Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

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Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen - Emile Zola


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fordern. Nach den von mir aufgestellten Berechnungen beläuft sich die Forderung heute auf einen Betrag von zwei Milliarden neunhundertdreiundvierzig Millionen zweihundertzehntausend Francs ... Seien Sie nur ganz unbesorgt, früher oder später wird der Sieg dennoch mein sein.«

      »Bis dahin,« sagte die junge Frau ein wenig ironisch, »würde ich es mit besonderem Dank anerkennen, wenn Sie mir hunderttausend Francs vorstrecken wollten ... Ich könnte meinen Schneider bezahlen, der mich arg quält.«

      »Hunderttausend Francs können sich finden,« erwiderte Frau Sidonie ruhig. »Es handelt sich blos darum, einen Preis für dieselben zu bestimmen.«

      Das Kaminfeuer flackerte; um sich eine behaglichere Lage zu verschaffen, streckte Renée die Füße aus, wodurch am Saume ihres Morgengewandes die Spitze der zierlichen Pantoffel sichtbar wurden. Die Unterhändlerin nahm mitleidigen Tones von Neuem auf:

      »Armes Kind, Sie sind wirklich unvernünftig ... Ich kenne viele Frauen; doch ist keine derselben so sorglos in Bezug auf ihre Gesundheit wie Sie. Sehen Sie einmal diese kleine Michelin; die weiß sich die Dinge einzurichten! Unwillkürlich denke ich an Sie, wenn ich die niedliche Person glücklich und wohlgemuth sehe ... Wissen Sie, daß Herr von Saffré sterblich in sie verliebt ist und ihr bereits Geschenke im Werthe von mehr als zehntausend Francs gemacht hat? ... Ich glaube, daß sie gerne ein hübsches Landhaus besitzen möchte ...«

      Sie sprach lebhafter als bisher und suchte ihre Tasche.

      »Da habe ich den Brief einer armen jungen Frau bei mir ... Wenn wir hier Licht hätten, so könnten Sie ihn lesen ... Denken Sie nur, ihr Gatte bekümmert sich gar nicht um sie. Sie hatte Wechsel unterschrieben und sich an einen Herrn wenden müssen, den ich genau kenne. Ich habe die Wechsel selbst aus den Händen der Gerichtsvollzieher gerissen, was keine geringe Mühe kostete... Die armen Kinder! Glauben Sie etwa, das dieselben etwas Unrechtes thun?

      Ich empfange sie in meiner Wohnung, als wären sie mein Sohn und meine Tochter.«

      »Sie kennen einen Geldverleiher?« fragte Renée nachlässig.

      »Ich kenne deren zehn, wie Sie sich wohl denken können ... Wenn Frauen unter einander sind, so können sie über gar viele Dinge sprechen, nicht wahr? Und ich werde Ihren Gatten nicht entschuldigen, weil er mein Bruder ist, wenn er hinter den Dirnen einherläuft und einen Schatz von einer Frau, wie Sie sind, am Kaminfeuer daheim verkümmern läßt ... Diese Laura d'Aurigny kostet ihm ein ungeheures Geld. Es würde mich gar nicht wundern, wenn er Ihnen welches verweigert... Er hat Ihnen Geld verweigert, nicht wahr, Schatz? ... Oh über den Unglücklichen!«

      Behaglich hörte Renée die weiche Stimme aus dem Schatten hervortönen, als wäre dieselbe der noch undeutliche Widerhall ihrer eigenen Träume. Mit halb geschlossenen Augen in ihrem Fauteuil liegend, wußte sie gar nicht mehr, daß Frau Sidonie zugegen sei und sie glaubte zu träumen, daß schlechte Gedanken sie heimsuchten und sie schmeichelnd zu verführen trachteten. Die Unterhändlerin sprach lange, daß es einem gleichförmig lauwarmen Wasserfall glich.

      »Nur Frau von Lauwerens hat Ihre Existenz zerstört; ... doch Sie wollten mir niemals glauben. Ach! Sie würden nicht trauernd an Ihrem Kamin sitzen, wenn Sie mir nicht mißtraut hätten ... Und ich liebe Sie doch, als wären Sie mein eigen Fleisch und Blut. Sie haben ein entzückendes Füßchen. Sie werden mich auslachen und dennoch will ich Ihnen meine Thorheit gestehen: wenn ich Sie drei Tage lang nicht gesehen habe, so muß ich mich unbedingt hier einfinden, um Sie bewundern zu können; ja, ja, sonst fehlt mir etwas und ich muß mich an dem Anblick Ihrer herrlichen Haare, Ihres zarten, lieblichen Gesichtes, Ihrer reizenden Taille sättigen. Wahrhaftig, ich habe noch nichts gesehen, was sich mit derselben vergleichen ließe.«

      Renée lächelte. Nicht einmal ihre Liebhaber gaben eine solche Wärme, eine derartige Begeisterung kund, wenn sie ihr von ihrer Schönheit sprachen. Frau Sidonie gewahrte dieses Lächeln.

      »Abgemacht also,« sagte sie und erhob sich rasch. »Ich schwatze und schwatze und vergesse ganz, daß Sie Kopfschmerzen haben ... Morgen kommen Sie doch, nicht wahr? Wir werden über Geldfragen sprechen und Jemanden suchen, der Geld vorzustrecken bereit wäre.. Wir werden uns verständigen, denn ich will, daß Sie glücklich seien.«

      Ohne sich zu regen, gleichsam erschlafft durch die Wärme, erwiderte die junge Frau nach einer Weile, als hätte es einer angestrengten Arbeit ihres Gehirns bedurft, um zu begreifen, was rings um sie her gesprochen wurde:

      »Ja, ich werde kommen, das ist abgemacht und wir werden plaudern; doch nicht morgen... Worms wird sich mit einer Anzahlung begnügen. Wenn er mich wieder mit seinen Geldforderungen quälen wird, werden wir weiter sehen ... Sprechen Sie mir gar nicht mehr über diese Dinge; der Kopf braust mir schon vor lauter Nachdenken.«

      Frau Sidonie schien sehr enttäuscht. Sie wollte sich wieder setzen und ihren schmeichelnden Monolog von Neuem beginnen; die schlaffe Haltung Renée's veranlaßte sie aber, ihren Angriff bis zu einem günstigeren Moment zu verschieben. Sie nahm eine Menge Papiere aus ihrer Tasche und holte nach einigem Suchen zwischen denselben eine kleine rosenrothe Schachtel hervor.

      »Ich bin nur gekommen, um Ihnen eine neue Seife zu empfehlen,« sagte sie in ihren gewohnten geschäftsmäßigen Ton verfallend. »Ich interessire mich ungemein für den Erfinder derselben, der ein reizender junger Mann ist. Die Seife ist sehr angenehm und unentbehrlich für die Pflege der Haut. Sie werden sie doch versuchen, nicht wahr? und auch Ihren Freundinen empfehlen ... Ich lege sie da auf die Kaminplatte her.«

      Sie stand bereits an der Thür, als sie zurückkehrte und sich mit ihrem wachsfarbenen Gesicht in die rosige Beleuchtung des Kamins wagend, einen elastischen Gürtel zu rühmen begann, der die Bestimmung hatte, das Mieder zu ersetzen.

      »Derselbe verleiht Ihnen eine absolut runde Taille, eine wirkliche Wespentaille,« sagte sie. »Ich habe die Erfindung aus einem Bankerott gerettet. Wenn Sie zu mir kommen, werden Sie ihn versuchen, sobald es Ihnen recht ist... Während einer ganzen Woche hatte ich mit den Behörden zu thun. Ich habe alle Prozeß-Akten bei mir und begebe mich von hier unverzüglich zu meinem Anwalt, um eine letzte Schwierigkeit hinwegzuräumen ... Auf Wiedersehen, mein Schatz. Sie wissen, daß ich Sie erwarte und Ihre schönen Augen trocknen will.«

      Damit verschwand sie wieder in dem Dunkel und glitt zur Thür hinaus. Renée vernahm es nicht einmal, als sie dieselbe hinter sich schloß. Sie blieb vor dem langsam ersterbenden Feuer sitzen, in ihre Gedanken versunken, Zahlen hüpften vor ihren geschlossenen Augen und sie vernahm von Weitem die Stimmen Saccard's und der Frau Sidonie mit einander unterhandeln, ihr ansehnliche Summen anbieten in dem Tone eines Gerichts-Vollziehers, der eine öffentliche Versteigerung abhält. Sie fühlte den brutalen Kuß ihres Gatten auf dem Halse und wenn sie sich umwandte, so fand sie die Unterhändlerin vor sich, in ihrem schwarzen Kleide, mit dem fahlen, ausdruckslosen Gesicht, wie sie leidenschaftliche Ansprachen an sie richtete, ihre körperlichen Vorzüge rühmte und mit dem Ungestüm eines Liebhabers, der am Ende seiner Enthaltungskraft angelangt ist, sie um ein Rendezvous anflehte. Dies zwang sie zu lächeln. Die Hitze im Zimmer wurde immer intensiver. Und die Betäubung der jungen Frau, die bizarren Träume, die durch ihren Geist zogen, waren nichts als ein leichter, künstlicher Schlummer, in welchem sie immer wieder das kleine Kabinet im Café Riche und den breiten Divan vor sich sah, auf welchem sie auf die Kniee gesunken war. Sie litt gar nicht mehr. Und als sie die Augen öffnete, glaubte sie Maxime in der rothen Gluth des Kamins vor sich zu sehen.

      Auf dem Balle des Ministers am nächsten Tage erschien Frau Saccard in dem vollen Glanze ihrer strahlenden Schönheit. Worms hatte die Anzahlung von 50,000 Francs angenommen und sie ging mit dem nervösen Lachen einer genesenden Kranken aus dieser Geldkrise hervor. Als sie in ihrer herrlichen Toilette aus rosenrother Faye-Seide mit langer, von kostbaren weißen Spitzen umgebenen Schleppe im Stile Ludwigs XIV. durch die Säle schritt, entstand ein allgemeines Gemurmel der Bewunderung und die Leute stießen einander, um sie sehen zu können. Die Eingeweihten verbeugten sich mit einem Lächeln des Verständnisses und huldigten diesen schönen Schultern, welche das ganze offizielle Paris kannte und welche die festen Säulen des Kaiserthums bildeten. Ihr Kleid war mit einer solchen Verachtung jeglicher Rücksicht ausgeschnitten, sie schritt so ruhig und selbstbewußt in ihrer Nacktheit einher,


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