Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

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Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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gerieth sie auf den schönen Einfall, den jungen Mann, der gerade mit Luise plauderte, zu sich zu rufen. Sie schritt ihm aus dem Hintergrunde des Treibhauses, wo sie sich befand, entgegen und küßte ihn zwischen zwei Baumgruppen, wo sie vor allen Blicken sicher zu sein glaubte, heftig auf den Mund. Luise aber war Maxime nachgegangen und als die Liebenden die Köpfe emporhoben, erblickten sie kaum einige Schritte von ihnen entfernt die junge Dame, die sie mit einem eigenthümlichen Lächeln anblickte, ohne daß sie irgend welches Erstaunen oder Verlegenheit verrathen hätte. Sie hatte ganz die ruhig-freundschaftliche Miene eines Sündengenossen, der sehr wohl im Stande ist, einen solchen Kuß zu verstehen und zu würdigen.

      Maxime war in Wahrheit erschrocken, während Renée ganz gleichgiltig, ja sogar heiter zu sein schien. Ihre Befürchtungen waren verstummt, nun es unmöglich geworden, daß die Buckelige sie ihres Geliebten beraubte.

      »Ich hätte Das schon längst eigens thun müssen,« sagte sie sich im Stillen. »Sie weiß nunmehr, daß ›ihr kleiner Mann‹ mein ist.«

      Allmälig beruhigte sich Maxime, als ihm Luise ebenso heiter und witzig entgegentrat wie bisher. Er nannte sie im Stillen »sehr stark, ein sehr gutes Mädchen« und das war Alles.

      Renée's Befürchtungen waren begründet. Seit einiger Zeit schon dachte Saccard daran, seinen Sohn mit Fräulein von Mareuil zu verheirathen. Es war da eine Million zu holen, die er sich nicht entgehen lassen wollte, wenn er sich des Geldes auch erst später zu bemächtigen gedachte. Da Luise zu Beginn des Winters drei Wochen hindurch an's Bett gefesselt gewesen, ward er von Furcht erfaßt, sie könnte noch vor dem Zustandekommen der geplanten Verbindung sterben und darum beschloß er, die Kinder sofort zu verheirathen. Dieselben waren zwar noch sehr jung, doch befürchteten die Aerzte, daß der Monat März der Brustleidenden verhängnißvoll werden könnte. Herr von Mareuil befand sich seinerseits in einer sehr schwierigen Lage. Bei der letzten Wahl war es ihm gelungen, seine Erwählung zum Abgeordneten durchzusetzen. Die gesetzgebende Körperschaft erklärte diese Wahl aber für ungiltig. Die Prüfung seines Mandats war der »Schandfleck« des ganzen Verifikations-Verfahrens. Die ganze Wahl überhaupt war ein tragikomisches Heldengedicht, an welchem die Zeitungen einen ganzen Monat zehrten. Herr Hupel de la Noue, der Präfekt des betreffenden Departements, hatte eine solche Energie entwickelt, daß die übrigen Kandidaten weder ihre Programme aufstellen, noch ihre Wahlreden halten konnten. Auf seinen Rath bestritt Herr von Mareuil während einer vollen Woche die Kosten, welche die Versammlungen der Bauern verursachten, die nach Herzenslust aßen und tranken. Er versprach ihnen außerdem eine Eisenbahn, die Erbauung einer Brücke und dreier Kirchen und beschenkte die einflußreichen Wähler am Vorabend der Wahl mit den Bildnissen des Kaisers und der Kaiserin in goldenem Rahmen. Diese Geschenke erzielten einen ungeheuren Erfolg, die Majorität war eine erdrückende. Als die Kammer aber unter dem lauten Gelächter des ganzen Landes Herrn von Mareuil zu seinen Wählern heimzuschicken gezwungen war, gerieth der Minister in einen fürchterlichen Zorn gegen den Präfekten und den unglücklichen Kandidaten, die thatsächlich zu scharf ins Zeug gegangen waren. Er sprach sogar davon, einen andern offiziellen Kandidaten aufzustellen. Herr von Mareuil erschrack. Er hatte sich die Sache dreihunderttausend Francs kosten lassen, besaß in dem Departement bedeutende Güter, auf denen er sich langweilte und die er mit Verlust verkaufen mußte. Er suchte daher seinen lieben Kollegen auf, damit dieser seinen Bruder begütige, indem er ihm für das nächste Mal eine vollkommen tadellose Wahl zusichere. Unter diesen Umständen brachte Saccard die Heirath der Kinder neuerdings zur Sprache und die beiden Väter einigten sich nunmehr endgiltig über dieselbe.

      Als Maxime über die Sache ausgeholt wurde, empfand er eine gewisse Verlegenheit. Er fand Luise kurzweilig, die in Aussicht gestellte Mitgift verlockte ihn noch mehr. Er sagte Ja und acceptirte Alles, wie es Saccard wünschte, nur um sich in keine Erörterung einlassen zu müssen. Insgeheim war er sich aber klar darüber, daß sich die Dinge nicht in dieser schönen Ordnung weiter entwickeln würden. Renée würde niemals einwilligen, sie wird weinen, ihm Scenen machen und war sehr wohl im Stande, irgend einen großen Skandal heraufzubeschwören, der ganz Paris in Erstaunen setzen würde. Dies war höchst unangenehm und sie flößte ihm bereits Furcht ein. Sie hatte so beunruhigende Augen und beherrschte ihn so despotisch, daß er ihre Krallen sich in seine Schultern versenken zu fühlen glaubte, wenn sie ihre weiße Hand auf dieselbe legte. Ihre geräuschvolle Heiterkeit erschien ihm gezwungen und ihr Lachen klang mitunter, als risse eine Saite in ihrem Inneren. Er befürchtete thatsächlich, daß sie eines Nachts in seinen Armen wahnsinnig werden würde. Bei ihr gelangten die Gewissensbisse, die Furcht ertappt zu werden, die grausamen Freuden des Ehebruches nicht wie bei anderen Frauen durch Thränen und Traurigkeit zum Ausdruck, sondern durch eine noch schlimmere Ausgelassenheit, durch ein noch unwiderstehlicheres Bedürfniß nach Geräusch und Betäubung. Und inmitten ihrer zunehmenden Bestürzung begann man ein Röcheln, das Knacken dieses aus einander gehenden herrlichen, bewunderungswürdigen Mechanismus zu vernehmen.

      Unthätig erwartete Maxime eine Gelegenheit, welche ihn von dieser lästigen Maitresse befreien würde. Wiederholt sagte er, daß sie eine Dummheit gemacht hatten. Wenn ihre Vertraulichkeit ihrer Liebe einen Reiz mehr verliehen hatte, so hinderte ihn dieselbe heute, das Verhältniß abzubrechen, wie er es unbedingt bei einer anderen Frau gethan hätte. Er wäre ganz einfach nicht wiedergekommen, denn dies war seine Art, seine Liebschaften zu lösen, um allen Anstrengungen und Streitigkeiten aus dem Wege zu gehen. Hier aber fühlte er sich unfähig, einen Bruch herbeizuführen, zumal er sich die Zärtlichkeitsbezeugungen Renée's noch immer gerne gefallen ließ; sie war so mütterlich gut zu ihm, bezahlte für ihn und wird ihn sicherlich stets aus der Verlegenheit befreien, wenn ein Gläubiger zudringlich werden sollte. Da kam ihm wieder der Gedanke an Luise, an die Mitgift im Betrage von einer Million und er sagte sich, selbst während er in den Armen der jungen Frau lag, daß dies Alles recht schön und gut, doch nicht ernst sei und daß dem ein Ende gemacht werden müsse.

      Eines Nachts befand sich Maxime bei einer Dame, bei der oft bis zum Morgen gespielt wurde, so hartnäckig im Verluste, daß er alsbald seinen letzten Franc verspielt hatte und den dumpfen Zorn des Spielers empfand, dessen Taschen leer sind. Er hätte eine Welt darum gegeben, wenn er noch einige Louis auf den Tisch zu werfen vermocht hätte. Er nahm seinen Hut und begab sich mit dem mechanischen Schritte eines Menschen, den ein ausschließlicher Gedanke beherrscht, nach dem Monceau-Park, wo er die kleine Pforte öffnete und alsbald befand er sich im Treibhause. Mitternacht war vorüber. Renée hatte ihm gesagt, er möge sich diesen Abend nicht einfinden. Sie suchte jetzt gar nicht mehr nach einer Erklärung, nach einem Vorwande, wenn sie ihm ihre Thür versagte und er dachte blos daran, seinen Urlaub auszunützen. Er erinnerte sich des Verbotes der jungen Frau erst vor der verschlossenen Glasthür des kleinen Salons. Gewöhnlich wenn er kommen durfte, öffnete Renée diese Thür schon im Vorhinein.

      »Bah!« sagte er sich bei dem Anblicke des beleuchteten Fensters des Ankleidezimmers. »Ich werde pfeifen und sie wird herunterkommen. Ich werde sie nicht stören und wenn sie mir ein Paar Louis geben kann, so gehe ich gleich fort.«

      Damit stieß er einen leisen Pfiff aus. Auf diese Weise pflegte er ihr häufig seine Anwesenheit anzukündigen; heute aber mußte er wiederholt pfeifen, was ihn ärgerlich machte und so pfiff er immer lauter, da er den Gedanken an eine sofortige Anleihe nicht aufgeben wollte. Endlich sah er, wie die Glasthür mit größter Vorsicht geöffnet wurde, ohne daß er vorher irgendwelche Schritte vernommen hätte. In dem Halbdunkel des Treibhauses erblickte er jetzt Renée mit aufgelöstem Haar, kaum bekleidet und barfuß, als hätte sie sich gerade zu Bett begeben wollen. Sie drängte ihn in eine der Lauben und stieg dabei die Stufen hinab, schritt über den Sand der Allee, ohne dem Anscheine nach die Kälte oder die Rauhheit des Bodens zu empfinden.

      »Weshalb pfeifst Du so stark?« fragte sie mit unterdrücktem Zorn. »Ich sagte Dir doch, Du solltest nicht kommen. Was willst Du von mir?«

      »So gehen wir doch hinauf,« sagte Maxime überrascht durch diesen Empfang. »Oben will ich Dir Alles sagen. Du wirst Dich erkälten.«

      Da er aber bei diesen Worten eine Bewegung machte, als wollte er der Thür zuschreiten, hielt sie ihn zurück und da gewahrte er erst, daß sie entsetzlich bleich sei. Ein stummes Entsetzen schien sie zu beherrschen. Die letzten wenigen Gewänder, die sie am Leibe hatte, die Spitzen des Hemdes hingen wie tragische Fetzen um ihre


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