Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

Читать онлайн книгу.

Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays - Rudolf Stratz


Скачать книгу
ihr getrennt.

      Eine Stunde später stiegen sie im Abendgrauen den Maultierpfad zum Schwarzsee empor. Ein Knecht trug ihr Gepäck. Sturm, Nebelreißen und Regenschauer umgaben sie.

      Der Baron blieb einen Augenblick stehen. »Nehmen S' mir nicht übel, Professor«, sagte er, »aber Sie sind komplett verrückt. Das ist ja ein wahres Hundewetter!«

      »Macht nichts!« – der Zwerg schüttelte den Kopf und sah, auf seine mächtige Eisaxt gestützt, gierig zu den Wolken empor – »ich muß hinauf! ... und morgen um die Zeit ... das schwöre ich Ihnen, da haben die Berge kein Geheimnis mehr vor mir!«

      »Legen S' mal den Pickel ans Ohr!« riet der andre trocken.

      Der Kleine tat's. Jawohl, der Pickel summte! Ein leises Knistern entströmte rastlos dem kalten Metall. »Heut singen die Stöcke nicht schlecht.« Der Baron preßte die scharf geschliffene Stahlspitze hart ans Ohr, und sein Gesicht wurde ernst. »Sie wissen, was das heißt! Die Luft ist mit elektrischer Spannung geladen. Das zeigt für morgen Sturm und Unwetter von der schlimmsten Sorte ...«

      »Kommen S'«, sagte der Maler leichthin, und sie schritten weiter. Aber immer wieder hob von Zeit zu Zeit im Aufwärtssteigen der eine Wanderer die Eisaxt zum Ohr, und immer wieder klang das leise, dräuende Summen, als warne die leblose Waffe ihren Herrn ...

      XIV

       Inhaltsverzeichnis

      Ein Donnern und Heulen ging durch die sturmbewegte Luft, ein Brüllen, wie die Hetzjagd böser Geister, die in dem strudelnden Nebel- und Wolkenmeer ihr Wesen trieben.

      Zwei Gewaltige rangen da miteinander: der Föhnsturm und das Matterhorn.

      Aus dem Süden, aus der Glut der italienischen Sonne kam der Föhn daher und stürzte sich gierig in die kalten Alpentäler. Die Lärchenwaldungen krachten und prasselten, in hundertästigem Gewirr zusammenstürzend unter seinem flammenden Hauch; die Sennhütten fegte er, einen Haufen wirbelnder Schindeln und Balken, spielend über die Matten und blies mit seinem Sturmesatem die Wolken am Himmel in Fetzen auseinander.

      Aber an dem starren Steingespenst, das höhnisch über diese Wolken hinausgrinste, da zerschmetterte sich seine Kraft. Die Felswände hielten den Anprall auf. Wohl stürzten von ihnen haushohe Blöcke zu Tal, und rieselndes Schuttgeröll glitt über die schroffen Platten nieder; wohl schien es, als wanke der ganze Riesenbau, wenn ihn der Orkan brüllend an den Schultern faßte und schüttelte und rüttelte, aber immer wieder teilten sich machtlos die zerschellten Luftwogen an den Klippen und strudelten ziellos an den Schründen des Abhangs dahin. Es stöhnte in allen Klüften, es fauchte in den Spalten des Gesteins und zischte wütend um die ragenden Zacken, und in diesen Wirbeln tanzten und stiegen, zusammengeblasen, auseinandergerissen und in tollem Spiel zu neuen Fetzen und Klumpen sich einend, die ungeheuren grauen Schwaden.

      Weiter unten, gegen das Tal hin, entströmte triefender Regen dieser schwankenden, haltlos durcheinanderflutenden Dunstwelt. Hier oben aber sprühte es in der Ferne glitzernd weiß aus den herantreibenden Wettern. Was sie an Schneeflocken besaßen, das schüttelten die Wolken in wilden Würfen, in millionenfachem, weißem Gewimmel in den Sturm hinein aus, der jauchzend das Spielzeug empfing. Hier stäubte er es wagerecht über die aufgepflügten Schneehänge hin, dort mußte es in schrägen Strahlen an der Felswand branden, da wieder ließ er es durch Felsentrichter in sausendem Gewirre kreisen und blies es nach oben, nach den Wolken zurück, von denen es stammte.

      Sein ungeheures Gebrüll verschlang alles andre. Sein Feind, das Matterhorn, konnte dagegen nicht aufkommen. Das bißchen Lawinendonner und Krachen abstürzender Bergmassen, das verhallte spurlos in dem Jauchzen und Gellen der entfesselten Sturmgeister, die, in wirbelnde Schneeflocken gehüllt, die Wände umkreisten.

      »Da sind sie! ... ich seh' sie!« schrie der Maler im Aufwärtsklettern seinem Freunde zu, »heut' faß ich euch, ihr Burschen ... heut' entgeht ihr mir nicht ...«

      Seine Augen glühten, der lange Bart flatterte, schneeweiß überreift, im Sturm weit von dem dürftigen Körperchen ab, das mit unheimlicher Gelenkigkeit die senkrechten Felsen hinaufklomm.

      »Was, zum Teufel, sehen Sie nur?« dröhnte hinter ihm durch das Heulen des Föhns die Stimme des Barons, »seit drei Stunden kraxel' ich nun mit Ihnen bei drohendem Schneesturm in die Höhe ... bei drohendem Schneesturm am Matterhorn! ... 's wär' ja wahrhaftig zum Lachen, wenn's nicht so verflucht ernsthaft wäre.«

      Eine senkrechte Felswand, Tausende von Fuß über ihnen aufgetürmt, zweitausend Fuß unter ihnen, bis zum Gletscher reichend, und an diesem schreckenvollen Gebilde der Natur, an winzigen Kanten und Vorsprüngen klebend, zwei menschliche Wesen, an denen vorbei alle paar Minuten ein niederstürzender Stein seine dräuende Bahn zieht – jawohl, das war ernst.

      Der Maler hatte sich an einem Felsvorsprung hingekauert und starrte verzückt in das Chaos von Sturm und Nebel, das auf zwanzig Schritt in der Runde sie umgab. Die gnomenhafte Gestalt da oben flößte dem nachkletternden Begleiter plötzlich ein unerklärliches Grauen ein.

      »Was sehen Sie denn nur?« schrie er noch einmal.

      Der andre wandte den Blick nicht von dem Kampf der Elemente vor sich.

      »Viel!« zischte er dem Herangekommenen ins Ohr, »viel ... aber noch nicht alles! ... das letzte Geheimnis hab' ich noch nicht geschaut!«

      Und hastig begann er weiter zu klettern, eine schwindelnd steile Wand empor, an der der Tod aus allen Spalten und Klüften grinste.

      Sie hatten sich als geübte Kletterer nicht angeseilt. Das war hier nutzlos. So blieb der Gefährte stehen und legte die hohle Hand an den Mund.

      »Wir müssen umkehren, Professor!« schrie er durch den Sturm. »Sie haben genug für Ihr Bild geschaut! Ich geh' nicht weiter ...«

      Der Zwerg wandte sich um. Antworten konnte er nicht. Seine Stimme war zu schwach. Aber seine Hand deutete nach oben, und ein irres, tückisches Lächeln spielte um seine Lippen.

      Es ging nicht anders. Man mußte ihn einzuholen suchen und mit Gewalt zur Umkehr bringen. Der kräftige Bergsteiger kletterte ihm nach, den Blick unverwandt auf die schwächliche Gestalt gerichtet, die rastlos durch den Sturm aufwärts klomm und ihm zuweilen erbost mit der Hand zur Eile winkte.

      »Man könnte meinen, ein Gespenst klettere einem da voran«, ging es ihm durch den Kopf, »ein böser Geist, der mich in diesem Schreckenswetter irreführt und hohnlachend auf irgendeiner Klippe verloren stehen läßt. Wenn ich den kleinen Professor nicht so genau kennte ...«

      Ein nußgroßer Stein, den jener oben abgelöst, kollerte herab. Er duckte sich an einem Felsen, um die Gefahr über seinen Kopf springen zu lassen, und plötzlich erfaßte ihn ein Gedanke: der kleine Professor war schon einmal vor Jahren im bayrischen Hochland von einem Stein am Kopf getroffen worden! Er lag damals lange krank. Dann erst, als er genesen war, begann er jene wundersamen, unheimlich geschauten Alpenbilder zu malen, denen er seinen Weltruf verdankte. Die Verwundung hatte irgend etwas in seinem Geistesleben geändert! Aber vielleicht mehr, als man ahnte?

      Wieder blickte er zu dem wütend kletternden Männchen empor, und es fiel ihm ein, daß ein berühmter Wiener Nervenarzt den höchsten Alpensport, dem er und seine Genossen huldigten, das bewußte Aufsuchen der Gefahr, um die Nerven zu kitzeln und den Todesmut zu prüfen, bereits als eine Form geistiger Verirrung bezeichnet hatte.

      Am runden Tisch im Hotel Mont-Cervin hatte er mit den Genossen darüber gehöhnt: Wenn er abstürzte, war das seine Sache; ihm war das Leben gleichgültig. Noch vor wenigen Tagen hätte er so gesprochen. Jetzt aber lag ihm etwas am Dasein, und mit Grauen sah er, wie da oben sein gespenstiger Genosse ihn weiter und weiter dem Tode in den Rachen führte.

      Sollte wirklich sein Verdacht wahr sein? Mit äußerster Anstrengung arbeitete er sich empor, und das Glück wollte ihm wohl. Vor einer Felsenplatte, über die sich der kleine Körper nicht schwingen konnte, fand er den Professor, sich an dem Gestein haltend, in halb liegender Stellung.


Скачать книгу