Frauenlob. Der Roman eines jungen Mannes. Rudolf Stratz

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Frauenlob. Der Roman eines jungen Mannes - Rudolf Stratz


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Grossmama . . .“

      Katja gab ihm schmerzlich lächelnd einen Klaps.

      „Dich werd’ ich schon noch bemuttern! Also auf gute Freundschaft!“

      „Einen Kuss darauf!“

      Sie standen an dem einsamen Wirtshaus „Zum schwarzen Schiff“ am Neckarufer. Niemand war in der Nähe. Katja beugte sich vor und küsste den Vetter langsam nach russischer Art auf die Stirne. Ihn durchschauerte die Berührung des warmen Frauenmunds.

      „Das ist kein weltlicher Kuss!“ erklärte sie. „Das ist ein Weihekuss fürs Leben! Sascha . . . Sascha . . . Ich fürchte, dein Leben werden die Frauen sein! Du siehst mir ganz danach aus! Nun komme . . . Wir wollen zur Fähre da hinunter und nach Heidelberg, zurück!“

      Am andern Ufer winkte sie einer da haltenden Droschke.

      „Ich werde den Fuhrmann nehmen und ins Hotel fahren!“ sagte sie schnell. „Auf Wiedersehen nachher!“

      Sie stieg ein. Es schien, als hätte sie Eile, von dem kleinen Vetter wegzukommen. Er blickte ihr, verzückt und wehmütig lächelnd, mit einem glücklichen Schimmer in den Augen, nach und bummelte dann, versonnen wie ein Mondscheinwandler, seiner Wohnung zu.

      In Heidelberg war immer Lärm und Leben. Am Feierabend erst recht. Die Kinder zeterten. Die Hunde kläfften. Die Fuhrleute knallten. Die Räder rasselten. Die Luft dämmerte in Glut und Staub. Der Sommerabend war drückend schwül. Die Gassen wimmelten schwarz von Menschen. Die Erregung der Zeit zitterte unsichtbar über ihnen. Sascha Kersting schob sich nachlässig durch die stehenden, schwatzenden, erhitzten Gruppen. Er lächelte, in Gedanken schon vor Paris und heute hier schon heimlich ein

      Held, mitleidig über die wichtigen Mienen der Spiesser. Vom Bahnhof kamen zwei, die nicht Philister waren: Ein höherer württembergischer Offizier und ein preussischer Johanniter, Eine Dame der Gesellschaft eilte in wippender Krinoline quer über die Strasse auf sie zu. Ihr Gesicht zeigte atemlose, verhaltene Spannung. Der Sekundaner vernahm, wie sie leise frug:

      „. . Nun?“

      „Pscht . . . Exzellenz . . .“

      „Neues?“

      „Es liegt etwas in der Luft . . . seit gestern . .“

      „Ich weiss . . Ich weiss . . .“

      „Aber noch keine amtliche Nachricht . . .“

      „Graf . . Mir können Sie doch . . .“

      „Es ist so ungeheuer . . . Man wagt es nicht auszusprechen . . aus Furcht, es zu verscheuchen . . . Die nächsten Stunden müssen ja Gewissheit bringen, Exzellenz!“

      Sascha Kersting hatte es nur halb gehört. Er dachte sich zerstreut: Wahrscheinlich haben wir wieder irgendwo gesiegt! Wir siegen ja immer! Aber nun wartet gefälligst mit dem weiteren Siegen, bis ich draussen bin und mithelf’! Er stieg die Treppe zur Ritter’schen Wohnung empor. Oben, im offenen Vorderzimmer, stand der Professor, tiefbrünett, wohlbeleibt, feurig-fremdartig und abenteuerlich wirkend in seiner schon angelegten Krankenpfleger-Ausrüstung. Nur die goldene Brille erinnerte noch an den Schulmann. Hermann Ritter liess sich eben von seiner Frau die Genfer Binde um den Arm heften. Er sang dabei tatenlustig mit seinem schönen, weichen, hellen Tenor das neue Kutschke-Lied: „Was kraucht dort in dem Busch herum? — Ich glaub’, es ist Napolium!“

      Vom Vorplatz musterte der junge Mann seinen begeisterten Mentor drinnen melancholisch und vielsagend lächelnd und dachte sich: Du wirst dich wundern, wenn du plötzlich in dem Sterbenden draussen, über den du dich beugst, mich erkennst . . . .

      Dann tauchte aus dem Zwielicht eine kleine Gestalt neben ihm auf: Das Elsche! Es war alles für die Flucht besorgt! Die Sparkass’ leer!

      „Jetzt könnt Ihr unscheniert wedder die Turko’s!“ wisperte die Kleine aufgeregt. „Herrgott — wenn ich bloss e Bub’ wär’! Die Bube habe ’s ’mal gut!“

      „Und weisst . . .“, die Dreizehnjährige schlich fiebernd neben ihm den Gang entlang und öffnete ihm seine Kammertüre. „Ich tät’s jetzt mache wie der Albert nebenan und mich hinlege und e bissche penne . . . Ihr müsst Kräfte sammle! Heut’ Nacht habt Ihr’s nit kommod’ im Güterwage! Und morge müsst Ihr vielleicht schon kämpfe! Es is doch so e mordsgrosse Schlacht drausse . . sagen alle!“

      „Aber weck’ mich zur rechten Zeit!“ Der junge Mann warf sich aufs Bett und gähnte. „Ich verlass’ mich drauf!“

      „Ich weck’ dich! Da beisst kei’ Maus e Fädle ab!“

      Das Kind schloss vorsichtig die Türe. Und Sascha Kersting schloss die Augen und schlief ein.

      Es war ein unruhiger Schlummer. Wirre Träume. Ganz verrückte. Die Cousine Katja war auf einmal auf dem Schlachtfeld für Deutschland gefallen! Er, der Sascha, trug sie eigenhändig weg. Sie war federleicht wie ein Kind. Und da war irgendwo der Professor. Krankenpfleger. Mit der Binde am Arm. Eigentlich spielte das alles übrigens daheim in Heidelberg. Da lag die Katja, drüben in der guten Stube von den Ritters, und war tot. Das heisst: Das war jetzt der grosse blaue Salon in dem einstigen Elternhaus auf dem Alexander-Prospekt in Odessa, an der Ecke des Basars, und die Katja war weg, und der selige Vater kam rasch herein und war sehr unruhig, und draussen schwoll ein furchtbarer Lärm. Russland war sonst immer so still. Die Russen machten keinen Spektakel. Nur, wenn sie, alle zehn Jahre einmal, in Odessa die Juden totschlugen! Das war der Pogrom — ein Erinnerungsbild aus Sascha’s Kinderjahren — ein unbestimmtes Brausen auf den Gassen — tausendstimmige Rufe — gellende Aufschreie . . Urrahá! . . Urrahá! . . Das Schlachtgeschrei plündernder Muschiks . . Lasse mich doch! Du siehst doch! Ich bin kein Hebräer . . . .

      Sascha Kersting murmelte es unwillig im Traum. Aber es zupfte ihn etwas beharrlich weiter am Ärmel, und er schlug schlaftrunken die Augen auf und sah vor sich das Elsche stehn und schaute dann auf seine Taschenuhr und frug verwirrt sich aufsetzend:

      „Was geht denn dir bei? Ich hab’ ja noch kaum eine halbe Stunde geschlafen . . .“

      Aber das Kind rüttelte ihn wild weiter, um ihn ganz wachzukriegen! Und sonderbar: Das Toben des Pogroms draussen war geblieben. Wie Meeresrauschen drang, durch die offenen Fenster, von unten ein ungeheueres Stimmengewirr in das halbdunkle Zimmer — aber keine Laute der Wut — der Angst — keine wilden Heultöne Betrunkener — Es klang wie ein Jauchzen und Jubeln — helle Rufe von Frauen — glückseliges Massengeschrei von Kindern . . . Es flutete herein . . . Es füllte den Raum. Sascha Kersting sprang vom Bett. Schaute sich ungläubig um.

      „Was ist denn los?“ frug er. Und die Kleine meldete, am ganzen Körper zitternd:

      „Sie haben den Napoleon mit seinem ganzen Heer gefange!“

      Der junge Mann legte ihr kopfschüttelnd die Hand auf den Flachsscheitel.

      „Gelt — du bist verrückt geworden?“

      „Aber sie sage ’s doch alle . . .“, verteidigte sich das Elsche atemlos. „Gestern. Bei Sedang!“

      „Es ist doch nicht der erste April, Kind!“

      „Es kumme gleich doch Extrablätter ’raus! Sie schlage ’s doch schon bald an den Strassenecken an . . .“

      „Hurrah! — Hurrah!“ brauste es von unten, von der Strasse. Sascha Kersting legte die flachen Hände an die Schläfen und starrte das Elsche Ritter an. Die warf sich in die Brust und nickte stolz zu ihm hinauf.

      „Wir haben den Napoleon gefange! Gell — Alterle — do guckschte!“

      Zugleich stürzte ihr Bruder, der Albert, von nebenan herein, Tränen in den Augen. Wütend. Er schmiss sich auf einen Stuhl und feuerte seine Kappe mitten auf den Fussboden.

      „Das kommt von dem Getrödel, dass wir gewartet habe, bis der Pappa weg ist!“ knirschte er. „Jetzt komme wir zu spät! Sie haben den Napoleon schon! Der Krieg is gar!“

      „Wer weiss . .“

      „Meinst du?“ Albert


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