Bullseye - Bull & Tiger. Monica James

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Bullseye - Bull & Tiger - Monica James


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nichts passiert, öffne ich langsam die Augen und finde mich in derselben Position wie vorher, doch ich verstehe nicht, was ich da sehe. Der Anführer steht regungslos vor mir, den Stein in der Hand, Blut tropft von seinen Fingern. Seine Lippen sind zu einem fiesen Grinsen verzogen, und er starrt zu Boden.

      Ich folge seinem Blick und sehe … oh Gott, nein, bitte nicht.

      Es gibt die Ruhe vor dem Sturm, eine Ruhe, die es mir ermöglicht, einen Anblick zu ertragen, den mein Hirn nicht verarbeiten will, denn das darf einfach nicht sein. Vor mir liegt mein Bruder, aber etwas ist absolut nicht in Ordnung. Ein markerschütternder Schrei entringt sich meiner Brust, und das ist der Weckruf, den ich gebraucht habe. Er setzt den Anfang vom Ende in Bewegung.

      „Damian?“, sage ich, weil ich nicht glauben kann, was ich sehe. Doch als hellrotes Blut den Boden unter ihm befleckt, weiß ich, dass es wahr ist.

      „Oh, mein Gott!“ Der Dreck fliegt, als ich zu ihm renne und dabei die vier Arschlöcher aus dem Weg schiebe. Ich sinke auf die Knie, ziehe ihn an meine Brust, und mein Magen verkrampft sich, als ich merke, wie schlaff sein Körper ist. „Damian, hörst du mich?“

      Seine Augen blinzeln schnell, aber er sagt nichts. Offenbar hat er einen Schock erlitten.

      „Jemand muss den Notruf wählen!“, schreie ich so laut, dass meine Stimmbänder wehtun. „Bitte!“ Ich habe in dem Durcheinander mein Handy verloren.

      Ich streiche ihm das blonde Haar aus der Stirn und ziehe meine Hand in Hellrot getaucht zurück. Ich verstehe nicht, warum. Ich ziehe ihn eng an mich, aber mein weißes T-Shirt ist plötzlich blutrot. Ich hebe ihn sanft an, und mir wird übel, als ich das klaffende Loch in seinem Hinterkopf sehe. Ein Loch, das der Dreckskerl hineingeschlagen hat, der die Waffe immer noch in der Hand hält. Ich begegne seinem toten Blick und schwöre mir hier und jetzt, dass ich ihn finden und dafür sorgen werde, dass er dasselbe Schicksal erleidet. „Glaubst du immer noch, dass du besser als ich bist, Hübscher?“, knurrt er und spuckt auf mich und meinen Bruder. Die letzte Beleidigung, bevor er den Stein einem seiner Freunde zuwirft.

      Der Dreckskerl, der meinen Bruder wie einen Hund zu Boden gedrückt hat, hält den Stein mit großen Augen. Er scheint wie in einem Nebel gefangen zu sein.

      „Bitte“, bettele ich. „Ruft einen Rettungswagen. Mein Bruder stirbt. Bitte helft ihm.“

      Jetzt, wo ihm der Ernst ihrer Tat klar wird, scheint er schockiert zu sein. „Jaws?“, sagt er schließlich.

      Aber Jaws, der Anführer, schüttelt den Kopf. Sein Tattoo ergibt jetzt einen Sinn. „Willst du ins Gefängnis? Wirklich? Dann nur zu, ruf die verdammte Polizei. Erzähl ihnen, was du getan hast.“

      Jaws greift in seine Tasche und hält ihm sein Handy hin. „Dann ist dein Leben zu Ende, genau wie seins.“ Er sieht voller Hass auf Damian hinunter.

      Ich blicke zwischen ihnen hin und her, flehe sie an, Gnade zu zeigen, aber letztlich siegt immer die Angst.

      Der Feigling verschwindet in der Nacht, lässt den Ort seiner Tat hinter sich, lässt meinen Bruder sterben. Bald folgen ihm die anderen, Jaws ist der Letzte, der geht.

      Seine Abschiedsworte verändern mich für immer, denn er hat recht. „Das ist deine Schuld, Junge.“ Er verschwindet als freier Mann in der Dunkelheit, obwohl er einen Mord begangen hat.

      Ich kann ihn nicht verfolgen. Ich bin hilflos, oder eher nutzlos, denn das ist meine Schuld.

      „Kommt zurück! Ich werde euch finden, ihr Scheißkerle! Ich bringe euch um. Das schwöre ich! Ihr seid schon alle tot!“ Spucke bedeckt mein Kinn, ich schaukele meinen Bruder in den Armen, ziehe ihn an meine Brust. „Damian, es tut mir so leid. Bitte stirb nicht.“

      Meine Tränen tropfen auf Damians Wangen, während ich ihn fest umarme. Ich blicke in den sternenlosen Himmel hinauf, schreie das Universum an, bettele, dass jemand Gnade mit meinem Bruder hat, weil er es nicht verdient, zu sterben. Wenn jemand verdient, zu sterben, dann ich.

      Wenn ich ihm nur nicht gefolgt wäre, wenn ich nur bei Gary geblieben wäre, dann wäre das alles nicht passiert.

      „Es tut mir leid“, wiederhole ich immer wieder und schaukele meinen röchelnden Bruder. Ich bin mit seinem Blut bedeckt. Es ist klebrig und warm, und mir wird davon übel.

      Ich versuche, die Blutung aus seinem Hinterkopf zu stoppen, indem ich meine Hand auf die klaffende Wunde lege, aber ich spüre nur Matsch. Mir wird klar, dass dieser Matsch sein Gehirn ist. Dieser Bastard hat ihm den Schädel eingeschlagen.

      „Ich verspreche dir, dass ich brav sein werde. Nur stirb bitte nicht“, bettele ich Damian an und sehe ihm in die Augen. „Ich liebe dich, Bro. Verlass mich nicht. Bitte, bitte, verlass mich nicht.“

      Seine Silberkette liegt ein Stück entfernt. Die Feiglinge haben sie fallenlassen, als sie geflohen sind. Ich strecke einen Arm aus und greife danach. Ich kann jetzt alles Glück brauchen, das ich finden kann.

      Mein Bruder wird nicht sterben. Er ist stark. Ein verdammter Superheld. Das sieht man daran, was er getan hat. Obwohl sie ihn so zusammengeschlagen haben, fand er die Kraft, sich aufzurichten, um mich zu beschützen. Wenn er nicht eingegriffen, sich vor mich gestellt und den Schlag abgefangen hätte, der für mich bestimmt war, dann würde jetzt ich auf dem kalten Boden liegen und verbluten. Jemand wie Damian stirbt nicht, nicht mit siebzehn, nicht, wenn sein ganzes Leben noch vor ihm liegt. So grausam kann das Leben nicht sein, oder?

      Als ich jedoch Lyndsay einen hysterischen Klagelaut ausstoßen höre, begreife ich, dass das Leben tatsächlich so grausam ist. Es hat mir meinen Bruder genommen. Es hat mir den einen Menschen genommen, der es nicht verdient hat, zu sterben.

      Ich senke langsam den Blick und sehe in die leblosen Augen meines Bruders, denn er ist tot … tot … wegen mir.

      Ich schnelle hoch, bin schweißbedeckt.

      Ich taste verzweifelt nach der Nachttischlampe, schalte sie an und atme erleichtert auf, als mir klar wird, wo ich bin. Es war nur ein Traum oder, genauer gesagt, der Albtraum, der mich seit vierzehn Jahren quält.

      Ich streiche über die kurzen Stoppeln auf meinem Kopf, werfe die Laken zur Seite und setze mich auf die Bettkante. Ich lege die Hände um mein Gesicht, senke den Kopf und atme tief durch. Damians Medaillon brennt auf meiner Haut.

      Mit Damians Tod begann der Niedergang meiner Familie.

      Als die Sanitäter eintrafen, bestätigten sie, was ich bereits wusste. Damians Todesursache war stumpfe Gewalteinwirkung auf seinen Kopf – was nichts anderes hieß, als dass ein verfluchter Stein seinen Schädel wie eine Melone aufplatzen lassen hatte.

      Die Polizei kam kurz darauf, nahm von allen die Aussagen auf, was aber keine Hilfe war, da niemand den Mord gesehen hatte. Außerdem gerieten sie in Panik.

      Einige kannten die Kerle, die in die Party reingeplatzt waren, aber niemand war bereit, sie zu verraten. Die Mordwaffe hätte jeder der hundert Steine sein können, die dort herumlagen. Und ohne Beweise oder zuverlässige Zeugenaussagen, und da ein Verbrechen, wie es an meinem Bruder begangen wurde, in Detroit jeden Tag passierte, blieb der Fall ungelöst.

      Niemand wurde zur Rechenschaft gezogen, das heißt, niemand wurde für den Mord an meinem Bruder bestraft. Wo blieb da die Gerechtigkeit? Ich erzählte der Polizei immer wieder, wie die Täter aussahen, aber ohne einen Namen – und der Spitzname Jaws reichte nicht – und ohne Spuren, war Damian nur eine weitere Nummer in der Statistik.

      Die Polizisten sahen in mir nur ein weiteres nutzloses Balg.

      Meine Mutter erlitt einen Nervenzusammenbruch, während mein Vater keine Gefühle mehr zuließ. Sie sagten mir, dass es okay und nicht meine Schuld sei, aber als man meinen Bruder in sein Grab senkte – seine Leiche lag in einem weißen Sarg – war es klar, dass sie wünschten, sie würden mich begraben, nicht meinen Bruder.

      Danach waren Mom und Dad nie wieder dieselben. Sie schienen einander zu hassen und sich gegenseitig die Schuld an Damians Tod zu geben, dabei hätten sie mich beschuldigen sollen. Doch das taten sie nicht. Sie machten etwas Schlimmeres.


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