Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays - Rudolf Stratz


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S' voran!« sagte er finster, »wir müssen halt die Wand immer weiter 'runter, wie's eben geht, wenn man kein Seil mehr und nur einen Pickel hat ...«

      Ein mächtiges Poltern wurde über ihnen hörbar. Es kam rasch in dröhnenden Sprüngen näher. Ein Felsblock von riesenhaftem Umfang schoß über die Steilwände zu Tal. Unter der weißen Schneedecke sprühten die roten Feuerfunken, wo er auf das Gestein aufschlug, und lange noch klang von unten der wüste Lärm. Und andre, kleinere Geröllbrocken folgten ringsum. Im Wetterbrauen sah man sie ihre rasche tödliche Bahn ziehen, durch die Pausen des neu erwachenden Sturms hörte man ihr unheilverkündendes Prasseln und Kollern.

      Nur vorwärts ... so rasch wie möglich aus dem Bereich dieses furchtbaren Steinschlags heraus! Wieder begann die Kletterei auf Leben und Tod, über vereiste Klippen schräg hinab, auf hastig gehauenen Stufen über steile Eishänge, halb rutschend, halb niedersteigend zwischen Felsgewirr und Schnee, weiter, immer weiter unter dem Steinhagel, den der Berg an dieser seiner gefürchtetsten Flanke entsendet.

      Man konnte den Feind kaum sehen und kaum hören. Aus dem Schneesturm, der sein Nahen überbrüllte, schoß er plötzlich heran und verschwand ebenso schnell in der Dämmerung. Wie der Soldat in der Schlacht über sich die stiebenden Granatenwolken schaut, an seinem Ohr das scheußliche Singen der Kugeln vernimmt, so erblickten sie über ihren Häupten die in weitem Bogen springenden, in Stücke zerschellenden Steinklumpen, fühlten sie, wie neben ihnen, rings um sie her die oft kaum faustgroßen Unholde niederschossen.

      »Vorwärts!« schrie der Baron durch den Sturm. »Vorwärts, wenn das Wunder geschehen soll, daß wir da lebend herauskommen ...«

      Mit unheimlicher Geschwindigkeit ging es hinab. Und noch immer verschonte sie der Tod.

      Der Professor lachte ... »Das hat keine Not!« rief er von oben seinem Gefährten zu. »Wissen S', wie's im Volkslied heißt: ›Eine jede Kugel, die trifft ja nicht!‹«

      »Lästern S' nicht«, erwiderte der andre dumpf und schwang sich mit rascher Schulterdrehung an einer überhängenden Platte vorbei, »das steht nicht bei uns! Hier sind wir in einer höheren Hand ...«

      Der Zwerg wollte etwas Spöttisches erwidern, als sein Blick auf ein breites, sich unter ihnen öffnendes Couloir fiel. »Triumph!« zeterte er, »Triumph, Baron! da führt ja das Couloir 'runter ... das hab' ich schon lang gesucht ... das ist der rechte Weg ... die reine Chaussee für Leute wie wir ...«

      Allerdings ... durch das Couloir waren sie aufgestiegen! Man sah noch an den vereisten Stellen schwache, vom Schnee überdeckte Überreste der am Morgen gehauenen Stufen.

      Der Baron warf einen prüfenden Blick hinunter. »Wann uns da der Steinschlag trifft ...« murmelte er.

      »Ach was ... Steinschlag« – das Männchen schlüpfte wie ein Wiesel in den Ritz hinein – »solange Sie bei mir sind, hat's keine Gefahr ... das Matterhorn und ich sind zwei gute Freunde ... das hat es mir gesagt ... da oben im Sturm! ›dich hab' ich gern!‹ hat's gesagt ... ›dir tu ich kein Leid an ... ‹«

      Und wirklich verstummte, während sie sich durch die Rinne herabwanden, ganz plötzlich und unheimlich das Prasseln der fallenden Trümmer. Der Wind stöhnte nur in vereinzelten Stößen hoch über ihnen, das Flockengewirr lichtete sich, und die Luft begann merklich heller zu werden.

      »Sehen S' wohl!« Der Professor kletterte geschäftig voraus ... »Das hab' ich gewußt. Ganz behaglich geht's hier herunter. In ein paar Stunden sind wir daheim, und ich morgen früh, wann die Sonne aufgeht, vor der Leinwand. Sie dürfen zuschauen, Freund, wann S' still sind. Das wird schon 's Höchste, sag' ich Ihn' ...«

      Er hatte den Kopf zurück nach oben gedreht, und plötzlich fuhr ein ungläubiges staunendes Entsetzen über sein Gesicht.

      Der andre tat wie er, und alle Muskeln erstarrten ihm in plötzlichem jähem Krampf. »Da kommt der Tod!« das war sein einziger Gedanke.

      Kein einzelner Stein prasselte da nieder. Nein, in betäubendem Krachen und Dröhnen rauschte eine ganze Schutthalde durch den Kamin herab, Steine aller Art, von walnußgroßen Würfeln bis zum ungefügen Block, rechts und links an die Wände prasselnd, in Sturmeseile niederstrebend auf die beiden Männer, die, in den Felsen gefangen, sie wehrlos erwarten mußten.

      Und doch ... der Bruchteil einer Sekunde war noch Zeit. Mit einem ungeheuren Satze schwang sich der Baron schon fast unter dem herabschauernden Hagel auf eine winzige, seitwärts des Kamins in die Luft ragende Kante, die gerade noch einem Fuße Halt bot. Fast im gleichen Augenblick schon dröhnte das Wetter um ihn her, im Funkenspritzen zitterte das Gestein, durch den Dampf zerpulverten Gerölls flogen Schnee- und Eisbrocken in die Luft, und zwischen der klirrenden Felsenmasse fuhr klagend wie ein kleines Kind ein dunkles Etwas mit in die Tiefe ... ein hilfloses, lebloses, sich schwerfällig wälzendes Etwas, das eben noch ein Mensch war.

      Er konnte dem Professor nicht nachschauen. Er fühlte, wie der verwitterte kleine Vorsprung unter seinen Füßen nachgab und sich von der Wand löste. Noch griff er, als kaltblütiger Berggänger, mit beiden Händen am Gestein entlang nach einem Halt, noch suchte das andre Bein in eilfertigem Tasten irgendeine Ritze, eine Kante in der schrägen Fläche ... es war nichts da ... zerbröckelnd wich alles unter ihm ... der Fuß fuhr in die Luft ... der Körper begann zu fallen.

      Im nächsten Augenblick lag er auf dem Rücken, den Kopf nach unten, und fühlte, wie er schneller und immer schneller glitt. Schmerzen empfand er nicht. Er spürte wohl, wie sein Kopf hart da und dort an Felsen schlug, aber sein Geist blieb hell und ungetrübt.

      In unbegreiflicher Schnelle schoß sein ganzes bisheriges Leben an ihm vorbei. Was er getan und gelitten, was er gedacht und gewünscht, das entrollte sich in bunten, leuchtenden Bildern bis zu seiner letzten, entscheidungsschweren Stunde gestern.

      Und wieder sah er ihr Gesicht vor sich, das schöne, kluge Gesicht, um dessen leicht vom Hauch der Berge gerötete Wangen das goldene Lockenhaar spielte, und wieder hörte er ihre helle, klare Stimme ... immer süßer ... immer silberner ... in rauschenden Akkorden, die, mächtiger anschwellend, aus blühenden Regenbogen sich emporwölbend, sein Ohr umschmeicheln. Das hallt wie Klänge einer andern Welt, ein Farbenspiel von überirdischer Pracht gaukelt vor den Augen ... und dann ein harter Schlag ... die bunte Welt versinkt ... es wird still und stumm ... und tiefes Dunkel ringsumher ...

      XV

       Inhaltsverzeichnis

      ... Tiefes Dunkel ... ein erstickendes, undurchdringliches, wie mit Händen zu greifendes Dunkel ... kein Laut ... keine Bewegung ... alles Sein ertränkt in einer ungeheuren, endlosen Nacht ...

      War das der Tod? ... Er wußte nicht, wo er sich befand. Er erschrak nicht einmal bei dem Gedanken, daß er vielleicht hier im Sarge, tief in der Erde liege.

      Aber er atmete doch. Und langsam kam ihm die Erinnerung, daß vor langer Zeit – er wußte nicht, waren es Stunden, Tage, Wochen – etwas mit ihm vorgegangen. Er war abgestürzt ... jawohl ... das war es ... von brüchigem Gestein in eine unbekannte Tiefe hinabgeglitten, die ihn jetzt noch umfangen hielt.

      Er schöpfte wiederum rasch und tief Atem. Das ging ohne sonderliche Beschwerde. Es war kein Zweifel: er lebte! Der Fall hatte ihn nicht getötet. Sehr hoch konnte der also nicht gewesen sein.

      Aber wie kam das? Er wußte doch, wie schroff die Felswand sich hier zum Tale senkte. Einerlei ... wenn er nur unverletzt war.

      Vorsichtig bewegte er im Dunkeln die Arme. Die rechte Hand stieß an eine harte, kahle Fläche. Es mußte bereiftes Gestein sein. Und zugleich hörte er – den ersten Laut außer seinen schweren Atemzügen – ein leises Schlürfen über dem Boden. Er griff danach. Es war das abgerissene Ende eines um sein Handgelenk geschlungenen Lederriemens, das da im Schnee raschelte.

      An diesem Lederriemen hatte er nach guter Bergsteigerart die Eisaxt befestigt getragen. Eine heftige Gewalt, ein starker Ruck mußte den zähen Streifen gesprengt haben. Und nun wurde es ihm klar: im Niedergleiten


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