Frauenlob. Der Roman eines jungen Mannes. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.ich es nicht tu’ . . .“
„. . . so rufe ich die Gensdarmen!“
Einer der Gensdarmen am Bahnhofseingang war schon misstrauisch herangetreten. Der alte Grosskaufmann wandte sich atemlos an ihn, während sich rasch eine Menschengruppe um sie sammelte.
„Herr Isprawnik — ich weiss nicht, wie ich Sie in Deutschland nennen darf . . . Dieser junge Mensch ist Waise . . . Mein Mündel . . . Ich bin für ihn verantwortlich . . Er zählt sechzehn Jahre und will dabei heimlich, fürchte ich, hinaus ins Feld!“
Der Wachtmeister war ein Mann der Praxis. Er fasste Sascha Kersting ohne weiteres in die Taschen und beförderte deren Inhalt an das Licht der Gaslaterne.
„Knadwürscht’? Um zehn Uhr nachts? E Feldflasch’? No . . no! E Kart’ von Frankreich? Gud emoll . . . E Schiessprügelche? . . . Du liebe Zeit . . .“ Er schüttelte väterlich den schnurrbärtigen Kopf. „Dees müsse Sie sich aus dem Sinn schlage! Frankreich is kei’ Kindergarte! So junge i Bürschche kann man draussen nit brauche!“
„Wollen Sie aus meinem Pass hier ersehen,“ sagte Otto Gebauer, „dass ich kaiserlich russischer Untertan bin! Mein Neffe hier ist es auch . . .“
„Sind Sie russischer Staatsangehöriger?“
„Ja“, versetzte Sascha Kersting trotzig.
„. . und ich brauche einen höheren örtlichen Beamten wie Sie nicht erst darauf hinzuweisen,“ fuhr der alte Odessaer leise und höflich fort, „dass die Teilnahme eines jungen Ausländers am Krieg die peinlichsten politischen Folgen nach sich ziehen müsste . .“
„Das hätt’ sich der junge Mann aber auch selber sage könne . . .“, meinte der Gensdarm strafend, „. . wenn einer halt schon emal e Russ ist . . .“
„Er sagt es sich eben leider, wie Sie sehen, nicht! Ich habe keine Autorität über ihn! Ich bitte Sie, Herr Viertelsmeister, ihn mit mir in seine ganz nahe gelegene Wohnung zurückzuführen.“
Die Drei waren langsam in die Nacht hinein verschwunden. Der Zug war abgefahren. Auf dem Bahnhof stand, die Hände in die Seite gestemmt, das Elsche kampflustig wie ein kleiner Gickelhahn vor der entsetzten Familie.
„Ätsch — den Sascha habt Ihr! Aber den Albert nit! Ich sag’s nit, wo er hin is, Mamma!“ Sie stampfte mit dem Fuss. „Um’s Totschlage nit’. Ich bin tapfer! Da könnt Ihr mit mir mache, was Ihr wollt!“
„Wart’ nur, wenn wir daheim sind!“
„Ich sag’s nit! Ich hopps’ lieber aus dem Fenster ’nunner! Wenn ich e Bub’ wär’, wär’ ich auch gleich mit!“
Die Augen der Kleinen glänzten fanatisch. Die Mutter trocknete sich aus den ihren ein paar Tränen.
„Fürchten könnt’ man sich vor dir!“ sprach sie bekümmert. „Ich weiss nicht, wie ich zu so einer wilden Krott’ als Tochter komm’! . . . . . .“
Sascha Kersting lag in seinem Zimmer angekleidet auf seinem Bett, das Gesicht in den Kissen vergraben. Er schluchzte. Sein Körper zuckte. Die Fenster waren geschlossen. Das Pennälerstübchen mitternächtig still. Im Schein des Studierlämpchens sass Katja in Hut und einem langen, mantelartigen, weissen Abendschal, geduldig wie eine Krankenpflegerin, auf dem löcherigen Strohstuhl neben seinem Lager. Sie neigte sich vor und strich ihm mütterlich die wirren Haare aus der Stirn.
„Nun hast du genug geweint“, sagte sie leise. „Nun musst du einmal aufhören.“
Aber er flennte weiter. Er war gebrochen. Sie streichelte ihn. Sie flüsterte ihm ins Ohr:
„Kopf hoch, Sascha! Sei ein Mann!“
„Ich darf ja noch kein Mann sein . . .“, kam es erstickt aus den Kissen. „Ich darf ja noch nicht kämpfen! Wie einen dummen Bub schaffen sie einen vor allen Leuten heim!“
„Dein Onkel Ottinka meinte es gut mit dir!“
„Ich mag keinen Onkel Ottinka haben! Ich hab’ keine Eltern! Ich hab’ keine Geschwister! Ich hab’ kein Vaterland! Ich hab’ nichts . . Nichts . . . Nichts . . .“
„Deswegen bin ich ja zu dir gekommen, Sascha!“ sprach Katja Gebauer sanft. „Damit du einen Menschen um dich hast! Siehst du — da sitze ich — schon seit Stunden — und rede dir gut zu . . Ich möcht’ dich so gerne trösten, Sascha . . . Ein bisschen ist es mir doch schon gelungen . . — nicht wahr?“
„Ach — du weisst nicht — was das heisst: so allein . .“
„Ich bin da. Da hast du jemanden, wenn es auch nicht viel ist!“ Sie nahm behutsam seine schlaff herabhängende Hand. „Da hast du ein ganz klein wenig Ersatz für deine Eltern! Da hast du eine Art Mama!“
„Aber eine recht junge . . .“, weinte es in den Kissen.
„Ach . .“ Katja stand langsam auf. Sie war blass und lächelte seltsam. „Manchmal fühlt man sich so alt — manchmal so jung . . . . ich muss jetzt gehen, Sascha! Komm — gib mir die Hand! Sei tapfer!“
„Wenn ich nicht in den Krieg darf . .“ Der kleine Vetter richtete sich verstört empor. Sein Antlitz war erhitzt und verweint. Er sah durch die feuchten Augen und nassen Wangen knabenhaft aus.
„Du hast das Leben vor dir! Wenn man es recht versteht, ist es schliesslich auch eine Art Krieg! Sonst hat man es nicht gelebt — wenn es einem nur immer gut geht! Gute Nacht, Sascha! Wir wollen unser Leben lang Freunde sein! Dann bist du nie ganz allein!“
„Bloss Freunde?“
„Kind — ich bin doch gegen dich ein Methusalem! . . Die Liebe,“ Katja Gebauer legte ihm behutsam die flache Hand aufs Herz, „die verpacken wir vorläufig noch fest in Watte und warten! Die Zeit wird schon kommen! Bei dir gewiss!“
„. . . . wo die Frauen gut zu mir sind?“ Sascha frug es immer noch halbweinend. „Nicht bloss so . . so schwesterlich wie du?“
„Gut oder böse . . Oder beides . . . So wie wir selber sind.“
„. . Oder wie Ihr uns seht und wollt!“ fügte Katja, sich zur Türe wendend, hinzu. „So werden wir! Das verstehst du noch nicht, kleiner Sascha! Gute Nacht! Weine nicht! Deutschland siegt!“
„Ja. Deutschland siegt!“ Sascha Kersting sass trübe auf dem Bett, die Hände verschlungen. „Aber ich darf ja nicht ein Deutscher sein . . . .“
II
Sascha! — Sascha! . . . Mein Gott — da sitzt dieser Unglückliche, als ob nichts wäre, am Sekretär und schreibt Briefe . . . Einen Liebesbrief natürlich . . .“
„Vielleicht!“ sagte Sascha Kersting nachlässig auf französisch, ohne den Kopf zu wenden. „Aber wenn, dann ist es eine höhere Liebe von einer Art, die Ihr hier in Frankreich nicht begreift! Im übrigen: verliere doch diese furchtbare Gewohnheit, mein Vetter, den Kopf durch die Türe zu stecken und mich zu allarmieren wie ein Feuerwehrmann! Wo brennt’s denn wieder in Lyon?“
„Ich mache dich darauf aufmerksam, dass in einer Viertelstunde die Wagen vorfahren! Papa befahl mir: Lade Sascha ein, pünktlich zu sein! Diese Russen trödeln ja immer!“
„Melde dem Oheim, mein Teurer: Man wird zur Stelle sein!“ versetzte Sascha träumerisch, den Blick ins Weite.
„Hoffen wir, Vetter Sascha!“ Der junge Raoul de Noutz schloss die Türe. „Man verspätet sich nicht, wenn Frankreich ruft . . . .“
Frankreich . . . . Das war der blaue Maienhimmel Frankreichs, der sich da, zwischen Rhone und Saône, über den Häusermassen der Innenstadt von Lyon wölbte. Das waren die weichen Lüfte Frankreichs, die eine linde Frühlingsbrise, vom fernen Mittelmeer her, in das mächtige, altväterisch-reiche Mahagonizimmer fächelte. Das waren die süssen Düfte Frankreichs, die ein Wind aus den blühenden Kastanien-Alleen des Platzes Belle-Cour da unten mitwehte. Das war das helle Lachen Frankreichs, das in dem sprudelnden Silber der Springbrunnen