Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays - Rudolf Stratz


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blieb stehen und rang nach Atem!

      »Haben S' Nasenbluten?« schrie der Baron über ihr. »'ne Handvoll Schnee ins Genick! Das wirkt auf der Stelle!«

      »Nein ... danke!« Sie sah empor. »Aber ich glaub' ... ich ersticke!«

      Der Baron lachte. »Ja, so dick wie im Ballsaal ist die Luft hier nicht. Aber 's langt schon noch! ... Nur ordentlich schnaufen und keine Angst ... dann geht's!«

      Wirklich ... es ging ... wenn auch zur Not. Und etwas seltsam Erfrischendes und Nervenstärkendes hatte diese eisdünne Luft an sich, die wie ein kaltes Bad den Körper umspülte und durch alle Hüllen drang.

      Höher ... immer höher! Der Riese gab sich nicht so leicht. Jetzt galt es noch, die letzte, als dünne Pyramide aufschießende Spitze zu nehmen.

      Sie kletterten an diesem höchsten steilen Zacken empor wie die Dachdecker an einem Kirchturm. Schon war es fast ringsum Luft, was sie umgab. Nur vor und über ihnen starrte noch, wie in den Wolken schwebend, der Stein, der ihren Füßen Halt bot, der sie mit der Erdenwelt verband.

      So mochte es Luftschiffern zumute sein, wenn sie die blöde Lehmkugel da unten verlassen und in das unendliche Weltall emporsteigen. Immer kleiner und winziger wird alles da unten. Zu grünen Bändern schrumpfen die Täler zusammen, zu schmutzigen Dunstflecken die Städte. Wie Maulwurfshügel ketten sich die Vorberge aneinander, und silbernen Bändchen gleich senken sich die unten so riesenhaften Gletscher in sie hinab. Nebelstreifen, weißlicher Dunst da und dort in der Tiefe, ein Dampfen wie von einem kochenden Kessel. Das sind die Wolken, die über dem Bergtal brauen, und die Armen darunter sitzen im Regenschauer und ahnen gar nicht, daß hier oben die Sonne in strahlendem Glanze die ragenden Eiszinnen versilbert und den Himmel in einem leuchtenden Blau verschwimmen läßt, das, klar und unergründlich zugleich wie die Ewigkeit, sich über dem ewigen Eise wölbt.

      Hier ist das Reich des Todes! Kein Laut als ferner Lawinendonner und das Heulen des Windes, keine Bewegung als das Flimmern der Schneekristalle, die er über die blendenden Flächen hinstäubt, daß sie im Sonnenlicht als Myriaden glitzernder Punkte blinken. Hier gibt es kein Erwachen und kein Ersterben der Natur. Ob unten das Korn reift und die Rebe blüht, ob der Maiwind rauscht oder das bunte Laub zu Boden kreist, hier oben bleibt alles starr und weiß und tot, ob in seltenen Wochen die Sonne darüber lacht oder den Rest des Jahres durch regelloses Wolkentreiben der Sturmwind seine heulende Bahn zieht.

      Und in dieses geheimnisvolle Reich drangen sie jetzt ein, in diese unbekannte Welt, die nur Auserwählten ihre Pforten öffnet! Elisabeths Herz zitterte. Wie sie da emporstieg, ein Hindernis nach dem andern überwindend, im stolzen Vollgefühl von Mut und Kraft und Gesundheit, da empfand sie, daß nur der den wahren Wert des Lebens kennt, dem das Leben selbst ein Einsatz im Spiel ist. Das, was man aus tausend Nöten und Gefahren glücklich gerettet, das hält man hoch, das schätzt man über seinen Wert und fühlt sich froh in seinem Besitz. Es lag etwas Wollüstiges in diesem jauchzenden Spiel mit dem Tode, in diesem Necken mit der Vernichtung, die wie ein drohendes Gespenst seit Stunden neben ihnen her schlich, und gegen die sich alles in ihr aufbäumte. Wir wollen leben! krampften sich die Muskeln zusammen. Wir wollen leben! zitterten die Nerven. Wir wollen leben! hämmerte das Blut durch ihre Adern – und wie eine mahnende, beruhigende Stimme antwortete in ihrem Innern das, was sie selbst war, ihr eigentliches, innerstes Wesen: Seid unbesorgt, ich führe euch vor die Augen des Todes, damit ihr wißt, daß ihr lebt, und wißt, was ihr am Leben habt!

      Nun waren sie beinahe oben! Eine Firnkuppe, kaum größer als ein Häuschen, das war das letzte, leicht erreichte Ziel. Über der Kuppe schwamm die dünne Höhenluft; sie umfing sie rechts und links, sie spielte fast unter ihren Füßen. Elisabeth mußte sich an dem Felsen anklammern, um sicher zu sein, daß sie noch irgendwo einen Halt an der alten, festen Mutter Erde habe.

      »Seien S' kein neugieriges Frauenzimmer und schauen S' nicht zuviel umher! Sonst werden S' zu guter Letzt noch schwindlig«, sagte der Baron, sich in einem winzigen Felswinkel niedersetzend, »da nehmen S' Platz und ruhen S' sich aus, daß Sie nicht erhitzt auf die Spitzen kommen!«

      Der Platz war eng. Sie mußten sich dicht aneinanderpressen. Er legte unwillkürlich den Arm um sie, um sie zu halten. Ihr schwerer, rascher Atem schlug heiß ineinander, während sie mit großen leuchtenden Augen stumm und kühn hinaus in die uferlose Weite schauten.

      »So muß einem Paar Turmfalken zumute sein«, meinte Elisabeth. »Wenn man an die Seelenwanderung glaubt, könnt' ich schon ein so wilder Vogel gewesen sein ... und Sie ... glaub' ich ... auch ...«

      Er wandte rasch den Kopf zu ihr.

      »Meinen Sie? ... Da paßten wir beide freilich zusammen?« Seine Stimme klang rauh und herb, daß sie erschrak. Aber nicht vor ihm ... mehr vor dem, was durch ihren eigenen Kopf ging. Sie sah wieder ihren Gatten vor sich, dort unten ... an der verhängnisvollen Stelle ... und neben ihr saß wie ein Herr und Gebieter, den das Schicksal ihr gesandt, der kühne, gütige, kraftstrotzende Mann. Sie fühlte den Druck seines starken Armes, der sie beschirmte und vor dem Sturz bewahrte, und in ihrem Ohr klang seine markige Stimme.

      »Hier passen wir zueinander«, sagte sie schwer atmend, ohne ihn anzusehen; »hier gewiß ...«

      Ein kurzes Schweigen. Sie fühlte, daß er leise, wie erschrocken, den Arm von ihr nahm und eine Bewegung machte, um seitwärts zu rücken. Aber das war nicht möglich. Hier war eine Trennung für sie der Tod ...

      Und dann schauten sich beide ins Auge. Stumm, mit angstvoll forschender Neugierde sahen sie sich an, wie fremde, unheimliche Wesen, die auf unbegreifliche Weise in ihnen selbst mitlebten, die dasselbe dachten wie sie, dasselbe wünschten und empfanden wie sie, die nichts andres waren als sie selbst in der Verkleidung des andern Geschlechtes, ihr Spiegelbild, das ihnen rätselhaft und vertraut zugleich zulächelte ...

      Sie schwiegen, denn sie wußten: in diesem Augenblick entschied sich ihr Schicksal.

      Der Führer, der weiter oben an einem Felsen kauerte, mahnte zum Aufbruch. Sie stiegen die letzte Höhe empor.

      Nun standen sie oben auf der kleinen Insel inmitten des schwach bewegten Luftmeeres. Und unter ihnen lagen die Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit.

      Elisabeth faltete die Hände. Ein einziger Gedanke lebte in ihr, ein stummes Gebet: »Herrgott, ich danke dir, daß du mich das schauen ließest!«

      In unermeßliche Weiten schweifte ihr Blick. Von den Reisfeldern der Lombardei bis zu den Rebenhängen Tirols, von den grünen Wellen des Genfer Sees bis zu dem Tannendunkel des Schwarzwaldes entrollte sich ihr die Erde. Wohl schwebte über diesen Niederungen ein schwerer Dunst. Wolken zogen darüber hin und ließen nur unbestimmt die Lage der Länder und der Seen erraten. Aber aus diesem rauchigen Untergrund hob es sich tausendtürmig, in leuchtenden Zacken empor. Ein Schneegipfel schob sich hinter den andern, eine Kette schloß sich der nächsten an. Was hier in dem alten Europa groß und gewaltig war, was über das Mittelmaß der Erde hinausragte, das reihte sich hier zu einem unermeßlichen Kreis von flimmernden Firnen, von wild aufstarrenden Felsspitzen, zwischen denen sich in blendendem Weiß die Schneefelder, in flammendem Farbenspiel die Gletscher über die rötlich-braunen Unterberge hinab in das Bereich der Nebel und der Wälder, hinab zu den Tälern der Menschen senkten.

      Da standen sie, die Riesen des alten Erdteils, in starrer Majestät, sich über Firn und Wolken grüßend.

      Dicht vor den einsam atmenden Wesen da oben bäumte sich die satanische Gestalt des Matterhorns in wütendem Trotz gegen den Himmel auf, und mit dem Ungeheuer strebten seine Nachbarn, das Rothorn und die weiß leuchtende fürchterliche Dent-Blanche, empor zum ewigen Blau.

      Zur andern Seite krümmte das sanfte große Breithorn den geduldigen Rücken. In blendenden Zacken schimmerte drüben die lange Reihe der italienischen Seealpen. Und von ihnen weg zog der Blick in immer weitere Fernen. Dort, wo der unschöne Koloß des Domes sich wölbte, flimmerte es weit hinten in der klaren Eisluft von kühn ragenden Gipfeln und endlosem Schnee. Dort scharten sich die Giganten des Berner Oberlandes um ihre Königin, die »Jungfrau«, die im Strahlenglanz aus ihrer Mitte sich erhob. Um sie herum die riesigen Recken ... alles überragend als mächtigster Vasall das Finsteraarhorn,


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