Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
Читать онлайн книгу.mit dem Zeigefinger, wie um ihr zu bedeuten, sie möge leise sprechen. Sodann neigte sie sich zu ihr und flüsterte ihr ins Ohr:
»Das trifft sich ja herrlich; Herr von Saffré ist hier.«
»Sie haben ihm doch nicht gesagt, daß ich hier bin?« fragte die junge Frau unruhig.
Die Vermittlerin schien ganz überrascht und erwiderte naiven Tones:
»Oh doch ... Er wartet nur hereingerufen zu werden. Von den fünfzigtausend Francs habe ich ihm natürlich nichts gesagt.«
Tief erbleichend richtete sich die junge Frau wie von einer Feder geschnellt in die Höhe. Ein unendlicher Stolz regte sich in ihr und der Schall der Männerschritte im anstoßenden Gemach erbitterte sie.
»Ich gehe,« sprach sie kurzen Tones. »Oeffnen Sie mir die Thür.«
Frau Sidonie versuchte zu lächeln.
»Seien Sie nicht kindisch ... Was soll ich denn jetzt mit dem jungen Mann anfangen, nachdem ich ihm gesagt, daß Sie hier seien ... Sie kompromittiren mich wahrhaftig.«
Die junge Frau aber war die kleine Treppe bereits hinabgeschritten und wiederholte, vor der verschlossenen Thür des Ladens angelangt:
»Oeffnen Sie! öffnen Sie mir sofort!«
Wenn die Maklerin den Messingknopf abzog, pflegte sie ihn gewöhnlich in die Tasche zu stecken. Noch wollte sie einen Versuch machen und parlamentiren; schließlich aber gerieth sie selbst in Zorn und indem ihre grauen Augen all' die Bosheit und Habsucht ihrer Natur verriethen, rief sie aus:
»Was soll ich dem Manne aber eigentlich sagen?«
»Daß ich nicht käuflich bin!« erwiderte Renée, die mit einem Fuß bereits auf der Straße stand.
Und während Frau Sidonie die Thür heftig ins Schloß warf, glaubte sie dieselbe murmeln zu hören: »Gehe nur, dumme Gans; Du sollst mir Das noch entgelten.«
»Meiner Treu!« sprach sie halblaut vor sich hin, als sie bereits im Wagen saß; »da ziehe ich ja noch meinen Gatten vor.«
Sie kehrte geradewegs nach Hause zurück. Am Abend sagte sie Maxime, er möge nicht kommen, denn sie sei leidend und bedürfe der Ruhe. Und als sie ihm am nächsten Tage die fünfzehntausend Francs für den Juwelier Sylvia's übergab, hatte sie für seine überraschten Fragen blos ein verlegenes Lächeln. Ihr Gatte, sagte sie, habe ein vortheilhaftes Geschäft abgeschlossen. Doch von diesem Tage an war sie launenhaft, änderte sie häufig die Stunden der Rendezvous, welche sie mit dem jungen Manne vereinbarte und häufig erwartete sie ihn sogar im Treibhause, um ihn fortzuschicken. Er beachtete diese wechselnden Stimmungen kaum, denn er gefiel sich darin, ein fügsames Werkzeug in den Händen der Frauen zu sein. Unangenehmer war es ihm, daß ihre Zusammenkünfte, die durch die Liebe herbeigeführt wurden, mitunter eine moralische Wendung nahmen. Renée war ganz traurig geworden und zuweilen hatte sie Thränen in den Augen. Sie sang nicht mehr die übermüthigen Weisen aus der »Schönen Helena«, spielte nur die Gesänge, die sie im Pensionat gelernt und fragte ihren Geliebten, ob er daran glaube, daß das Böse früher oder später bestraft werde.
»Sie wird alt, daran ist nicht zu zweifeln,« dachte der junge Mann im Stillen. »In ein oder höchstens zwei Jahren wird sie Niemandem mehr ein Vergnügen bereiten können.«
Die Wahrheit aber bestand darin, daß sie fürchterlich litt. Nun hätte sie Maxime lieber mit Herrn von Saffré betrogen. Bei Frau Sidonie hatte sie ihrer Entrüstung Ausdruck verliehen, hatte sie aus Abscheu über den schmählichen Handel einem instinktiven Stolz Gehör geschenkt. An den folgenden Tagen aber, da sie die Qualen des Ehebruches erduldete, ward sie von düsterem Schrecken erfaßt und sie selbst kam sich so verächtlich vor, daß sie sich dem erstbesten Manne hingeworfen hätte, der die Thür des mit den Klavieren angefüllten Zimmers geöffnet hätte. Wenn bisher der Gedanke an ihren Gatten gleich einem Gegenstand wollüstigen Schreckens in der Blutschande, der sie sich hingab, aufgetaucht war, so trat fortan an Stelle dieses Gedankens der Gatte, der Mann selbst und dies mit einer Brutalität, welche ihre zartesten Empfindungen in unerträgliche Leiden verwandelte. Sie, die sich dem vollen Genusse ihres Fehltrittes hingeben wollte und gerne von einem übermenschlichen Paradies träumte, allwo die Götter unter sich ihrer Liebe fröhnen, fiel zwischen zwei Männern getheilt, der niedrigsten Ausschweifung anheim. Vergebens versuchte sie sich an dieser Infamie zu erfreuen. Noch waren ihre Lippen warm von den Küssen Saccard's, als sie dieselben den Küssen Maxime's darbot. Ihre Lüsternheit vertiefte sich gänzlich in diese fluchwürdige Wollust und es kam so weit, daß sie die Zärtlichkeitsbeweise dieser beiden Wesen mit einander zu vereinen und in den Umarmungen des Vaters den Sohn zu finden suchte. Doch erfüllte sie dieses Erforschen des Bösen, dieses heiße Dunkel, in welchem sie ihre beiden Geliebten mit einander verwechselte, mit noch größerem Abscheu und Schrecken, mit einem Entsetzen, welches ihre Freuden zu Höllenqualen gestaltete.
Doch verschloß sie dieses Drama in ihrem Inneren und verdoppelte ihr Leid noch durch die Bilder ihrer Phantasie. Lieber wäre sie gestorben, als daß sie Maxime die Wahrheit gestanden hätte. Es entsprang dies einer dumpfen Befürchtung, daß der junge Mann sich erzürnen, sie verlassen könnte; aber auch ihrem unerschütterlichen Glauben an die entsetzliche Schuld und ewige Verdammniß, so daß sie eher nackt durch den Monceau-Park gegangen wäre, als ihre Schmach gebeichtet hätte. Im Uebrigen blieb sie die leichtfertige Verschwenderin, die Paris durch ihren Aufwand in Erstaunen setzte. Sie trug eine geräuschvolle Heiterkeit zur Schau und gefiel sich in den tollsten Streichen, über welche die Zeitungen Berichte brachten, in welchen ihr Name durch die Anfangsbuchstaben bezeichnet wurde. In diese Epoche viel es, daß sie sich in allem Ernste mit der Herzogin von Sternich auf Pistolen duelliren wollte, weil dieselbe ein Glas Punsch über ihr Kleid ausgegossen hatte, – mit Absicht, wie Renée behauptete, und ihr Schwager, der Minister mußte sich unter Androhung seines Zornes ins Mittel legen, damit die Sache unterbliebe. Ein anderes Mal wettete sie mit Frau von Lauwerens, daß sie die Runde um die Rennbahn zu Longchamps in weniger denn zehn Minuten machen werde und die Tollheit gelangte nur nicht zur Ausführung, weil sie nicht wußte, welche Kleidung sie zu diesem Bravourstück anlegen sollte. Maxime selbst begann sich vor dieser Frau zu fürchten, die nicht ganz zurechnungsfähig zu sein schien und an deren Busen er des Nachts das Tosen einer in rauschenden Vergnügungen schwelgenden Stadt zu vernehmen meinte.
Eines Abends begaben sie sich ins Theatre-Italien. Sie hatten nicht einmal nachgesehen, welches Stück zur Aufführung gelangen würde und wollten nur die große italienische Tragödin Ristori sehen, die damals ganz Paris in Entzücken versetzte und den Anforderungen der Mode entsprechend bewundert werden mußte. Man gab »Phädra«. Er kannte sein klassisches Repertoir genügend und Renée verstand hinlänglich italienisch, um der Darstellung folgen zu können. Und selbst dieses Drama bereitete ihnen eine eigenthümliche Erregung, trotz des ihnen fremden Idioms, dessen heller Klang ihnen mitunter blos die Begleitung zu dem Mienenspiel der Darsteller zu sein schien. Hippolyte war ein großer, bleicher, junger Mann, ein sehr mittelmäßiger Schauspieler, der seine Rolle in weinerlichem Tone vortrug.
»Welch' ein Tölpel!« murmelte Maxime.
Die Ristori aber mit ihren breiten Schultern, die infolge des Schluchzens bebten, mit ihrer tragischen Physiognomie und ihren mächtigen Armen, erschütterte Renée. Phädra war aus dem Blute der Pasiphaë und sie fragte sich, welches Blut denn in ihr rollen könne, in ihr, der Blutschänderin der Neuzeit. Von dem ganzen Stücke sah sie nichts weiter als diese große Frauengestalt, die das antike Verbrechen auf die Bühne brachte. Im ersten Akt, als Phädra Oenone ihre verbrecherische Liebe enthüllt; im zweiten, da sie sich in lodernder Leidenschaft Hippolyte offenbart und dann im vierten, da die Rückkehr Theseus' sie zu Boden schmettert und sie in einem Anfall düsterster Verzweiflung sich selbst flucht, – da gellte ein solcher Schrei wilder Leidenschaft, des Verlangens nach übermenschlicher Wollust durch das Haus, daß die junge Frau sich von einem Schauer ihrer Begierden und Gewissensbisse erfaßt fühlte.
»Warte 'mal,« murmelte Maxime neben ihr; »nun sollst Du die Erzählung Theramens hören. Der Alte sieht vielversprechend aus.«
Und Jener sprach mit grabestiefer Stimme:
»Kaum