Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

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Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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Renée sah und hörte nichts mehr, als der Alte zu sprechen begonnen. Die flimmernde Beleuchtung blendete sie, eine glühende Hitze schien von all' diesen der Bühne zugewendeten bleichen Gesichtern auszugehen und sie zu versengen. Der Monolog aber wollte kein Ende nehmen und sie sah sich im Treibhause, unter dem dichten Blätterwerk, während ihr Gatte eintrat und sie in den Armen seines Sohnes überraschte. Sie litt unsäglich, verlor fast das Bewußtsein und erst beim letzten Röcheln Phädra's, die erst im Sterben bereute und sich selbst durch Gift richtete, schlug sie wieder die Augen auf. Der Vorhang fiel. Wird sie den Muth haben, sich eines Tages zu vergiften? Wie lächerlich und schmählich ihr Drama neben dieser antiken Epopöe erschien! Und während Maxime sie in ihren Theatermantel hüllte, tönte ihr noch immer die herbe Stimme der Ristori im Ohr, welcher das beistimmende Murmeln Oenone's antwortete.

      Im Wagen plauderte der junge Mann allein. Im Ganzen genommen fand er die Tragödie »tödtlich langweilig« und zog er derselben entschieden die ergötzlichen Schwänke der kleinen Theater vor. Phädra aber war »stark« und er hatte Interesse für das Stück, weil ... Und er drückte Renée die Hand, um seinen Gedanken zu vervollständigen. Dann aber kam ihm eine kurzweilige Idee und er konnte dem Reiz, ein Scherzwort anzubringen, nicht widerstehen.

      »Ich hatte ganz Recht,« sagte er halblaut, »als ich in Trouville dem Meere nicht nahekommen wollte.«

      In ihren schmerzlichen Gedanken versunken, gab Renée keine Antwort und Maxime war gezwungen, seine Worte zu wiederholen.

      »Nun, weil das Ungeheuer ...«

      Dabei lachte er leise, sein Scherz aber berührte die junge Frau peinlich. Alles drehte sich wirr in ihrem Kopf. Die Ristori war ein großer Hampelmatz, der sein Peplum emporschürzte und dem Publikum die Zunge zeigte, wie Blanche Müller im dritten Akt der »Schönen Helena«; Theramen tanzte Cancan und Hippolyte aß Knackmandeln, wobei er mit dem Finger in der Nase bohrte.

      Wenn Renée von zu heftigen Gewissensbissen geplagt wurde, empfand sie etwas wie stolze Empörung. Worin besteht denn ihr Verbrechen und weshalb wäre sie erröthet? Sah sie nicht täglich schlimmere Niedrigkeiten begehen? Begegnete sie nicht überall, bei den Ministern sowohl, als auch in den Tuilerien Elenden gleich ihr, die Werthe von Millionen an ihrem Leibe trugen und auf den Knieen liegend angebetet wurden? Und sie gedachte der schmählichen Freundschaft, welche zwischen Adeline d'Espanet und Susanne Haffner bestand und über die man mitunter sogar bei den Montagsempfängen der Kaiserin lächelte. Sie erinnerte sich an die Geschäfte der Frau von Lauwerens, die von den Ehemännern ihrer tadellosen Lebensweise, ihres Ordnungssinnes und der Pünktlichkeit wegen gepriesen wurde, mit welcher sie ihre Lieferanten bezahlte. Sie führte Frau Daste, Frau Teissière, die Baronin von Meinhold und die übrigen Geschöpfe an, die ihren Luxus von ihren Liebhabern bezahlen ließen und die in den Herrenkreisen gleich den Werthpapieren an der Börse ihren Kurs hatten. Frau von Guende war so dumm und so herrlich gebaut, daß sie zu gleicher Zeit drei höhere Offiziere zu Geliebten hatte, die sie an ihren Uniformen nicht zu unterscheiden vermochte, so daß sie, wie die boshafte Luise behauptete, gezwungen war, dieselben bis auf's Hemd entkleiden zu lassen, damit sie wisse, mit welchem von den Dreien sie sprach. Die Comtesse Vanska hingegen hatte eine lange Reihe von öffentlichen Lokalen hinter sich, in denen sie gesungen hatte und die Zeit war gar nicht so fern, da sie in schlechte Zitzstoffe gekleidet, gleich einer auf Beute ausziehenden Wölfin über die Boulevards strich. Jede dieser Frauen hatte ihre Schmach, ihre offene Wunde, mit welcher sie sozusagen triumphirte. Und über Alle emporragend sah man die häßliche, alte abgelebte Herzogin von Sternich mit dem Glorienschein, welchen ihr eine im Bette des Kaisers verbrachte Nacht verlieh. Dies war das offizielle Laster, welches selbst die Ausschweifung mit einer gewissen Hoheit umgab und ihr eine Art Ueberlegenheit über diese Schaar auserlesener Buhlerinen verlieh.

      Die Blutschänderin gewöhnte sich denn an ihre Schuld wie an ein Galakleid, dessen Steifheit ihr anfänglich lästig gewesen. Sie folgte der Mode ihrer Zeit, kleidete und entkleidete sich nach dem Beispiele der Anderen. Schließlich gelangte sie zu der Ansicht, daß sie inmitten einer Welt lebe, die über die gewöhnliche Moral erhaben sei, in welcher sich die Sinne verfeinerten und entwickelten und es gestattet war, sich zur Freude des ganzen Olymp's auch nackt sehen zu lassen. Das Schlechte wurde ein Luxus, eine Blume, die man ins Haar steckte, ein Diamant in der Mitte der Stirne. Und gleich einer Rechtfertigung und Erlösung sah sie im Geiste wieder den Kaiser vor sich, wie er am Arme des Generals durch die Doppelreihe der demüthig geneigten Schultern schritt.

      Nur ein einziger Mann: Baptiste, der Kammerdiener ihres Gatten, beunruhigte sie noch immer. Seitdem Saccard wieder galant geworden, schien sich dieser bleiche, würdige Lakai mit der Feierlichkeit eines stummen Vorwurfes um sie zu bewegen. Er schaute sie gar nicht an, sein kalter Blick glitt über sie, über ihren Chignon mit der Züchtigkeit eines Kirchendieners hinweg, der seine Augen nicht durch den Anblick der Haare einer Sünderin besudeln will. Sie bildete sich ein, daß er Alles wisse und hätte sie es gewagt, so würde sie sein Schweigen zu erkaufen versucht haben. Ein Unbehagen erfaßte sie und eine Art unfreiwilliger Hochachtung überkam sie, wenn sie Baptiste begegnete, denn sie sagte sich, daß die ganze Rechtschaffenheit ihrer Umgebung unter dem schwarzen Gewande dieses Lakaien Zuflucht genommen habe.

      Eines Tages richtete sie die Frage an Céleste:

      »Pflegt Baptiste im Gesindezimmer Scherze zu machen? Hat er keinerlei Abenteuer ober Maitressen?«

      »Mir ist nichts bekannt,« begnügte sich die Dienerin zur Antwort zu geben.

      »Er wird Ihnen aber doch den Hof gemacht haben?«

      »Ah, er würdigt die Frauen keines Blickes und wir bekommen ihn kaum zu Gesicht ... Er ist immer beim Herrn oder in den Ställen. Er sagt, daß er ein großer Freund der Pferde sei.«

      Gereizt durch diese Rechtschaffenheit forschte Renée weiter; sie wollte etwas in Erfahrung bringen, um ihre Leute verachten zu können und obgleich sie für Céleste eine gewisse Zuneigung empfand, wäre sie doch erfreut gewesen, wenn sie gewußt hätte, daß das Mädchen Liebhaber besaß. »Aber Sie, Céleste, finden Sie nicht, daß Baptiste ein hübscher Junge sei?«

      »Ich, Madame?« rief die Dienerin mit der überraschten Miene einer Person aus, die etwas Unglaubliches vernommen. »Oh! ich habe ganz andere Gedanken und von einem Manne will ich nichts wissen. Ich habe meinen Plan, wie Sie sehen werden, wenn der richtige Augenblick gekommen sein wird. Ich bin nicht dumm ...«

      Weiter vermochte Renée nichts aus ihr herauszubekommen. Im Uebrigen wurden ihre Sorgen mit jedem Tage größer. Ihre geräuschvolle Lebensweise, ihre tollen Launen, denen sie zu genügen suchte, stießen auf zahlreiche Hindernisse, welche sie zu überwinden gezwungen war und an denen zuweilen ihr Wille scheiterte. So richtete sich eines Tages Luise de Mareuil zwischen ihr und Maxime empor. Sie war nicht eifersüchtig auf »die Buckelige«, wie sie sie verächtlich nannte; sie wußte, daß dieselbe von den Aerzten aufgegeben sei und konnte nicht glauben, daß sich Maxime jemals dazu verstehen würde, solch ein häßliches Wesen, selbst um den Preis einer Million zu heirathen. Trotzdem sie so tief gesunken war, hatte sie sich eine gewisse spießbürgerliche Naivität bewahrt, wo es sich um Personen handelte, die sie liebte und wenn sie sich selbst auch verachtete, so hielt sie jene dennoch gerne für überlegene und durchaus ehrenwerthe Menschen. Indem sie aber den Gedanken an eine Heirath, die ihr eine häßliche Ausschweifung und ein Diebstahl zugleich dünkte, energisch von sich wies, litt sie durch den vertraulichen, kameradschaftlichen Verkehr der jungen Leute. Wenn sie mit Maxime über Luise sprach, so lachte er behaglich, erzählte ihre neuesten Scherze und sagte:

      »Weißt Du, die Schelmin nennt mich ihren kleinen Mann.«

      Und dabei bekundete er eine solche Unbefangenheit, daß sie ihn nicht darauf aufmerksam zu machen wagte, daß diese »kleine Schelmin« siebzehn Jahre alt sei und daß ihre Spielereien mit den Händen, ihre Eile, mit welcher sie in den Salons die dunkelsten Ecken aufsuchten, um sich daselbst über die Gesellschaft lustig zu machen, hinreichend waren, um sie zu kränken und ihr die schönsten Abende zu verderben.

      Hierzu gesellte sich ein Vorfall, der der ganzen Situation einen absonderlichen Anstrich verlieh. Renée empfand häufig das Bedürfniß einer Prahlerei, die Laune brutaler


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