Frauenlob. Der Roman eines jungen Mannes. Rudolf Stratz

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Frauenlob. Der Roman eines jungen Mannes - Rudolf Stratz


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trat, ohne zu antworten, interessiert an das Fenster. Ein Haufen Jungen marschierte heran. Ein Halbdutzend von ihnen zog einen Handkarren, auf dem getragene Stiefel, Wäsche, Hosen, Kissen, Pferdedecken lagen. Die anderen liefen nebenher und tobten: Hurrah! Hurrah!

      „Warum kreischt Ihr denn so, Ihr Bube?“ rief Sascha hinunter. Er konnte ganz gut pfälzisch.

      „Ha — wir kreische halt . . .“

      ,,Is denn ’was Extra’s bassiert?“

      „Nix! Wir hawwe Liebesgabe geholt . . bei den Bauern, drüwwe in Handschuhsheim . .“

      „Da seht Ihr die Stimmung!“ Sascha Kersting wandte sich lachend in das Zimmer. „Die Bengel brüllen auf alle Fälle Viktoria! . . . . Erbarmen Sie sich, Frau Professor . . . Was ist denn los?“

      Frau Käthchen Ritter war in heller Aufregung vom Flur hereingestürmt und prallte erschrocken zurück.

      „Ah — ich hab’ gedenkt, mein Mann wär’ da . . .,“, entschuldigte sie sich. Zugleich trat schon der Schulmann, der ihre Stimme gehört hatte, hinter ihr über die Schwelle. Sie packte ihn am Arm und riss ihn, schluchzend vor mütterlichem Zorn, ans offene Fenster.

      „Da guck’ hinunter, Hermann! da hast deine Tochter! Noch nit mehr wie dreizehn und nit zu regieren! Mit sellem Früchtche sind wir gestraft! Seit dem Mittagessen such’ ich’s Elsche wieder wie ’ne Stecknadel und sind’ sie nit! Und jetzt — da unten — da kummt mei’ Mamsellche mit dene Lausbube anmarschiert!“

      Ihr Mann musste erst seine Brille aufstülpen und blinzelte aus seinen feurigen Braunaugen unsicher auf die tobende Schar. Frau Käthchen weinte hellauf.

      „Der Neckarschleimer da, der am wildesten schreit und springt — das ist das Elsche! Sie hat sich wieder heimlich die Hose vom Karlche angezogen und is als Bub ’naus in die Welt . . . . Siehst sie noch nit, Hermann? der Bub, der wo alleweil im Rinnstein Rad schlägt und mit den Beinerche in der Luft zappelt — das is dei’ Tochter!“

      Der Professor flog beleibt und behende mit flatternden Rockschössen die Treppe hinab. Sascha lächelte amüsiert. Er war hier in der Bürgerfamilie der grosse junge Herr, der die Sache manchmal als Menagerie betrachtete.

      „Das Elsche ist ein Maladjétz!“ erläuterte er den deutschrussischen Verwandten. „Ein verfluchter, kleiner Taugenichts! Ein fixes Mädel! . . . Da bringt der Papa den Ausreisser!“

      Hermann Ritter beförderte seine Tochter erbost am Schlafittich die Treppe hinauf, indem er sie zugleich erzieherisch mit der flachen Linken auf die behoste Kehrseite klapste. Im Wohnzimmer pflanzte er sie hin. Das Elsche stand atemlos da, in ihren Bubenhöschen, dreizehnjährig, lang, mager wie ein Hering. Semmelblond. Eine Stupsnase und zwei lustige, hellbraune Augen in dem hübschen Gesichtchen. Sie stemmte die roten Händchen in die Seite und schaute die Eltern erhitzt und unbefangen, freundlich fragend, an.

      „Der grösste Gassebub’ von Heidelberg!“ Die Mutter riss ihr erzürnt die Mütze vom Kopf. Ein gerolltes Rattenschwänzchen von Zopf kam zum Vorschein und fiel mit dem zerkauten Ende über die hageren Schultern. „Ich möcht’ nur wissen, wie ich zu der Tochter komm’!“

      „Ich war doch nur mit den Buben in Handschuchsheim!“ sagte das Elsche weinerlich. Sie hatte eine feine, helle, unschuldige Kinderstimme.

      „In Hose! . . Ja — schämst dich denn gar nit, du Malefizkrott?“

      „Sonst hätte mich doch die Bube nit mitgelasse! ,Kleine Mädche sind Rindviecher;’ — sage sie als! Ich hab’ doch trommele müssen, Mamma! ’s kann’s keiner von den Buben! Vor jedem Haus habe wir so lang getrommelt, bis die Bauern ’was für die Verwundeten hergegebe habe.“

      Die Wangen der Kleinen glühten vor Eifer. Der Vater war halb besänftigt.

      „Marsch! Zieh dir jetzt eine Christenkleidung an!“ sagte er und schob sie zur Tür hinaus. „Entschuldigen nur die Herrschaften die Störung! Komm’, Käthchen!“

      Das Ehepaar verschwand. Sascha war wieder mit den Verwandten allein. Er wartete, mit einer müden Ergebung, an die Wand gelehnt und zur Decke starrend, ob die Besucher nicht jetzt auch den Rückzug antreten würden, und frug dann, als seine Hoffnung sich nicht erfüllte, ironisch:

      ,,Na — Onkel! Was macht denn der Frankenkurs?“

      „Sascha — ärgere nicht mutwillig deinen Onkel mit Geschäftsverlusten!“ rief Madame Gebauer zürnend.

      „Der Frankenkurs . . . . lieber Neffe . .“ Der Kaufherr räusperte sich trocken. „Nun . . Soviel weisst du von Geschäften, dass Nostro-Forderungen auf dem Pariser oder Lyoner Platz zurzeit notleidend sind. Verluste im Geschäftsverkehr mit Frankreich sind im Augenblick unvermeidlich, solange sich nicht das Kriegsglück endgültig auf Seiten Napoleons wendet!“

      „Na — Onkel Ottinka — da wirst du noch dein blaues Wunder erleben!“

      „Von diesem Ausgang der Affaire bin ich überzeugt. Die Folge wird in den nächsten Jahren eine stürmische Belebung des französischen Markts und damit auch unseres Geschäfts mit Lyon sein. Du, Sascha, wirst dort davon in erster Linie profitieren!“

      „Päh!“

      „Einen klaren Kopf bewahrt in solch aufgeregten Zeiten nur der Neutrale am dritten Ort! . . Hm . . . Wir sind nämlich auf dem Wege in die Schweiz . . .“

      „Wann fahrt Ihr denn? Heute Abend noch?“ erkundigte sich Sascha angelegentlich. Er näherte sich und wurde unversehens ein recht freundlicher und umgänglicher, um die Verwandten liebevoll besorgter Neffe.

      „Erst morgen früh!“

      „Das ist doch immer das russische Getrödel!“ Der enttäuschte junge Mann warf einen ungeduldigen Blick zum Himmel. „Was wollt Ihr denn hier in Heidelberg? Niemand rief Euch! Fahrt doch! z’ bogóm!“

      „Ich warte bis morgen . . .“

      „. . z’ bogóm! . . z’ bogóm!“

      „um dir Zeit zu lassen, Sascha, deinen Koffer zu packen! Denn du wirst uns auf der Reise begleiten.“

      „Fällt mir nicht ein!“ sagte Sascha gleichmütig, fast im selben Atem, als hätte er es schon erwartet.

      „Warum nicht!“

      „Ja — wie denn?“ Der Neffe machte eine lebhafte und unbestimmte, Arbeitsüberhäufung und Verantwortung andeutende, russische Bewegung mit den Händen. „. . weil ich hier zu tun habe!“

      „Es sind Ferien!“

      „Es gibt höhere Pflichten!“ belehrte scharf der junge Mann, stehend von oben herab den vor ihm sitzenden Onkel Ottinka. „Das weisst du bloss nicht, weil Ihr in Odessa ausser der Weizen-Notierung keine Ideale kennt!“

      „Odessa ist deine Vaterstadt! Wir, deine Verwandten, sind dort die angesehensten Leute . . .“ Der kleine Ehrenbürger machte einen Versuch, energisch zu werden. „Wie kannst du dir erlauben, du junger Bube . . .“

      ,,Also lassen wir Odessa!“ Der junge Mann beschrieb nachgiebig, eine Hand halb in der Hosentasche, mit der anderen einen Kreis in der Luft, so ungefähr um Europa herum, „sagen wir überall in unserer Welt, wo man an’s Geld denkt — ob das nun Lyon heisst oder London oder Wien — überall sind wir hoffnungslos die gleichen Leute . . . Es ist ja total wurscht, ob wir uns in Rubel oder Gulden oder Pfund Sterling umrechnen — wir liegen alle ganz egal mit der Nase am Boden . .“

      „Hast du je deinen Onkel in solch einer unpassenden Stellung gesehen?“ rief Madame Melanie Gebauer empört. Der Neffe beachtete ihr fremdartiges Deutsch so wenig, als hätte das Schosshündchen gekläfft. Er belehrte überlegen lächelnd und vertraulich den alten Grosskaufmann, während doch schon wild die Schwärmerei in seinen braunen Augen aufstieg.

      ,,Euch fehlt nämlich ganz einfach der Sinn für das Höhere! Sieh’ mal, wie die Katja sich bei meinen Worten aufrichtet und die Ohren spitzt . . . Die Katja ist, scheint’s, auch meiner


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