Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
Читать онлайн книгу.Maxime des Nachts, bei hellem Mondschein, im Monceau-Park zu schwärmen. Sie besuchten die Grotte, ließen sich im Grase nieder und blickten zu den Sternen empor. Als die junge Frau aber den Wunsch äußerte, eine Spazierfahrt auf dem kleinen Teich zu unternehmen, bemerkten sie, daß die Barke, die man auch aus den Fenstern des Hauses sah und die am Rande einer Allee angelegt war, keine Ruder hatte. Offenbar wurden dieselben des Abends entfernt. Dies war eine Enttäuschung; außerdem wurden die Liebenden durch die ausgedehnten Schatten des Parkes beunruhigt. Sie hätten am liebsten daselbst ein venetianisches Fest mit rothen Lampions und Musik veranstaltet. Bei Tage gefiel ihnen der Park doch besser und mitunter setzten sie sich an ein Fenster, um die durch die große Allee vorüberrollenden Equipagen zu sehen. Sie fanden großes Gefallen an diesem reizenden Winkel des neuen Paris, an dieser reinlichen, liebenswürdigen Natur, an diesen Sammtstücken vergleichbaren Rasenflächen, an den wohlgehegten Hecken und Blumenbeeten. Die Wagen verkehrten hier ebenso zahlreich wie auf einem Boulevard und die Damen zogen ihre Kleider ebenso anmuthig hinter sich her, als hätten sie noch den Teppich ihres Salons unter den Füßen. Und durch das Laubwerk hindurch kritisirten sie die Toiletten, zeigten sie einander Wagen und Pferde und freuten sich herzlich über die zarten Farbenabstufungen dieses großen Gartens. Zwischen zwei Bäumen sah man ein Stück des vergoldeten Gitters glänzen, eine Schaar von Enten schwamm über den Teich, die kleine Brücke glänzte freundlich hell zwischen dem frischen Grün, während auf beiden Seiten der großen Allee gelbe Stühle standen, welche von Müttern und Kindeswärterinen besetzt waren, die in eifrigem Geplauder vertieft, an die kleinen Knaben und Mädchen ganz vergaßen, die munter und sorglos mit einander spielten.
Die Liebenden fanden Gefallen an dem neuen Paris. Häufig fuhren sie durch die Stadt und machten sogar Umwege, nur damit sie gewisse Boulevards, an die sie eine Art persönlicher Zuneigung knüpfte, sehen könnten. Die hohen Häuser mit den großen, geschnitzten Thoren und zahlreichen Balkonen, auf welchen in goldener Ausführung Namen, Aushängschilder, Firmentafeln glänzten, erfüllten sie mit Entzücken. Während der Wagen dahinrollte, folgten sie mit liebevollem Blick der endlosen grauen Linie der breiten Trottoirs mit ihren Bänken, buntscheckigen Säulen und mageren Bäumchen. Die helle Oeffnung des Horizonts, diese ununterbrochene Doppelreihe der großen Verkaufsläden, in welchen die dienstbereiten Angestellten den Käufern entgegeneilten, diese wogende, summende Menschenmasse, – all' dies erfüllte sie allmälig mit einer vollen, absoluten Befriedigung, mit einem Gefühl des Glückes. Sie liebten dieses Straßenleben bis zu den Wasserstrahlen der Spritzschläuche, die gleich einem weißen Dampf von den Pferden aufstiegen und in seinem Regen unter die Wagenräder dringend, den Boden überflutheten und eine schwache Staubwolke emporwirbelten. Immer weiter fuhren sie und es schien ihnen, als rollte der Wagen über einen Teppich, längs dieses schnurgeraden, schier endlosen Weges, den man blos angelegt hatte, damit sie nicht durch enge, dunkle Straßen zu fahren genöthigt seien. Jeder Boulevard wurde für sie ein Korridor ihres Hauses. Lachend lagen die wärmenden Sonnenstrahlen auf den neuen Façaden, die Schaufenster blinkten und leise hoben und senkten sich die Leinwanddächer der fliegenden Verkaufsstände und der Kaffeehäuser, während sich das Asphalt unter den Füßen der geschäftigen Menge zu erwärmen schien. Und wenn sie ein wenig betäubt durch das glänzende Wirrsal des Gesehenen nach Hause kamen, so erholten sie sich an dem Anblick des friedlich daliegenden Monceau-Parkes, als bildete derselbe den natürlichen Ruhepunkt dieses neuen Paris, welches seine Pracht bei den ersten Strahlen der Frühlingssonne entfaltete.
Wenn die Mode sie zwang, Paris zu verlassen, begaben sie sich in ein Seebad, voll Bedauern einen Vergleich zwischen dem Gestade des Meeres und den Trottoirs des Boulevards ziehend. Selbst ihre Liebe langweilte sich dort. Diese war eine Treibhausblüthe, welche des großen Bettes in Grau und Rosa nicht entbehren konnte, ebensowenig wie des fleischfarbenen Zeltes und der goldenen Morgenröthe des kleinen Salons. Seitdem sie sich des Abends allein am Meeresufer befanden, hatten sie einander nichts zu sagen. Sie versuchte die übermüthigen Lieder aus dem Variétés-Theater auf einem alten, wackeligen Pianino zu spielen, welches in ihrem Hôtelzimmer schlummerte; das von der feuchten Seeluft gänzlich ruinirte Instrument aber gab nur klägliche Töne von sich, so daß die Couplets aus der »Schönen Helena« sich wie Trauermärsche anhörten. Um sich selbst zu trösten, setzte die junge Frau durch ihre phantastischen Kostüme das ganze Gestade in Erstaunen. Sämmtliche Damen, die hier anwesend waren, gähnten, langweilten sich, sehnten den Winter herbei und suchten mit verzweiflungsvoller Hast nach einem Badekostüm, welches sie nicht zu sehr verunstaltete. Niemals vermochte Renée Maxime dazu zu bewegen, daß er ein Bad nehme. Er fürchtete sich geradezu entsetzlich vor dem Wasser, wurde ganz bleich, wenn dasselbe seinen Fuß benetzte und hätte sich um nichts in der Welt dem Ufer genähert. Er machte weite Umwege, um einem Tümpel, einer etwas steilen Uferstelle auszuweichen.
Saccard fand sich zwei- oder dreimal ein, um nach »den Kindern« zu sehen. Er sagte, daß ihn die Sorgen zu Boden drückten. Erst Ende Oktober, als alle Drei nach Paris zurückgekehrt waren, dachte er ernstlich daran, sich seiner Frau zu nähern. Die Charonner Angelegenheit wurde immer reifer. Sein Plan war ebenso einfach als brutal. Er rechnete darauf, daß er sich Renée's auf dieselbe Weise wie einer Dirne bemächtigen werde. Ihre Geldverlegenheiten wurden immer drückendere und aus Stolz wendete sie sich an ihren Gatten nur, wenn die Noth zum Höchsten gestiegen war. Saccard nahm sich nun vor, ihr nächstes Anliegen sich zu Nutze zu machen, um galant zu sein und in der Freude über eine bedeutende Schuld, die er bezahlen wollte, die längst gelockerten ehelichen Bande wieder fester zu knüpfen.
Die ärgsten Verlegenheiten harrten Renée's und Maxime's in Paris. Mehrere der Wechsel, welche man Larsonneau gegeben, waren fällig geworden; da Saccard dieselben aber friedlich bei dem Gerichtsvollzieher ruhen ließ, so ward die junge Frau nur wenig davon beunruhigt. Viel mehr erschreckte sie ihre Schuld bei Worms, die sich gegenwärtig auf beiläufig zweihunderttausend Francs belief. Der Schneider forderte eine größere Abschlagszahlung, widrigenfalls er jeden weiteren Credit zu verweigern drohte. Sie erschauerte, wenn sie an den Skandal eines Prozesses und insbesondere an die Möglichkeit eines Bruches mit dem berühmten Kleiderkünstler dachte. Außerdem bedurfte sie Taschengeldes. Sie und Maxime kamen fast um vor Langeweile, wenn sie nicht täglich ein paar Louis zu verausgaben hatten. Das geliebte Kind befand sich auf dem Trockenen, seitdem es die Schubfächer seines Vaters vergebens durchsuchte. Seine Treue, seine musterhafte Aufführung während sieben oder acht Monate hatte ihren eigentlichen Grund in der absoluten Leere seiner Börse. Er verfügte nicht immer über die zwanzig Francs, deren er bedurfte, um ein gelegentlich getroffenes Dämchen zum Souper zu laden und so kam er denn zumeist hübsch solid nach Hause. Bei jedem Ausfluge, den sie mit einander unternahmen, übergab ihm die junge Frau ihre Börse, damit er in den Restaurants, auf den Bällen, in den kleinen Theatern die beiderseitigen Kosten bezahle. Sie behandelte ihn nach wie vor gewissermaßen mütterlich und sie bezahlte sogar bei dem Konditor, zu dem sie sich jeden Nachmittag begaben, um kleine Austernpasteten zu verzehren. Häufig fand er des Morgens in seiner Westentasche einige Louisd'ors, von deren Vorhandensein er keine Kenntniß gehabt und die sie dorthin praktizirt hatte, gleichwie eine Mutter die Börse eines Schulknaben füllt. Und nun sollte diese schöne Zeit der Imbiße, befriedigten Launen und leichten Vergnügungen mit einem Male ein Ende nehmen! Hierzu gesellte sich noch eine größere Angst. Der Juwelenhändler Sylvia's, dem er zehntausend Francs schuldig war, verlor die Geduld und sprach davon, eine Klage anzustrengen, ihn in Schuldhaft setzen zu lassen. Die seit langer Zeit protestirten Wechsel, die er in Händen hatte, waren derart mit Spesen überladen, daß die Schuld um drei- oder viertausend Francs zugenommen hatte. Saccard erklärte rundheraus, daß er nichts thun könne. Wenn sein Sohn in den Schuldthurm käme, so würde dies allgemeines Aufsehen erregen und wenn er ihn aus demselben befreien würde, so müßte diese väterliche Freigebigkeit ihm nur zum Ruhme gereichen. Renée war in Verzweiflung; sie sah ihr geliebtes Kind bereits im Gefängniß, in einem wirklichen Kerker, wo er auf feuchtem Stroh liegen mußte. Eines Abends machte sie ihm in allem Ernste den Vorschlag, er möge sie nie mehr verlassen und nur bei ihr leben, ohne daß Jemand wisse, wohin er gerathen. Dann wieder schwor sie, daß sie das Geld auftreiben werde. Niemals erwähnte sie den Ursprung dieser Schuld, sprach niemals von dieser Sylvia, die ihre Liebesgeheimnisse den Spiegeln in den Restaurantskabineten anvertraute. Sie mußte fünfzigtausend Francs auftreiben: fünfzehntausend für Maxime, dreißigtausend für Worms und fünftausend Francs Taschengeld. Hiedurch würden ihnen wieder volle vierzehn glückliche