Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.rief der andre eifrig, »es wäre ja nur ... für den Fall ... daß es Ihnen nicht sehr unangenehm ist ...« Der Baron schaute ihn an: »Was meinen S' denn eigentlich?«
»Gott« – Herr von Randa zögerte – »ich hab' nu mal meiner Frau versprochen, mit ihr die eine oder andre Bergtour zu machen ... eigentlich mit der versteckten Absicht, es ihr bei der Gelegenheit gründlich abzugewöhnen. Glauben Sie denn, daß sie da hinaufkommt?«
»... 's kann sein!« sagte der Baron kurz, »aber meist kriegen es die Damen und auch sonst weiche Leut' bei 2500 Meter 'rum mit der Bergkrankheit zu tun ... Schwindel, Übelkeit und derlei Zeug ...«
»So?« meinte der andre sinnend, »nu sagen Sie mal ehrlich, lieber Baron, wär' es Ihnen sehr zur Last, wenn wir, meine Frau und ich, uns Ihnen morgen anschlössen? Es ist doch eine ganz andre Sache, mit Ihnen so was zu riskieren, als bloß mit den Führern!«
Der andre wandte sich zur Seite, um sein ärgerliches Erstaunen zu verbergen, und schwieg kurze Zeit.
»Weiß Ihre Frau Gemahlin denn schon davon?« fragte er endlich kurz.
»Nee! aber die geht gleich mit! Und da Sie ihr ja schon einmal aus der Not geholfen haben ... und, wie Sie sagen, Sie doch in Gesellschaft hinauf müssen ... aber natürlich ... es kostet Sie nur ein Wort ... und ich verzichte ...«
Ein Wort nur ... freilich! Aber dies Wort war mehr als unhöflich! ... Und taktlos dazu! Wie sollte er es motivieren, daß er Elisabeth allein gerne auf ihrer Hochgebirgsfahrt geleitet hatte und es jetzt abschlug, wo ihr Gatte mit ihr war? Das mußte ja den Verdacht erwecken, als seien damals Dinge zwischen ihnen vorgefallen, die jener nicht wissen durfte.
Ein Zorn regte sich in ihm gegen die Plumpheit des Schicksals, das seinen Vorsatz zunichte machte, ein Zorn gegen den Mann neben ihm, der so gar nichts von der Gefahr ahnte, die über seinem Haupte hing, ein Zorn gegen sich selbst, daß er nicht die Kraft fand, mit einer wenn auch rücksichtslosen Weigerung die Sache zu enden.
Aber was verschlug es schließlich weiter, wenn sie noch einmal einen Tag unter den Augen ihres Gatten beisammen blieben? So kühl wie heute abend konnten sie sich auch morgen begegnen, einander fremd bleiben und fremd auseinander gehen.
Herr von Randa wollte sich erheben. »Nehmen Sie mir meine Fehlbitte nicht übel«, sagte er sichtlich etwas verletzt, »ich bin offenbar mit den Gepflogenheiten der Bergtouren noch nicht so ganz vertraut!«
Der andre schaute ihn prüfend an. »Das wollt' ich Sie eben fragen! Waren Sie denn schon mal auf 'nem hohen Berg?«
Der schmächtige blonde Mann zuckte ärgerlich lachend die Achseln. »Aber, Bester! ... das ja nu freilich nicht! Aber es handelt sich doch um meine Frau! ... Na ... und daß ich so weit mitkomme, wie meine Frau gehen kann, das werden Sie hoffentlich einem gesunden kräftigen Menschen wie mir glauben!«
»Sind Sie denn schwindelfrei?«
»Vollkommen! Dafür garantiere ich!« »Sie sollten's doch lieber erst anderswo versuchen ...« Der finstere Gletschermann murmelte das vor sich hin. Aber als er den erneuten Ärger im Gesicht des andern sah, setzte er gelassen hinzu: »Indes ... ! Passieren kann auf dem Berge nichts, und des Menschen Wille ist sein Himmelreich! Ich bin also morgen zu Ihrer Verfügung ...«
IX
Mitten in der Nacht wachte Elisabeth auf. Tiefes Dunkel, regloses Schweigen umgab sie, und sie atmete den seltsamen würzigen Duft frischer Tannenbretter ein.
Wo war sie nur? Richtig ... in dem kleinen, hölzernen Bergwirtshaus am Gletscher, wo sie die Nacht vor der Besteigung zubrachten. Die eigentliche Schutzhütte befand sich noch etwas weiter, am andern Rand des Tales. Aber sie war unbequem und schmutzig, und so hatte man auf den Rat des Barons hier in dem saubern Chalet Rast gemacht.
Er selbst war erst spätabends erschienen, als die letzten der Gletscherbummler, die sich den Nachmittag über hier umhergetrieben, zu Tale stiegen und sie schon hoffte, daß er gar nicht mehr kommen würde. Sie hatte bei diesem Gedanken aufgeatmet. Ihr selbst bot sich ja nicht der Schatten eines Grundes, im letzten Augenblick auf die Bergtour, die sie selbst so sehnlich gewünscht, zu verzichten, wenn sie nicht etwa Krankheit heuchelte und damit die Sache doch nur auf wenige Tage verschob. Irgendein äußerer Zufall mußte ihr zu Hilfe kommen. Aber nichts derlei geschah. Selbst das Wetter, das gegen Mittag noch zweifelhaft schien, klärte sich auf, und alles deutete auf einen herrlichen nächsten Tag.
Ihr Beisammensein am Abend war nur kurz gewesen. Das Chalet hatte sich wider Erwarten bei Einbruch der Dunkelheit völlig geleert. Sie blieben als einzige Gäste übrig, und auch in der Klubhütte befand sich, wie ein von dort kommender Knecht erzählte, nicht ein einziger Tourist.
Das sei nun mal so! hatte die Wirtin bemerkt. Es sei ganz unberechenbar, wie sich die Herrschaften auf die Berge verteilten! Manchmal seien ihrer zwanzig und fünfzig auf einmal oben auf einem Gipfel, daß sie gar nicht mehr alle Platz hätten, und am nächsten ebenso schönen Tage ginge kein Mensch hinauf ... wie sich's eben gerade träfe ...
Nach dem Lärm und Getümmel, dem Maultiergewieher und Gejuchze, das den Nachmittag über um das Chalet geherrscht, wirkte die plötzliche Stille am Abend beinahe beklemmend. Sie hatten wortkarg ihr Mahl verzehrt und sich dann in schweigendem Einverständnis – wenn auch zum Verdruß ihres Gatten, der gern noch ein bißchen geplaudert hätte – schon um halb neun Uhr getrennt, um ihre Zimmer aufzusuchen. Aus offenen Augen blickte sie reglos in das Dunkel. Sie hatte Angst vor dem kommenden Tag. Es war ihr, als müsse er ihr etwas Unerwartetes, etwas Ungeheuerliches bringen.
Und dieses gespensterhafte Schweigen! Kein Windhauch, kein Wasserrauschen ... nichts war vernehmbar als ihre eigenen schweren Atemzüge.
Aber doch ... jetzt knarrte irgendwo eine Tür. Es polterte über ihr. In groben Tritten ging es da über den Flur, und durch das ganze, leicht gebaute Holzhaus pflanzte sich der Schall und das Raunen dumpfer Männerstimmen fort.
Dann krachte es auch auf der Treppe, die von unten heraufführte, und schlürfte auf Pantoffeln vor ihre Tür. Durch das Kläffen eines Spitzhundes, der unten anschlug, vernahm sie das Pochen und die Worte: »Halb zwei Uhr, Madame ... es ist Zeit, aufzustehen!«
»Es ist gut!« rief sie mechanisch und tastete nach den Streichhölzern. Sie hatte nicht die geringste Lust, sich jetzt zu erheben. Der Seelenkampf ihres Innern und alles andre verblaßten in diesem Augenblick vor dem moralischen Zwang, das Bett verlassen und in die eiskalte Nacht hinaustreten zu sollen.
Auch am Nebenzimmerchen hatte es geklopft. Sie hörte das nämliche: »Halb zwei, Monsieur, ... es ist Zeit, aufzustehen!« und dann einen gähnenden Fluch ihres Gatten und ein Gemurmel, aus dem nur Worte, wie: »Mitten in der Nacht«, ... »blödsinnige Zucht!« ... hervorklangen.
Und zugleich damit ging eine andre Tür auf. Sie kannte den schwerfälligen, markigen Schritt, der über den Flur ging und die Treppe hinunter verhallte. Also der war schon auf und gerüstet, während man sie heraustrommelte! Sie beneidete ihn um so viel Entschlußfähigkeit und scheuchte den lockend auftauchenden Gedanken, sich im letzten Augenblick krank zu melden und behaglich wieder aufs Ohr zu legen, mit Energie zurück.
In der Wirtsstube, in die sie verschlafen blinzelnd eintrat, qualmte ein trübes Lämpchen. Durch die Fenster fiel der klare Sternenschein. Im Nebenraum der Küche hantierten beim Geflacker des Herdes ihre Führer, zwei stämmige, flachshaarige Brüder. Sie rollten Seile zusammen, packten die Tornister und schwatzten halblaut in ihrem rauhen Patois.
Ihr Mann war noch nicht da. Der andre aber saß vor der Lampe, rauchte eine dicke, schwarze Zigarre und schnitt sich bedächtig Brot und Käse in Stücke.
Sie reichte ihm die Hand und setzte sich ihm schwer atmend gegenüber. Sie wagte nicht, ihn anzusehen, und sie fühlte, daß auch er seinen Blick von ihr abgewandt hielt und sich aufmerksam mit seinem Brot – die Zigarre hatte er weggelegt – beschäftigte.
Endlos