Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola
Читать онлайн книгу.Liebenden lachten auch über diese Geschichte, worauf Maxime mit seiner einschmeichelnden Stimme fortfuhr:
»Wenn Du mich mit Deinem Wagen vom Colleg abholtest, mochten wir uns Beide drollig ausnehmen... Ich verschwand ja ganz unter Deinen Röcken, da ich so klein war.«
»Ja, ja,« stammelte sie, von einem wonnigen Schauer erfaßt und zog den jungen Mann noch fester an sich; »Das war so gut, wie Du sagst... Wir liebten uns ohne es zu wissen, nicht wahr? Ich wußte es aber früher als Du. Als wir neulich Abends aus dem Bois heimkehrten, streifte ich Dein Bein und erschauerte dabei... Du aber hast es gar nicht wahrgenommen. Wie? Du dachtest gar nicht an mich?«
»Ah doch!« erwiderte er ein wenig verlegen. »Nur wußte ich nicht, Du begreifst doch ... Ich wagte nicht...«
Er log. Der Gedanke, Renée zu besitzen, war ihm niemals klar zum Bewußtsein gekommen. Er hatte in seiner Lasterhaftigkeit den Gedanken gestreift, ohne eigentlich nach Renée's Besitz zu verlangen. Er war viel zu lässig, als daß er sich einer derartigen Anstrengung unterzogen hätte. Er nahm Renée's Besitz hin, weil sie sich ihm selbst anbot und er in ihr Bett gelangt war, ohne es gewollt, ohne es vorausgesehen zu haben. Dort angelangt, blieb er dort, weil es angenehm warm war und er überall liegen blieb, wohin er fiel. Im Anfange empfand er sogar etwas wie befriedigte Eigenliebe Es war das die erste verheirathete Frau, die er besaß; doch dachte er nicht daran, daß der Gatte derselben sein Vater sei.
Renée aber genoß ihren Fehltritt mit dem ganzen Eifer ihres entarteten Herzens. Auch sie war den Abhang hinabgeglitten, doch nicht gleich einem willenlosen Wesen am Ende desselben angelangt. Das Verlangen war in ihr zu spät erwacht, als daß sie dasselbe noch zu bekämpfen vermocht hätte, während ein Sturz bereits unvermeidlich schien. Dieser Sturz dünkte ihr mit einem Male eine nothwendige Folge der Langeweile, die sie empfand, ein seltener, außerordentlicher Genuß, der nur allein ihre erschlafften Sinne, ihr empfindungsloses Herz zu neuem Leben zu erwecken vermochte. Auf jener Spazierfahrt durch das entschlummernde Bois, als sich die herbstliche Abenddämmerung herabsenkte, war ihr der unbestimmte Gedanke der Blutschande gekommen, gleich einem Kitzel, der ihre Haut einen unbekannten Schauer empfinden ließ und des Abends, als sie sich halb trunken vom Diner erhob und der Stachel der Eifersucht sich in ihr Herz bohrte, gewann dieser Gedanke Gestalt und Form, richtete er sich unwiderstehlich auf vor ihr, als die betäubenden Düfte des Treibhauses sie umwallten und sie Maxime und Luise vor sich sah. Damals hatte sie das Böse erstrebt, das Böse, das Niemand begeht, das ihre leere Existenz ausfüllen und sie endlich jene Hölle empfinden lassen sollte, vor welcher sie sich noch immer fürchtete, wie zur Zeit, da sie noch ein kleines Mädchen war. Am nächsten Morgen aber hatte sie es nicht mehr gewollt, denn etwas wie Lässigkeit und Gewissensbisse regte sich in ihr. Es schien ihr, als hätte sie bereits gesündigt, als wäre dies nicht so gut, wie sie gedacht und wirklich zu unfläthig. Die Krise mußte unausweichlich werden, mußte von selbst eintreten, unabhängig von diesen zwei Wesen, diesen Kameraden, deren Bestimmung war, sich eines schönen Abends zu täuschen, sich zu paaren, in der Meinung, sie hätten einander blos die Hände gereicht. Doch nach diesem blöden Fall setzte sie ihren Traum eines namenlosen Glückes fort und so riß denn sie wieder Maxime in ihre Arme, um ihn zu besitzen, um die grausamen Freuden einer Liebe zu genießen, welche sie für ein Verbrechen ansah. Sie willigte ein in die Blutschande und verstand sich dazu, dieselbe bis zu Ende zu verkosten, bis zu den Gewissensbissen, wenn sich dieselben jemals melden sollten. Sie handelte thatkräftig, in vollem Bewußtsein. Sie liebte mit dem vollem Eifer der großen Dame und ergötzte sich mit dem ganzen Abscheu der Dame, die sich in Selbstverachtung ertränkt, an ihrem Laster.
Maxime fand sich jede Nacht ein. Gegen ein Uhr Morgens langte er durch den Garten an. Zumeist erwartete ihn Renée im Treibhause, welches er durchschreiten mußte, um in den kleinen Salon zu gelangen. Im Uebrigen bekundeten Beide keinerlei Scheu; sie versteckten sich kaum und ließen die einfachsten Vorsichtsmaßregeln der Ehebrecher außer Acht. Allerdings gehörte dieser Theil des Hôtels beinahe ausschließlich ihnen. Nur Baptiste, der Kammerdiener des Gatten, durfte sich daselbst einfinden und als ernster, seiner Stellung bewußter Mann zog sich Baptiste zurück, sobald er seinen Obliegenheiten nachgekommen. Maxime behauptete sogar lachend, daß er sich zurückziehe, um seine Memoiren zu schreiben. Als er eines Nachts anlangte, zeigte ihm Renée den Diener, der mit einer brennenden Kerze in der Hand, feierlich durch den Salon schritt. Mit seinem Gesichte, welches würdevoll wie das eines Ministers und von dem gelben Schein der Wachskerze beleuchtet war, erschien der Mann heute noch korrekter und strenger als sonst. Als sich die Liebenden ein wenig nach vorne neigten, sahen sie ihn die Kerze auslöschen und den Stallungen zuschreiten, wo die Pferde und Stallknechte schliefen.
»Er macht seine Runde,« sagte Maxime.
Renée erschauerte. Baptiste beunruhigte sie gewöhnlich. Sie behauptete, daß er der einzige rechtschaffene Mensch im Hause sei, mit seiner Kälte, seinen Blicken, die sich niemals auf die Schultern der Frauen hefteten.
Sie beobachteten fortan etwas mehr Vorsicht. Sie verschlossen die Thüren des kleinen Salons und konnten nun in aller Sicherheit sich an diesem Salon, dem Treibhause und an den Gemächern Renée's erfreuen. Dies war eine ganze Welt. Während der ersten Monate verkosteten sie die raffinirtesten und mit größter Sachkenntniß vorbereiteten Genüsse. Sie genossen ihre Liebe in dem großen, graurothen Bette des Schlafgemaches, in der rosig-weißen Nacktheit des Ankleidezimmers und der Symphonie in gedämpftem Gelb des kleinen Salons. Jedes Gemach gewährte ihnen dank seinem eigenen Dufte, seinen besonderen Tapeten und seinem speziellen Leben verschiedene Zärtlichkeitsabstufungen, machte aus Renée eine andere Liebesgöttin; sie war hübsch und zart in ihrem gepolsterten Lager der großen Dame, in diesem lauen, aristokratischen Zimmer, welches der Liebe einen Anstrich des guten Geschmackes verlieh; unter dem fleischfarbenen Zelt, inmitten der Düfte und nach der feuchten Umarmung des Bades, war sie die launenhafte und sinnliche Dirne, die sich hingab, wenn sie dem warmen Wasser entstieg und hier zog Maxime sie am liebsten in seine Arme; unten aber, in dem Sonnenschein des kleinen Salons, inmitten des gelben Glorienscheins, der ihr Haar vergoldete, wurde sie zur Göttin mit ihrem blonden Dianenhaupte, ihren nackten Armen, die sich so keusch und anmuthig bewegten und mit dem reinen, fleckenlosen Leibe, der in so edlen Linien, mit so antiker Anmuth auf dem Sopha ruhte. Doch gab es einen Ort, vor welchem sich Maxime beinahe fürchtete und wohin ihn Renée nur an schlimmen Tagen zog, an solchen Tagen, da sie einer betäubenderen Freude bedurften. Dieser Ort war das Gewächshaus. Hier genossen sie so recht die Blutschande.
Eines Nachts, in einer angstvollen Stunde hatte die junge Frau ihren Geliebten aufgefordert, er möge eines der schwarzen Bärenfelle holen. Sodann hatten sie sich auf diesem dunklen Fell, am Rande des Wasserbeckens ausgestreckt. Draußen fror es fürchterlich und der Mond verbreitete ein ungewisses Licht. Maxime war frierend angelangt; Ohren und Finger waren ihm beinahe abgefroren. In dem Treibhause aber herrschte eine solche Hitze, daß er auf dem weichen Thierfell liegend, von einem Unwohlsein erfaßt wurde. Nach dem trockenen Prickeln der Kälte überkam ihn ein flammendheißes Gefühl, daß er ein Stechen empfand, als hätte man ihn mit Gerten gestrichen. Als er sich erholt hatte, sah er Renée über ihn geneigt, mit stieren Augen, in einer brutalen Haltung, die ihm Furcht einflößte. Mit wirr herunterhängendem Haar und nackten Schultern stützte sie sich auf beide Hände, mit gestrecktem Rücken vorgeneigt, gleich einer großen Katze, deren Augen in schwefelfarbenem Lichte glänzen. Auf dem Rücken liegend, bemerkte der junge Mann über die Schultern dieses entzückenden liebenden Wesens hinweg, welches ihn anblickte, die Marmorsphinx, deren glänzende Lenden vom Monde beschienen wurden. Renée hatte ganz die Haltung und das Lächeln dieses Ungeheuers mit dem Frauenkopfe und in ihren halb herabgeglittenen Röcken schien sie die weiße Schwester dieses schwarzen Gottes zu sein.
Maxime war noch immer matt. Die Hitze wirkte betäubend; eine dumpfe, schwere Hitze, die nicht als Feuerregen vom Himmel fiel, sondern schwerfällig auf dem Boden ruhte, gleich einer ungesunden Ausdünstung, deren Dampf ähnlich einer gewitterschweren Wolke, langsam in die Höhe stieg. Eine warme Feuchtigkeit rieselte gleich dem Schweiß von den Liebenden. Lange verharrten sie schweigend und regungslos in diesem Flammenbade: Maxime erschlafft und kraftlos, Renée zitternd auf ihren Fäusten wie auf nervigen, üppigen Beinen ruhend. Durch die kleinen Glasscheiben konnte man die dunkeln Umrisse der Bäume, die weißen Rasenflächen sehen, welche an gefrorene Seen erinnerten, –