Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.die Bergkrankheit. Dagegen gibt's zwei Mittel: erstens ein Schluck Kognak! ... so ... zweitens die Zähne zusammenbeißen und zu seinem innern Menschen sagen: ›Ich will!‹ ...«
Ihr Gemahl war herangekommen. »Wie siehst du denn aus!« rief er, »du bist ja käseweiß im Gesicht ... Kind! ... nu wollen wir uns aber schleunigst rückwärts konzentrieren!«
Sie schüttelte den Kopf und gab das Fläschchen zurück. »Weiter!« sagte sie matt und setzte mit gesenktem Kopfe die Zickzackwanderung fort.
»Wie schaut's?« tönte es nach einer Weile vor ihr.
»Schlecht!«
Zehn Minuten verstrichen. Dann hörte sie wieder die Stimme: »Aber es geht doch vorwärts?«
Sie furchte grimmig die Stirne. »Es muß gehen!«
»Recht so!« Wieder nach einer Weile fühlte sie die Feldflasche in ihrer Hand. »Jetzt noch einen herzhaften Schluck! Wenn wir noch hundert Meter höher kommen, so geht der Anfall weg ... langsam steigen ... ja nicht den Atem verlieren ... dann ist's gefehlt ... so, immer tapfer ... so gar quittengelb schauen S' gar nicht mehr aus ... oho, jetzt fangen die Backen gar an, wieder rot zu werden.«
»Es geht mir auch wieder besser!« erwiderte Elisabeth, mit einem Versuch zu lächeln.
»Na, alsdann! ... so ... da sind wir oben! da haben Sie Seine Majestät vor sich!«
Sie lüftete ein wenig die Brille und stieß einen freudigen Ruf aus. Dicht vor ihr erhob sich über einem jäh abschießenden, von kleinen Felszacken durchbrochenen Firnhang die eigentliche Kuppe des Berges, ein wild zerklüftetes, mächtig emporstrebendes Felsengewirr, in dem nur wenige Schneestreifen den bräunlichen Schimmer des Gesteins unterbrachen. Ganz oben hob sich in scharfen Umrissen die Gipfelspitze von dem tiefblauen Himmel ab.
»Wie steht's?« fragte er nach kurzer Ruhe, »wollen Sie noch weiter?« Sie schaute ihn erstaunt an, nahm ohne ein Wort zu verlieren ihren Bergstock zur Hand und schritt fürbaß.
Er hielt sie am Arme fest. »Schneid haben S' schon!« lachte er, »aber lassen S' mich voraus! Mit dem Grat da ist nicht zu spaßen!«
Der Grat war höchstens fünfzig Meter lang, aber beinahe messerrückenschmal und senkte sich zu beiden Seiten als steiles Eisdach herab, unter dem die freie Luft schimmerte.
»Vorsicht ... fest den Fuß aufsetzen! ... nicht zu stark auf den Stock stützen ... der kann ausgleiten ... langsam ... immer ruhig!« tönte es vor ihr. Und wie ein Echo kam von hinten das Gemurmel des Führers: »Vorsicht ... aufrecht gehen ... langsam ... nicht hinducken! ... Es geschieht der Dame nichts ... langsam!«
Da waren sie drüben! »Uff!« sagte sie und schüttelte sich, »eben hätt' ich doch als Frauenzimmer eigentlich das Recht gehabt, mich ein bißchen zu fürchten!«
Er sah sie prüfend an. »Sie sind anders wie andre Frauenzimmer!« brummte er und wandte sich dann rasch, als bereue er das Gesagte, zu dem Führer.
»Gehen S' zurück! ... helfen S' dem Herrn hinüber! ... Wir steigen indes bis zum Firnhang hinauf!«
Dort angelangt begann er, ohne sich umzuschauen, kunstgerecht eine schnurgerade aufwärts führende Treppe in das Eis zu schlagen. Sie blickte, ungeduldig im Schnee hin und her stapfend, zurück und sah ein seltsames Bild.
Am andern Ende des schwindligen Schneegrats verhandelte ihr Gatte mit den Führern. Sie schienen über etwas zu streiten. Wenigstens redeten die Leute eifrig auf ihn ein und wiesen nach der Stelle, wo sie stand. Er antwortete mit Kopfschütteln und erregten Handbewegungen.
Ein plötzlicher entsetzlicher Verdacht erfaßte sie. Aber Gott sei Dank ... nein ... da setzten sie sich unten in Bewegung und überschritten langsam die gefährliche Stelle. Sehr glücklich war das Bild nicht, das der in der Mitte dabei bot. Aber wahrscheinlich hatte sie selbst ja auch keine bessere Figur gemacht.
Als er herankam, sah sie, daß sich seine Gesichtsfarbe merklich verändert hatte. Er holte schwer Atem. »Das ist ja ein unsinniger Weg, den uns der Baron da schleppt«, sagte er halblaut zu ihr, »es ist für dich besser, Elisabeth, du kehrst um!«
»Warum denn?« fragte sie kühl. »Mir ist wieder ganz gut. Und jetzt wird's ja erst schön!«
»Schön!« Herr von Randa warf einen Blick auf den Eishang und bemerkte erst jetzt die von dem Baron hergestellte Stufenleiter, »und da sollen wir hinauf?«
Sie zuckte die Achseln. »Es scheint so!«
»Ja ... aber liebes Kind ... sieh dir doch mal die Geschichte an. Weiter oben kommen diese törichten Stufen ja ganz dicht an den Hang heran. Wer da ausrutscht, fliegt tausend Meter in die Tiefe!«
»Man rutscht eben nicht aus«, lachte sie.
»Ich bin fertig!« schrie von oben der Baron mit seiner Löwenstimme, »... los! ... Sie zuerst, gnädige Frau!«
Ihr Mann richtete sich auf: »Ich gestatte das nicht. Wenn dir ein Unglück passiert ...«
Die beiden Bergführer hatten einen Blick getauscht. »Dafür sind wir da, Herr!« sagte der eine der beiden Brüder fest und weit entschiedener, als der bescheidene Mensch sonst auftrat ... »... und wir stehen als zwei Bergführer ersten Ranges im ›Bädeker‹ und im ›Tschudi‹, und Sie haben unsere Zeugnisbücher gesehen!«
»So kommen Sie doch!« dröhnte es von oben.
Der eine Führer stand schon auf den Stufen: »Halten Sie sich nur fest am Seil, Madame! ich zieh Sie herauf, das geht ganz gut!«
Mit kräftigem Ruck schleppte er sie von einer Stufe zur andern die jähe Wand empor. Der andre Führer hinterher. Nach wenigen Minuten waren sie ohne Zwischenfall oben.
»Was hat denn der Herr wieder gehabt?« schnauzte der Baron sie an. Die Führer lachten, schauten sich an und zuckten vielsagend die Schultern. Dann stiegen sie wieder hinab.
Elisabeth hatte sich abgewendet. Eine tiefe Röte überzog ihr Gesicht. Eine unbestimmte Angst, daß sie sich ihres Gatten schämen müsse, kam über sie und wuchs erstickend an. Sie wagte gar nicht, den Firnhang hinabzublicken. Immer näher hörte sie die zuredenden Stimmen der Führer und ein undeutliches Brummen des Barons, das nicht sehr schmeichelhaft klang.
»Na also, den Kopf hat's nicht gekostet!« sagte er recht rauh zu dem Ankommenden.
Herr von Randa antwortete ihm nicht. »Elisabeth«, keuchte er, mit Pausen zwischen jedem Wort, »wir haben uns da zu einem ganz ... ganz unvernünftigen Abenteuer bereden lassen! ... ich bestehe darauf ... daß wir ... jetzt auf der Stelle umkehren ...«
Sie schaute ihn kalt an. Der Baron ersparte ihr eine Antwort. »Setzen S' sich dahin!« sagte er kurz, »trinken Sie ordentlich Wein ... dann kommen Sie auf bessere Gedanken!«
»Ich kehre um!« widersprach Herr von Randa scharf. Sein gutmütiges Gesicht war bleich und mit Schweißperlen bedeckt, »natürlich nicht wegen mir, sondern wegen meiner Frau!«
»Ihre Frau klettert wie ein Wiesel!« fiel der Baron ihm unwirsch in die Rede, »und Courage hat sie mehr wie ... wie nötig ist!«
Er brach ab. Und unwillkürlich ergänzte sie sich im Geiste, was er eigentlich mit seinen letzten Worten hatte sagen wollen! Da stand sie, unerschrocken, tatenlustig, nachdem sie durch eigene Willenskraft ihre Schwäche niedergekämpft ... der Gefahr spottend ... und neben ihr ... sie blickte ihrem Mann ins Gesicht. Er gab sich alle Mühe, ruhig zu bleiben. Aber sie sah deutlich, was in ihm vorging.
Er war ihr Mann. Sie mußte ihm beistehen! Eine Wolke finsteren Zornes glitt über ihr schönes Gesicht. »Gehen wir also herunter!« sagte sie, an ihm vorbei in die Weite starrend, »wenn du so besorgt um mich bist!«
Aber da widersprachen nicht nur der Baron, sondern auch die beiden Führer, deren Ehrgeiz es natürlich war, die Reisenden bis auf den Gipfel zu bringen. »Wenn Sie wieder im Schnee unten sind, machen Sie uns Vorwürfe, daß wir umgekehrt sind!« meinte der eine, und der andere wies nach oben:
»Es