Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays - Rudolf Stratz


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die war selten! Ihre eigenen Klubgenossen, das wußte er, würden ihnen bei der Heimkehr Vorwürfe machen und die Einwendungen des Malers, daß es sich um die Kunst handle, nicht verstehen. Aber ob sie überhaupt heimkehrten? Wenn ja, dann war das seine letzte derartige Expedition. Der Entschluß stand fest.

      Nach seiner Berechnung hatten sie jetzt noch etwa eine Viertelstunde, bis die Traversierung der Bergwand beendet war. Da plötzlich blieb der Maler dicht vor ihm stehen, griff mit beiden Händen, um sich vor den wütenden Rissen des Föhns zu schützen, in die Steine und schaute über die Schulter hin vor sich nieder.

      Mühsam drängte der andre sich, so gut es die schmale Kante erlaubte, an ihn heran und suchte, die Augen mit der Hand gegen das tolle Schneegestöber schützend, die Fortsetzung des Bandes zu erkennen.

      Es war keine da! Der Felsenleisten brach jäh und unvermittelt ab. In glattem Absturz zog sich die Wand weiter hin, über ihrem Haupte stieg sie senkrecht auf, und unter ihnen war kein fester Punkt zu sehen. Da stäubte und tollte es von Schneeflocken, die der Sturmwind über der unergründlichen Tiefe im Wirbel hin und her trieb.

      Kein Zweifel mehr: sie hatten das falsche Band gewählt. Sie hatten sich verstiegen ... im Schneesturm und bei sinkendem Tag am Matterhorn verstiegen.

      Das war keine Gefahr mehr ... das war schon der nahe Tod! Vorwärts konnte man nicht, und diesen furchtbaren Pfad mit dem immer noch wachsenden Sturm im Rücken zurückzuklimmen, um ein paar hundert Schritt unterhalb ihres Ausgangspunktes sich aufs neue einem übereisten, windumpfiffenen Felsenband anzuvertrauen, das vielleicht auch nicht das rechte war – das versprach wenig Hoffnung auf glückliches Gelingen.

      Er schaute den Professor schweigend an, der neben ihm, zwischen die Felsrippen gepreßt, mit glitzernden Augen in das Chaos starrte, als wolle er all den Wirrwarr der Elemente in sich aufsaugen und zu einem neuen, nie gesehenen Gebilde gestalten. Vorwürfe zu machen, das hatte jetzt keinen Zweck. Der Maler war ebensogut in Lebensnot wie er. Aber zu merken schien er das nicht. Er sah ganz heiter aus, und seine Lippen murmelten unhörbar abgerissene Worte durch das Brausen des Föhns.

      »Was nun, Professor?« Der andre schrie es ihm mit aller Anstrengung ins Ohr.

      Das Männchen machte eine abwehrende Bewegung. »Stören S' mich net!« stieß es hervor, und sein hageres Gesicht, um das der Bart jetzt in vollkommenen Eiszapfen schlotterte, nahm einen bösen, feindseligen Ausdruck an, »wir kommen noch lang 'runter. Jetzt lassen S' mich schauen! Das ist der große Augenblick ...«

      Und wieder blickte er gierig in den Tanz der Nebelfetzen und Schneeflocken zu seinen Füßen. Es war, als zöge es ihn gewaltsam in diese geheimnisvolle, dumpf donnernde Tiefe hinab.

      Sein Gefährte wandte sich ärgerlich von ihm ab. Mit dem irren, verzückten Gnomen jetzt zu reden, hatte keinen Sinn. Er tastete sich allein ein paar Schritte auf der Kante nach rückwärts.

      Ein Windstoß, der ihn heulend von hinten an den Schultern packte, zwang ihn stillzustehen. Aber von demselben gewaltigen Hauch zerrissen auch unter ihm die treibenden Schwaden. Einen Augenblick konnte er dreißig, vierzig Meter tief hinabsehen, und da ... jawohl ... da war die Rettung! Da zog sich, als ein enger halbdunkler Riß, ein Kamin senkrecht von oben nach unten durch den Abhang.

      Die Schwierigkeit war nur, hineinzukommen! Denn eine Felsplatte vom Umfang eines kleinen Zimmers schloß die obere Öffnung ab, sie gleichzeitig vor Steinfall schützend und dem Menschenfuß verwehrend.

      Es mußte gewagt werden, über ihren Rand hinab ins Ungewisse zu turnen. Rasch wickelte er das steif gefrorene, sich widerwillig entrollende Seil los, verknotete ein Ende über einem schräg aufstarrenden Zacken und warf es dann über die Deckplatte hinab in die Tiefe. Dann streifte er die Handschuhe ab – denn mit deren bereifter Fläche wäre er an dem glitschrigen Tau rasch und ohne Halt in den Abgrund gesaust, und steckte sie in die Tasche. Reden konnte man in dem Sturm nicht mehr. So machte er durch Zeichen dem Professor klar, was er vorhabe. Dann verkrallte er beide Hände in dem Seil und ließ sich über den Felsrand in das brausende Luftmeer nieder.

      Ein Zucken der Finger, ein Nachlassen des Arms, und er wäre, wie er, vom Schneegestöber umwirrt, vom Föhn gierig geschüttelt, da frei in dem wesenlosen Nebelraum hing, gleich einem abstürzenden Stein durch Sturm und Wolken auf den Gletscher unten im Tal niedergeflogen, um auf ihm in Atome zu zerschellen. Mit hastigen stählernen Griffen sank er an dem Seile abwärts. Jetzt wölbte sich die Platte schon über ihm. Er gab sich einen Schwung und erreichte, von dem schlenkernden Hanftau getragen, einen Stützpunkt im Kamin.

      Hier war er für den Augenblick geborgen. Selbst der Grimm der Windsbraut brach sich in dieser dumpfen schluchtenartigen Rinne, die sich unter ihm ins Wesenlose senkte. Eng genug war sie freilich und was das schlimmste: er wußte nicht, wie weit das Seil reichte! Geopfert mußte es an dieser Stelle werden. Es war keine Möglichkeit, einen Teil abzuschneiden und an einem neuen Vorsprung zu befestigen. Denn dergleichen gab es nicht in diesem unheimlich glatten, nur hie und da von vereisendem Schnee überfrorenen Kamin. Wie es aber unterhalb der Stelle aussah, an der das Tauende im Wind hin und her schwankte, das mochten die Götter wissen. Gab es da keinen Halt für Fuß und Hand, so war man wiederum so gut wie verloren.

      Mühsam glitt er, halb schwebend, halb mit Schultern, Ellenbogen, Knien und Stiefelspitze sich an das Gestein stemmend, hinab. Zuweilen wurde die Rinne so schmal, daß sein Körper kaum mehr darin Platz hatte und er mit halbem Leibe über die Felswand hinaushing, an der die Glieder niederstrebten, dann wieder trat sie auseinander, daß er ungehindert klettern konnte.

      Nun stand er schwer atmend auf einer Felsenleiste am Ende des Seils. Ein Blick in den stiebenden Schneedunst zu seinen Füßen brachte ihm neue Hoffnung. Völlig konnte sein Auge zwar durch die Flocken nicht durchdringen – aber täuschte es ihn nicht ganz und gar, so schimmerte da, zwölf, fünfzehn Fuß unter ihm, eine weiß überschneite feste Platte.

      Noch einmal packte er das Seil, glitt bis zu seinem äußersten Knoten hinab, schloß die Augen und ließ es los. Beinahe im selben Moment schon empfand er das Aufschlagen seiner Schuhabsätze auf hartem Schnee, er stürzte auf ihn hin, er glitt zwei, drei Schritt über den spiegelnden Firn nach dem Rande zu, dann gewann er Halt und saß aufrecht da.

      Der Orkan hatte sich etwas gelegt. Nur von ganz oben, auf den höchsten Höhen des Berges klang zuweilen ein wütendes Pfeifen und Donnern, mit dem der Sturm die äußerste Spitze des Matterhorns umfegte. Sonst aber löste er sich jetzt für eine kurze Ruhezeit in langgezogenes Klagen, in ein Winseln auf, das langsam die eisigen Halden entlang strich.

      »Aufgepaßt!« Eine unsichtbare Stimme, heiser und scharf wie die eines Raubvogels, warnte aus dem Nebel herab. Gleich darauf flog sausend ein langer, dünner Gegenstand durch die Luft, ein Eispickel, der sich im Winde überschlug und blitzschnell verschwand.

      »Na endlich!« murmelte der unten finster und rieb sich die erstarrten Finger, ehe er wieder die Handschuhe anzog. So hatte sich der Professor doch entschlossen, ihm zu folgen und sich in der Not seiner Bergaxt, die er beim Klimmen doch nicht mehr halten konnte, entledigt.

      Richtig ... da tauchte er in dem Kamin auf. Eine schwärzliche, ruckweise durch die weißen Flocken niedersinkende Masse, die mit einem neuen »Aufgepaßt« und plötzlichem Aufschlag ihm vor die Füße kollerte.

      Er packte ihn und hielt ihn fest. Die beiden saßen im Schnee nebeneinander.

      Der Professor lachte laut auf und faßte mit beiden Händen die Rechte seines Freundes. Er schien in rosigster Laune. Seine Augen strahlten. »Jetzt dank' ich Ihnen aber auch recht schön!« rief er mit verklärtem Gesichtsausdruck, »recht von Herzen dank' ich Ihnen, lieber Freund! Jetzt hab' ich's!«

      »Was denn? ... einen Weg da hinunter?«

      Der Kleine machte eine verächtliche Handbewegung.

      »Lassen S' mich aus mit dem Weg! Wir finden schon einen! Uns beiden tut doch das Matterhorn nix! Aber das Bild hab' ich ... das Bild, wissen S' ... das mir seit Jahren vorgegangen is ... jetzt hab' ich erkannt, was die Berge sind ... jetzt haben sie mir ihr Geheimnis geben müssen ... Jetzt mal' ich ein Bild, daß die Leut' mit gefalteten Händen davorstehen und mich kaum anzuschauen wagen, wann


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