Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays - Rudolf Stratz


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gurgelte, und einen neuen ragend aufgetürmten Steinwall in die Höhe. Hier waren die Blöcke größer und fester. Man mußte sich zwischen ihnen herauf-, dann wieder herabwinden, bis zu einem ebenen Geröllboden, in dem ihr Licht sich ringsum in stehenden Tümpeln widerspiegelte.

      Hier wurde eine kurze Rast gemacht.

      »Na ... Gott sei Dank!« sagte Herr von Randa inmitten der schwarzen, schweigsam hingekauerten Gruppe und trocknete sich die Stirne, »Gott sei Dank, daß dieser angenehme Gletscher hinter uns liegt. Hoffentlich wird die Sache jetzt gemütlicher!« Der Führer neben ihm wies mit der Hand in die Höhe.

      »Jetzt gehen wir über die Guffeln!«

      Die Guffeln! Genaues konnte man da oben nicht unterscheiden. Aber in dem ersten ahnenden Dämmern des Morgens erkannte Herr von Randa doch, daß ein Labyrinth wild durcheinandergekollerter Felsenstücke, ein Chaos verwitterter Steinklumpen von der Größe eines Kopfes bis zum Umfang eines Zimmers, ja eines Hauses, den aufsteigenden Berg bedeckte. »Na ... sehr vertrauenerweckend sehen diese Guffeln nu auch nicht aus!« meinte er ärgerlich, während die Karawane sich von neuem zum Aufbruch rüstete.

      Die Führer hatten den Beginn des Morgengrauens abgewartet. Sie löschten jetzt die Laterne aus und versteckten sie hinter einem Block. Ein fahles zerfließendes Grau, in dem die Dinge noch wesenlos ineinanderschwammen. lag über der wüsten Öde. Aber doch konnte man schon zur Not erkennen, wohin man den Fuß setzte, und hoch oben über den Schneefeldern blinkte es in dunstigem Blutrot, wie vom Widerschein einer mächtigen Feuersbrunst, in der Mond und Sterne langsam verblaßten und verschwanden.

      Es war ein mühsames Steigen von einer Felsplatte auf die andre, ein Herabschlüpfen von dem einen Felsbrocken, um den nächsten wieder zu erklimmen, ein Klettern und Sich-Hindurchwinden durch die sich mählich auftürmenden Bergtrümmer.

      »In Norwegen nennen sie so'n Zeug das ›Ur‹!« sagte der Baron, als sie eine halbe Stunde gestiegen waren, »das ist der rechte Name!«

      Sein Gefährte hinten hatte es gehört. »Kommen wir denn nu endlich aus dieser Urwelt heraus?« schrie er.

      Die andern lachten: Zwei Stunden ginge es noch so weiter!

      Inzwischen wurde es völlig Tag. Aber die überwältigende Pracht des Sonnenaufgangs, auf die sich Elisabeth gefreut, blieb völlig aus. Die schutterfüllte Talmulde, die sie emporkeuchten, war rings von hohen Bergstürzen eingeschlossen. Wohl sah man, wie darüber allmählich ein paar vereiste Gipfel sich in warme rosige Töne kleideten. Aber der Eindruck des Ganzen blieb doch frostig und streng, ja die Schneeflächen gewannen auf kurze Zeit ein ganz kalkiges, gelbliches Aussehen, und der Himmel war von blassen Nebeln wie verschleiert. Blieb doch auch die Sonne selbst unsichtbar. Sie stand noch viel zu tief im Osten hinter hochragenden Bergen, und nur eine farblose Helle verkündete ihr Dasein.

      Und dabei schien es, als wolle das Felsengewirr kein Ende nehmen! In trügerischen Absätzen, bei deren jedem man endlich den Kamm erreicht zu haben glaubte, zog es sich höher und höher hinauf und eröffnete von jedem neu erstiegenen Hang immer wieder den Ausblick auf ein Gewirr brauner Steinblöcke mit spärlich unter ihnen sprudelndem Wasser.

      Dann plötzlich machte der Baron mit den Führern, ohne ein Wort zu wechseln, halt und rüstete am Hang einer mächtigen Steinpyramide alles zur Rast. Er breitete ein Plaid für Elisabeth aus, auf das sie sich erschöpft, mit zitternden Knien niederließ, und holte den Wein sowie ein Fläschchen mit rohem Eidotter heraus. »Trinken Sie das aus!« ordnete er an. »Ich hab' noch mehr davon für Sie mitgenommen. Es ist das einzige, was Sie jetzt vertragen!«

      Sie schlürfte gehorsam das Fläschchen aus. »Die abscheulichen Felsen ...« sagte sie matt, »wie lange dauert es denn noch damit?«

      »Zwei Schritte!« Er bemerkte ihr Erstaunen und setzte hinzu: »Wir sind am Rand des ewigen Schnees. Da aber ein kalter Wind über die Fläche weht und wir erhitzt sind, so rasten wir hier im Schutze der Felsen!«

      Mit der Entdeckung, daß man die Guffeln überstanden und unter dem Eindruck des Frühstücks hob sich die Stimmung wieder, während die Führer alles zusammenpackten und ihre Seile aufzurollen begannen. »Ich schlag Ihnen vor, wir teilen uns!« wandte sich der Baron an Herrn von Randa, »Sie lassen sich von dem einen Führer ans Seil nehmen und vertrauen dem andern und mir Ihre Frau Gemahlin an. Zwei Neulinge an einem Seil, das könnt' unter Umständen unangenehm werden, wenn der eine mal ausrutscht oder sonst was passiert!«

      Herr von Randa gähnte. »Sie haben zu bestimmen, Verehrtester ... Sie allein! ... Dirigieren Sie diesen abnormen Scherz, den wir uns heute leisten, ganz nach Ihrem Belieben!«

      Wirklich ... da lag die Schneefläche vor ihnen, und ihr erkältender Hauch streifte die erhitzten Wangen. Ein einziges, unendliches, uferloses Weiß, in dem das Auge jeden Maßstab und jeden Anhaltspunkt verlor. Erst allmählich erkannte man, daß dies blendende Feld seine Einsenkungen und Hügel, seine Mulden und mächtigen Hänge besaß.

      Über dem Kamm eines jeden solchen Hanges blaute der Himmel. Es schien, als habe da der Berg ein Ende, als sei die Spitze erreicht. Stand man aber auf der Höhe, dann breitete sich wieder ein schimmerndes Plateau aus, das drüben ein neuer Abhang begrenzte, um seinerseits oben abermals in eine neue Firnfläche überzugehen. Es war unmöglich zu erkennen, wohin man stieg, was hinter einem zurückblieb. Einer Wanderung in grenzenlose Weiten, die ohne Raum und Zeitschranken sich ringsum zu dehnen schienen, glich der endlose, einförmige Marsch durch den Schnee. Der harte Firn kreischte und knarrte unter den Nägelschuhen und den taktmäßig aufgesetzten Eisenspitzen der Stöcke, das Seil pendelte in regelmäßigen Schwingungen zwischen den wie stumme Maschinen schreitenden Gestalten hin und her, und stoßweise ballte sich der Atem als dünne Rauchwolke in der Luft. Ab und zu ein kurzer prüfender Halt vor einer Spalte, ein Ruck am Seil, wenn einer unversehens in ein Schneeloch trat ... dann weiter ... weiter ... immer weiter ...

      Gott sei Dank ... da oben auf dem Schneekamm blitzte es warm und freudig auf. Da war endlich die Sonne ... die liebe Sonne, die Elisabeth die ganze Zeit ersehnt hatte.

      Ihre beiden Begleiter blieben stehen und nestelten von den abgenommenen Hüten die Schneebrillen los. Sie zögerte. »Muß das sein?« fragte sie zweifelnd.

      »Wenn Sie fünf Minuten lang auf das besonnte Schneefeld schauen«, sagte der Baron und setzte seinen Hut wieder auf, »so sind Sie halb blind und haben acht Tage geschwollene Lider und tränende Augen. Aber Ihre Tücher und den Mantel können Sie jetzt dem Führer geben, da oben wird's heiß.«

      Das hatte sie schon gemerkt. Der Firn will nichts von der Glut der Sonne wissen. Er schleudert ihre Strahlen fühllos zurück, daß sie über seinem Frostpanzer ziellos hin und her zittern und mit sengendem Hauch den Hochwanderer umfangen.

      Der Führer schob die abgelegten Hüllen in seinen Sack, während sie selbst sich mit ungeübten Händen die Eisbrille über den Augen befestigte. »Pfui, wie häßlich!« rief sie unwillkürlich aus. Es war ihr, als sei die Sonne plötzlich untergegangen und es umfange sie wieder das trübe farblose Grau des heutigen Morgens. Kein bunter Schein, kein froher Lichtflimmer durchdrang das rauchige Glas und die engen Drahtmaschen. Es war unsäglich traurig.

      Sie empfand ein leichtes Zucken des Seils. Es ging weiter; erst geradeaus, dann in ewigem Zickzack über steile Schneehalden, hin und her, und wieder hin und her, eine Viertelstunde nach der andern, und nichts ringsum zu schauen als grauer Schnee und graue Luft und die grauen Gestalten ihrer Begleiter, die unter den mächtigen Brillen wie fremde, unheimliche Stubengelehrte aussahen. »Du, Elisabeth«, hörte sie einmal dreißig Schritt hinter sich die Stimme ihres Gatten, »was meinst du: die Schneebrillen wollen wir künftig auch zu Hause tragen ... die sind zu angenehm ... nicht?«

      Sie erwiderte nichts. Sie fühlte sich nicht nur verdrossen und müde, sondern auch körperliches Unbehagen überkam sie immer stärker. Was es eigentlich war, wußte sie nicht ... eine Art von Beklemmung, von Schwindel und Übelkeit ... es wuchs mehr und mehr ... kalte Perlen traten auf ihre Stirne ... sie atmete bang und schwer ...

      Endlich hielt sie das Seil fest und blieb stehen. »Mir ist ganz schlecht zumute!« sagte sie kleinlaut zu dem sich umwendenden Baron.

      Ihr


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