Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays - Rudolf Stratz


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der Führer schüttelte den Kopf. »Die andern suchen ihn noch!« sagte er in hart akzentuiertem Englisch, Silbe für Silbe buchstabierend, wie er es im Winter gelernt.

      Da klang von der Seite, von den Felshügeln, das Rutschen und Kollern von Geröll! Alle Köpfe wandten sich dorthin. Ein junger Bursche, der wegen seiner achtzehn Jahre noch kein Patent besaß, aber als Freiwilliger mit seinen Vettern und Brüdern, den Bergführern, hinausgegangen war, sprang in mächtigen Sätzen den Abhang herab. Er flog von Stein zu Stein, er schlitterte, auf seinen Stock gestützt, blitzschnell durch das Geriesel der Schutthalden und schrie schon von weitem in seinem unverständlichen Patois den Genossen eine Nachricht zu.

      Unter denen entstand eine lebhafte Bewegung. Der Führer von vorhin wandte sich nach kurzem Überlegen, in dem er seinen Wortschatz zusammenraffte, zu den umstehenden Briten. »Man hat ihn gefunden!« sagte er in seinem pedantischen Englisch. »Er ist am Kopf verwundet, aber er lebt!«

      »Oh ... indeed« klang es in froher Erleichterung von Albions offenen Lippen.

      »Sie können ihn heute abend nicht mehr herunterbringen«, fuhr der Mann fort, »sondern nur zur neuen Hütte oben, zwei Stunden von hier, weil er noch ganz bewußtlos ist. Jetzt müssen wir von Zermatt den Arzt holen!«

      Ein junger Amerikaner trat vor. Er war Arzt und natürlich bereit, die erste Hilfe zu leisten, wenn man ihn hinaufführe. Der Führer lüftete den Hut. »Sind Sie Bergsteiger?« fragte er, »der Weg zur Hütte ist leicht. Aber an ein paar Stellen muß man doch klettern!«

      Jawohl, der Neuyorker Doktor traute sich das zu! Er machte sich rasch fertig, versah sich mit dem Nötigsten und eilte mit einem Führer im Laufschritt, seinen langen Bergstock schwingend, davon.

      Die andern nahmen indessen schweigend die Bahre auf. Je sechs Männer trugen, sich zuweilen abwechselnd, den Verunglückten zu Tal. Es dämmerte schon, während sie auf dem Saumpfad hinabstiegen. Ab und zu begegneten ihnen aufwärts gehende Knechte und Treiber, die ernst die Mütze vor dem Toten abnahmen, dann eine Gesellschaft von Yankees, Herren und Damen auf Maultieren. Plaudernd und lachend ritten sie heran und rissen dann plötzlich ihre Saumtiere verstört zur Seite, während die Unterhaltung jäh verstummte.

      Unten am Dorf erwarteten Hunderte von Menschen den Zug, der sich langsam durch die Straßen bewegte. Schrecken und Teilnahme lag auf den Gesichtern der Bevölkerung, aber kein Erstaunen. Denn nur zu oft begab es sich, fast alljährlich, in der Hochgebirgssaison, daß solch ein stiller Gast seinen Einzug in Zermatt hielt ...

      XVIII

       Inhaltsverzeichnis

      Trübe flackerte das Kerzenlicht durch die enge, schmutzige Hütte, die am Abhang des Matterhorns ganz verkrochen in dämmernder Felseneinsamkeit lag. Die wenigen Menschen, denen sie Raum bot, umstanden schweigend, mit stummen Hilfeleistungen den um den Kranken beschäftigten Arzt und sahen zu, wie er die letzte Hand anlegte, einen feuchten Mullverband über der Wunde befestigte und sich dann in einem Topf mit geschmolzenem und im Freien vor der Hütte abgekühltem Schneewasser die Hände wusch.

      Er sprach ziemlich fließend Deutsch, da er mehrere Semester in Berlin studiert hatte.

      »Es ist schwer, etwas zu sagen!« meinte er in Erwiderung der in banger Frage auf ihn gerichteten Blicke, »die äußeren Verletzungen sind unbedenklich, die können in kurzem wieder geheilt sein. Aber die fortdauernde Bewußtlosigkeit ... es ist ja wohl möglich, daß sie vom Blutverlust und der Kälte allein herrührt ...«

      »Und wenn das nicht der Fall ist?«

      Der junge Amerikaner hielt Elisabeth für die Gattin oder Schwester des Verunglückten. Er zögerte etwas mit der Antwort.

      »Es ist da ein Bluterguß am Ohr«, sagte er endlich, langsam, »und zugleich eine Verletzung der äußeren Ohrmuschel. Möglich also, daß das Blut von außen hineingeflossen ist. Möglich aber auch, daß es von innen kommt ...«

      »Und dann?«

      »Dann ... ja dann könnte der Patient unter Umständen überhaupt nicht mehr erwachen ...«

      Er wandte sich ab, um die junge Frau nicht anzusehen, und packte seine Sachen zusammen. Aber als er sich wieder aufrichtete, erkannte er zu seinem Erstaunen, daß Elisabeth ganz ruhig war.

      »Sie wollen jetzt gehen?« fragte sie.

      Der Amerikaner nickte. Die Aussicht, die Nacht in dieser elenden Hütte zuzubringen, schien ihm denn doch zu wenig verlockend. »Ich kann vorderhand gar nichts helfen«, sagte er, »morgen früh schließe ich mich den hinaufgehenden Führern an, und ich denke, wir bringen ihn dann wohlbehalten zum Schwarzsee hinunter.«

      Sehr hoffnungsvoll klang sein Ton dabei nicht, und als er die Hand drückte, die ihm Elisabeth schweigend reichte, hatte sein Gesicht einen ernsten und besorgten Ausdruck.

      Dann ging er mit einem der drei Führer. Die beiden andern, die die Nacht über in der Hütte bleiben sollten, zwei ältere Männer, räumten, so gut es sich machen ließ, die Spuren seiner Tätigkeit, die blutigen Wattebausche, die blaßrötlichen Wasserflecke am Boden und die abgeschnittenen verklebten Haarsträhnen, hinweg.

      Außer ihnen waren noch die beiden Gletscherfreunde des Abgestürzten, der böhmische Graf und der Hamburger Staatsanwalt, in der Hütte. Der Kavalier hatte sein Monokel eingeklemmt und horchte blasiert auf das Pfeifen des Windes oben um die Matterhornspitze, auf der er selbst erst vor einer Woche gestanden. Dann sah er auf die Uhr.

      »Es wird bald dunkel, gnä' Frau!« sprach er.

      Elisabeth neigte gleichgültig, fast ohne auf ihn zu hören, das blonde Haupt.

      »Ich mein'«, fuhr er fort, »es wär' Zeit, daß Sie auch zum Hotel herunterstiegen. Unser Freund da geht mit Ihnen. Ich bleib die Nacht hier, 's is ganz genug, wenn außer den Führern noch, ein Mensch hier oben is ...«

      »Das glaube ich auch!« sagte Elisabeth ruhig, »aber ich werde hierbleiben.«

      Die beiden Berggänger tauschten einen Blick des Erstaunens. Aber schließlich ... was ging das sie an, in welchem Verhältnis die schlanke blonde Dame zu dem Genossen stand, der da reglos mit geschlossenen Wimpern auf dem Stroh gebettet ruhte. Und dann ... ein Kranker ... und die Gegenwart der beiden Führer ... da konnte sie es wohl wagen, dem Gerede der Welt zu trotzen.

      »... Zur Pflege eigne ich mich wohl besser«, fuhr sie mit derselben kühlen und tonlosen Stimme fort, »ich kann natürlich keinen der Herren hindern, die Nacht hier zuzubringen. Aber ich glaube, wir genieren uns nur gegenseitig, und Nutzen bringt es keinem. Für dringende Notfälle sind ja die beiden Führer da!«

      »Aber wann's dem Patienten schlechter geht?«

      Sie schüttelte den Kopf und sah ihn aus großen kalten Augen erstaunt an ... »dann können Sie so wenig helfen wie ich. Wenn er aber die Nacht übersteht, dann ist es weit besser, Sie bringen morgen vom Schwarzsee so früh als möglich den Arzt und die Führer herauf, als daß Sie die Zeit hier auf dem schmutzigen Stroh liegen und in das Kerzenlicht starren!«

      »Recht haben S' schon, gnä' Frau«, meinte der Graf zweifelnd. Der Gedanke, unten im Drawing-Room des Schwarzsee-Hotels den Abend über mit den hübschen Misses zu flirten, hatte ja viel für sich. Außerdem kannte er – und nun gar der Staatsanwalt – den Kranken gar nicht näher. Sie waren ein paarmal auf pikanten Kletterpartien aneinander angeseilt gewesen. Das ist ein großer Beweis gegenseitigen alpinen Vertrauens, aber es verpflichtete doch zu nichts, als zum Angebot von Hilfe, wo sie not tat. Und da bessere Hilfe schon zur Stelle war ...

      Der Hamburger hatte sich fertiggemacht und blieb wartend an der Tür stehen. Noch einmal sah sich der Graf unschlüssig in der Hütte um ... dieser düstere, kalte Raum ... die schweren Atemzüge des Verwundeten ... das Pfeifen des Windes draußen ... und unten am prasselnden Kamin die schönen Töchter Albions mit ihrer unbefangenen Heiterkeit und linkischen Grazie ... »Na ... alsdann!« sagte er resigniert, »wann man mich hier an die


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