Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
Читать онлайн книгу.in ihrem Coupé saß, stieß sie einen Seufzer der Erleichterung aus. Kalte Schweißtropfen standen ihr auf den Schläfen und als sie dieselben abtrocknete, dachte sie an die eisige Feuchtigkeit des Hôtels Béraud. Dann aber rollte der Wagen über das sonnenbeschienene Asphalt des Quai Saint-Paul, sie erinnerte sich der fünfzigtausend Francs und ihr Schmerz erwachte lebhafter denn je. Man hielt sie für muthig und doch war sie vorhin so feige gewesen! Und es handelte sich doch um Maxime, um seine Freiheit, um ihre beiderseitigen Freuden! Inmitten der bitteren Vorwürfe, die sie sich machte, schoß ihr ein Gedanke durch den Kopf, welcher ihre Verzweiflung noch vermehrte; sie hätte über diese fünfzigtausend Francs mit Tante Elisabeth auf der Treppe sprechen müssen. Wo hatte sie denn nur ihren Verstand? Die gute Frau hätte ihr diese Summe vielleicht vorgestreckt, oder wäre ihr wenigstens rathend zur Seite gestanden. Schon neigte sie sich vor, um ihrem Kutscher zu sagen, er möge nach der Rue Saint-Lous-en-l'ile zurückkehren, als sie die Gestalt ihres Vaters vor sich zu sehen meinte, wie er langsam durch das feierliche Halbdunkel des großen Salons schritt. Nein, sie besaß den Muth nicht, sofort wieder in dieses Gemach zu treten. Was sollte sie auch sagen, um ihren abermaligen Besuch zu erklären? Und ehrlich gesprochen, fühlte sie sogar, daß sie jetzt nicht mehr wagen würde, mit Tante Elisabeth über die Sache zu reden. Sie befahl ihrem Kutscher, nach der Rue du Fauburg-Poissonnière zu fahren.
Frau Sidonie stieß einen Freudenschrei aus, als sie die dicht verhängte Thür des Ladens sich öffnen sah. Sie war nur zufällig zu Hause und wollte soeben ausgehen, um sich zum Friedensrichter zu begeben, wo sie mit einer Klientin zu thun hatte. Nun würde sie dies aber für den nächsten Tag verschieben, denn sie war zu erfreut darüber, daß ihre Schwägerin so liebenswürdig war, ihr einen kleinen Besuch abzustatten, Renée lächelte ein wenig verlegen. Frau Sidonie wollte durchaus nicht zugeben, daß sie unten bleibe; sie führte sie über die kleine Treppe in ihr Zimmer hinauf, nachdem sie den Messingknopf des Ladens weggenommen hatte. Diesen durch einen einfachen Nagel festgehaltenen Knopf zog sie wohl zwanzig Mal im Tage ab, um ihn eben so oft wieder anzubringen.
»So, meine Schöne,« sagte sie, nachdem sie ihr auf einer Chaiselongue einen Platz angewiesen; »hier wollen wir gemüthlich mit einander plaudern ... Denken Sie nur, Sie kommen mir wie gerufen, denn ich wollte heute Abend zu Ihnen gehen.«
Renée, die dieses Zimmer kannte, ward daselbst von einem gewissen Unbehagen erfaßt, wie es etwa ein Spaziergänger empfindet, der die Wahrnehmung macht, daß an einer ihm besonders liebwerthen bewaldeten Stelle die Bäume ausgehauen worden.
»Ah!« sagte sie endlich; »Sie haben dem Bette einen anderen Platz gegeben?«
»Ja,« erwiderte die Spitzenhändlerin ruhig. »Eine meiner Klientin findet, es sei dem Kamin gegenüber besser am Platze. Sie hat mir auch den Rath gegeben, rothe Vorhänge anzubringen.«
»Ich wollte auch eben die Bemerkung machen, daß die Vorhänge nicht mehr die früheren seien ... Roth ist übrigens recht gewöhnlich, meiner Ansicht nach.«
Und ihre Lorgnette hervornehmend, blickte sie in dem Gemach umher, welches mit dem Luxus eingerichtet war, wie man ihn in größeren Hotels Garnis antrifft. Auf der Kaminplatte erblickte sie lange Haarnadeln aus Schildpatt, die sicherlich nicht zu dem mageren Chignon der Frau Sidonie gehörten. Auf der Stelle, wo sich das Bett früher befunden, war die Tapete ganz abgewetzt, beschmutzt und durch die Matratzen farblos geworden. Die Hausfrau hatte diese Stelle allerdings durch den Rücken zweier Fauteuils verdecken wollen; doch waren dieselben ein wenig zu niedrig und Renée's Blick blieb an diesem schwärzlichen Streifen haften. »Sie haben mir etwas zu sagen?« fragte sie endlich.
»Ach ja; das ist aber eine ganze Geschichte,« erwiderte Frau Sidonie und faltete die Hände mit der Miene einer Feinschmeckerin, die sich zu erzählen anschickt, was sie zum Diner gespeist. »Denken Sie nur, Herr von Saffré ist zum Sterben in die schöne Frau Saccard verliebt ... Ja, in Sie, mein Herz ...«
Sie machte nicht einmal eine kokette Bewegung, als sie entgegnete:
»Sie sagten doch, er sei in Frau Michelin verliebt!«
»Ach, das ist zu Ende, ganz aus ... Ich kann es Ihnen beweisen, wenn Sie wollen ... Sie wissen also nicht, daß die kleine Michelin den Gefallen des Barons Gouraud erregt hat? Die Sache ist mir ganz unbegreiflich und Jedermann, der den Baron kennt, ist auf's Höchste erstaunt darob ... Und wissen Sie, daß sie ihrem Gatten sehr bald das rothe Bändchen der Ehrenlegion errungen haben wird? ... Ach, die kleine Frau ist ein Schelm; sie findet ihren Weg allein und braucht Niemanden, der ihr Schifflein führen hilft.«
Die letzten Worte sprach sie mit einigem Bedauern, welchem sich eine gewisse Bewunderung zugesellte.
»Kommen wir aber auf Herrn von Saffré zurück ... Er will Sie auf einem Ball getroffen haben, den eine Schauspielerin gab; er behauptet, Sie wären in schwarzem Domino gewesen und er hätte Sie – was er jetzt bedauert – ein wenig zudringlich aufgefordert, mit ihm zu soupiren ... Ist das wahr?«
Die junge Frau war auf's Höchste überrascht.
»Vollkommen!« murmelte sie. »Doch wer konnte ihm gesagt haben ...«
»Warten Sie ... Er behauptet, Sie erst später erkannt zu haben, als Sie nicht mehr im Salon waren und er erinnerte sich, daß Sie am Arme Maxime's hinausgegangen seien ... Seit jener Zeit ist er rasend verliebt in Sie und er hat sich die Sache ungeheuer zu Herzen genommen. ... Nun hat er mich aufgesucht, um mich zu bitten, Ihnen seine Entschuldigungen vorzubringen ...«
»Sagen Sie ihm meinethalben, daß ich ihm verzeihe,« fiel ihr Renée nachlässig ins Wort und mit einem Male wieder ängstlich und zaghaft werdend, fügte sie hinzu:
»Ach, meine gute Sidonie, ich befinde mich in einer so peinlichen Lage! Bis morgen Früh muß ich unbedingt fünfzigtausend Francs haben und ich bin nur gekommen, um hierüber mit Ihnen zu sprechen. Sie kennen Leute, sagten Sie mir, die Geld leihen?«
Aergerlich über die wenig rücksichtsvolle Weise, in welcher ihre Schwägerin sie in ihrer Erzählung unterbrochen, zögerte die Maklerin eine Weile mit ihrer Antwort.
»Gewiß kenne ich welche; doch rathe ich Ihnen, es vorerst bei Ihren Freunden zu versuchen ... Ich an Ihrer Stelle wüßte, was ich zu thun hätte ... Ich würde mich ganz einfach an Herrn von Saffré wenden.«
Renée lächelte gezwungen, als sie zur Antwort gab:
»Dies wäre nicht sehr schicklich, da er, wie Sie behaupten, in mich so sehr verliebt ist.«
Die Alte blickte sie fest an, dann verzog sich ihr farbloses Gesicht langsam zu einem mitleidsvollen Lächeln.
»Armes Kind,« murmelte sie. »Sie haben geweint; leugnen Sie nicht, Ihre Augen verrathen es. Seien Sie also stark, nehmen Sie das Leben so wie es ist ... Ueberlassen Sie es mir, ich werde die Sache in Ordnung bringen.«
Renée erhob sich, wobei sie ihre Finger so krampfhaft in einander schlang, daß ihre Handschuhe schier platzten. Und sie blieb aufrecht stehen, während sich in ihrem Inneren ein schwerer Kampf vollzog. Schon öffnete sie die Lippen, vielleicht um einzuwilligen, als in dem anstoßenden Gemach der Ton einer Klingel vernehmbar wurde. Frau Sidonie schritt eilig hinaus, wobei sie eine Thür halb offen stehen ließ, durch die eine Doppelreihe von Klavieren sichtbar wurde. Darauf vernahm die junge Frau Männerschritte und das gedämpfte Geräusch einer mit leiser Stimme geführten Unterhaltung. Mechanisch trat sie näher, um den gelblichen Streifen anzusehen, welchen die Matratzen an der Mauer zurückgelassen. Dieser Streifen beunruhigte sie, war ihr lästig. Sie vergaß Alles: Maxime, die fünfzigtausend Francs, Herrn von Saffré, und trat sinnend vor das Bett hin. Dasselbe stand hier unbedingt besser als an der Stelle, wo es sich früher befunden. Es gab in der That Frauen, die keinen Geschmack hatten; wenn man im Bette lag, mußte man sich doch dem Licht gegenüber befinden. Und unbestimmt tauchte in ihrer Erinnerung das Bild des Unbekannten vom Quai Saint-Paul auf, ihr Roman, der aus zwei Begegnungen bestanden, diese Zufalls-Liebe, welche sie dort, an jener anderen Stelle genossen. Nichts als dieser abgefärbte Fleck an der Mauer war von derselben zurückgeblieben. Und nun ward sie von demselben Unbehagen erfaßt, welches sie schon beim Eintritt in dieses Zimmer empfunden und das Gemurmel der Stimmen im anstoßenden