Frauenlob. Der Roman eines jungen Mannes. Rudolf Stratz

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Frauenlob. Der Roman eines jungen Mannes - Rudolf Stratz


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      „Wir können ja auch gar nichts tun als Geld machen! Denn wir dürfen ja gar nichts anderes machen. Denn wir sind ja überall auf der Welt nur zu Gast. Wir dürfen froh sein, dass wir nicht überall ’rausgeschmissen werden!“

      „Wir?“ frug der alte Ehrenbürger entsetzt.

      „Ja. In Russland sind wir Deutsch-Russen und müssen tun, was die Russen wollen! Und in England sind wir Deutsch-Engländer und müssen tun, was die Engländer wollen — und in Frankreich — Deutsch-Franzosen gibts’ ja gar nicht! — und wir kriegen in Paris und Lyon das Kunststück doch fertig!“

      „Unsere französischen Verwandten, mein Lieber, sind Firmen ersten Ranges!“

      „Weil wir nichts Ganzes sind. Deswegen kommen wir zu nichts — im höheren Sinn — meine ich — Uns fehlt das Beste! Dal Guck! Die Katja weiss das auch! Die springt auf und klatscht in die Hände! . . . Die Katjinka — das scheint mir der einzige vernünftige Mensch unter Euch!“

      „Katja . . setz’ dich!“ sprach Madame Gebauer leidend.

      „Die Deutschen hier in Deutschland tun eben jetzt selber, was sie wollen!“ schrie Sascha, mehr zornig als begeistert. „Der Bismarck zeigt’s ihnen, wie man’s macht! Und ich bin ein Deutscher! Und ich mach’ mit!“

      „Um Gottes willen!“ stöhnte die geborene Abasá.

      „Tante — du stammst von den Wilden! Du kannst überhaupt nicht mitreden!“

      „Hast du’s gehört, Otto? — Ah — je m’évanouis!“

      „Er hat doch ganz recht, Mama!“ rief Katja, die Tochter, dazwischen. „Wir haben doch von deiner Seite nicht nur Levantinerblut — sondern auch von russifizierten Tataren-Fürsten — da irgendwo hinterm Don . . wo die Welt ein Ende hat . .“

      „Es gibt Wunder in der Welt!“ rief der Jüngling stürmisch. „Die stehen nicht in Euren dummen Hauptbüchern! An die Wunder muss man glauben! Sonst wird einem das Leben zu langstielig! Auf die Wunder von oben muss man warten! . . . Gelt — Katja — So was Feierliches spürst du manchmal auch? Schaut nur, wie ihre Augen leuchten . .“

      „Katja . . du hältst den Mund!“

      „Ich brauche ja gar nicht zu sprechen, Papa!“ sagte die junge Odessaerin. „Der Sascha tut’s ja schon! Der redet mir aus der Seele!“

      „Als ob du dich je für die deutsche Einheit interessiert hättest, Katja!“ ächzte die Mutter.

      „Nein. Gewiss nicht. Davon versteh’ ich nichts. Das meint der Sascha auch gar nicht! Er meint nur, dass überhaupt etwas über uns ist!“

      „Ganz recht, Cousine! . . Du bist ein Mädchen! Du könntest ja doch nicht für Deutschland kämpfen. Deine Wunder werden von anderswo kommen! Aber ich bin ein Mann! Ich . .“

      „Sechzehn Jahre bist du alt! Ein dummer Junge bist du . .“

      Sascha Kersting wurde plötzlich wieder gelassen und nachsichtig. Er nickte dem Oheim zerstreut zu.

      „Fahre nur in die Schweiz, Onkel! Da gehörst du hin! Du bist kein deutscher Mann.“

      „Ich bin Bankier in Odessa!“

      „Ja. Da kannst du ja auch schliesslich nichts dafür!“

      „Danke du deinem Schöpfer täglich auf den Knien, dass dir dein Vater eines der grössten Vermögen von Odessa hinterliess!“

      „Ich finde es ja auch recht angenehm!“ sagte der junge Mensch nervös. „Aber ich habe jetzt keinen Sinn dafür! Das ist doch nur die Grundlage, Onkel Ottinka! Der Ausgangspunkt! An dem . . .“, er machte eine bedauernde Schulterbewegung, „trennen sich unsere Wege! . . Viel Vergnügen in der Schweiz! . . Adieu, Katja! du hast mir kolossal gefallen!“

      „Du wirst hier im Zimmer bleiben . . .“ befahl der Oheim.

      ,,Auf Wiedersehen!“ Sascha öffnete die Flurtür.

      „. . und es nicht verlassen, bis wir zu Ende sind!“

      „Da swidanje!“ sagte der Neffe gleichgültig und höflich und drückte die Türe hinter sich ins Schloss. Draussen flog er, im Vorbeiflitzen die Mütze vom Haken reissend, den Gang entlang, ehe der Onkel etwa Miene machte, nachzukommen! Draussen auf dem Treppenabsatz lauerte, wie ein kleiner Indianer auf dem Kriegspfad, das Elsche. Sie trug jetzt Jungmädchenkleidung. Ein Jüngferchen in zu kurzem Rock, der einen langen dreieckigen Riss aufwies und die Storchens beine bis zum Knie zeigte. Die Stiefelabsätze waren schief getreten. Ein Strumpf über die blosse Wade gerutscht. Sascha beugte sich zu dem Ohr der erwartungsvoll, in glühendem Tatendrang, zu ihm aufschauenden kleinen Vertrauten.

      „Horch, Elsche! Also wir können nicht erst übermorgen auskneifen — auf den Kriegsschauplatz hinaus — dein Bruder und ich so wie wir’s vorhatten — wenn dein Vater heut’ abgedampft ist und die Luft rein! Der Albert und ich müssen heut’ schon weg — wie’s auch geht! Sonst heimst mich mein Onkel ein!“

      „Ei — mir könnt’ doch der alte Stockfisch den Buckel ’naufsteige!“ meinte die Dreizehnjährige geringschätzig.

      „Ich bin doch Ausländer, Elsche! Ich bin doch minderjährig! Wenn er auf die Polizei läuft und an den russischen Konsul in Karlsruhe telegraphiert, riskiere ich, dass ich ausgewiesen werde und mit ihm in die Schweiz hinüber muss! Also, Elsche: Jetzt besorgst du bis zum Abend Knackwürste, Brot, harte Eier für unterwegs . . . Geld hast du ja!“

      „Ich hab’ doch heimlich mei’ Sparbüchs’ zerschlage!“ sagte das Kind glücklich. „Drei Gulden und einundfünfzig Kreuzer. Das gehört alles für Euch!“

      „Für den Albert! Ich hab’ ja! Aber wir brauchen Mittel, um uns als Kriegsfreiwillige auszurüsten! Du musst uns heute überall zur Hand gehen!“

      „Ja . . Ja . . .“

      „Du mussst Posten stehen, wenn wir uns aus dem Haus schleichen und unauffällig vorher ein paar Einkäufe besorgen. Eine Feldflasche . . und eine Karte von Frankreich — sag’, es gehörte für deinen Vater . . .“

      „Ja . . ja . . Ich bin nit so dumm, wie ich ausschau’!“ beteuerte das Elsche.

      „Und jetzt muss ich nur schnell den Albert . . . hast du ’ne Ahnung, wo der Albert steckt?“

      „Im Museum!“

      ,,Da spring’ ich gleich hin . .“

      Sascha Kersting rannte durch Heidelberg. Rotgelbe Fahnen hingen aus den Häusern in den sonnigen Anlagen und in der finstern Plöck. An deren Ende träumte das alte, winklige Gymnasium im Sommerschlaf mit geschlossenen Läden. Grau ragte das mittelalterliche Gemäuer des Hexenturms aus seinem Hofe, der schattige Garten der Museumsgesellschaft schloss sich unmittelbar an. Im grossen Saal zur ebenen Erde, in dem im Winter die Honoratioren das Tanzbein schwangen, sass, an der Quertafel im Hintergrund, die Grossherzogin Luise von Baden, die Tochter König Wilhelms, mit ihrem Stab von Damen. Die Damen rechneten, schrieben, sortierten, packten die Liebesgaben. Liebesgaben lagen in Haufen auf allen Tischen des Saals vor der Menge quittierender junger Mädchen. Es war ein ständiges Kommen und Gehen von Bürgern und Bauern, Professoren und Stadtvätern, Ärzten, Krankenschwestern, Gymnasiasten. Ein Gedränge Tür aus, Tür ein. Es dauerte eine Weile, bis der junge Kersting seinen Mit-Pennäler Albert entdeckte. Er zog ihn mit sich hinter ein Gebirge von weissgezupfter Charpie, das sich mannslang und halb mannshoch auf einem Nebentisch türmte, und erstattete ihm flüsternd Bericht: Der Onkel aus Odessa verrückt . . Die Schweizer Gefahr morgen unabwendbar . . Also Flucht auf den Kriegsschauplatz absolut noch heute nötig — als blinde Passagiere . . . mit dem grossen Militärzug, der jeden Abend um zehn Uhr von Würzburg kam und nach Frankreich weiterging.

      „In dem Zug hockt ja heut’ mein Pappa, Sascha!“

      „Der merkt doch nichts!“ sagte der junge Deutsch-Russe trocken. „Im Gegenteil . . das trifft sich ja gerade zum Händefalten gut: Heute können wir ohne Aufsehen abends aus


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