es hören wollten. „Die Strassen schwarz! Alles geht nach dem Schlossplatz! Sie tragen Leut’ auf den Schultern voraus! Die schreien und verlangen die deutsche Einheit und das deutsche Reich . .“

      „Und wir kommen hinaus, wenn alles vorbei is!“ knirschte flüsternd der Albert. Sein Vater mahnte aus dem Abteil zu dem jungen Kersting hinunter.

      ,,Steck’ nur als ’mal in den Ferien die Nase in die Algebra! In den Differential- und Integral-Rechnungen — klagt der Kollege Gärtner da — bist du noch arg zurück!“

      „Gewiss doch!“ sagte der junge Deutsch-Russe zerstreut. Herrgott — wo blieb denn das Elsche? Noch zehn Minuten — noch fünf — Er wechselte einen besorgten Blick mit seinem Genossen. Da hörte er eine helle, durchdringende Kinderstimme:

      „Lasse Sie mich durch! . . Lasse Sie mich um Gotteswille durch! Es bressiert!“ Es arbeitete sich etwas mit spitzen Ellbogen durch das Gedränge. Ein bildhübsches Kindergesicht mit Kecker. Stupsnase und zerzaustem Flachshaar tauchte auf. Spitzbübisch glänzten die blanken, hellbraunen Augen. Ein mageres, rotes Fäustchen winkte wild.

      ,,Sascha — spring! Dei’ Onkel is da — der Russ’! Er hat die ganze Chais’ voll Zigarre! . . . Helf’ ihm trage! Der Albert auch!“

      Ihr Bruder hatte sich schon im Laufschritt in das Gewühl gestürzt. Sascha Kersting hinterher. Ein paar dicke Männer versperrten ihm den Weg. Er musste um sie herum. Er kam von dem Albert ab. Er dachte: Hoffentlich wartet et hinten am Zug. Der Zug nahm kein Ende. Da . . Gottseidank . . kam der Schlusswagen . . . Gewonnenes Spiel, wenn man um den herum in das Dunkel getaucht war! Dann hatte man den Geist des Onkels nicht umsonst beschworen . . .

      Seinen Geist . . .?

      „Oh . . pardon!“ sagte Sascha Kersting und wollte flüchtig weiter, ohne den alten Herrn erst anzusehen, der ihm durch Ungeschick plötzlich in den Weg getreten war. Da fühlte er sich am Ärmel festgehalten. Er drehte sich um. Er prallte zurück.

      „Himmelherrgott — Onkel . . !“ keuchte er.

      „Wo willst du hin?“

      „Das geht dich einen Dreck an!“ Sascha versuchte wütend sich loszumachen. Aber der alte Herr liess nicht locker.

      „Mich, deinen Vormund? . . . Ich bin vielleicht dumm! Aber so dumm, wie du glaubst, doch nicht! Du hast mir schon den ganzen Nachmittag nicht gefallen!


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