Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.einen starken Schluck Wein genommen. Seine Züge belebten sich. Er widersprach den Führern nicht.
Sie fühlte eine schwere Hand auf ihrem Arm. »Kommen Sie!« sagte der Baron halblaut, »wenn er Sie vor sich sieht, bleibt er schon dabei!«
Sie kletterte mit ihm und dem einen Führer empor. Erst über mäßig steile Platten, dann auf einem kurzen, breiten Felsenband, das jäh an einer vorspringenden Ecke des Gesteins abbrach.
»Jetzt kriegen Sie Ihren dritten Schluck Kognak!« sagte der Baron, stehenbleibend, »ich verschwinde jetzt um diese Ecke! ... trete aber nicht in die freie Luft, wie es den Anschein hat, sondern auf eine Steinkante, die auf der andern Seite läuft. Wenn ich Ihnen dann zurufe: ›Jetzt!‹ so vergessen Sie, bitte, daß Sie ein Frauenzimmer sind und das Recht haben, sich zu fürchten ... kneifen Sie die Augen fest zu, damit Ihnen nicht vor dem Abgrund unter Ihnen schwindlig wird, schwenken das rechte Bein in die Luft hinaus um die Ecke und tasten, bis Sie auf der andern Seite festen Tritt haben, verlegen allmählich den Schwerpunkt Ihres Körpers dahin, geben sich einen Ruck, ziehen den linken Fuß nach und stehen vergnügt auf der andern Seite. Nur keine Angst. Sie können nicht fallen. Und wenn Sie fallen, so bleiben Sie drei Schritt abwärts am Seil hängen, und wir ziehen Sie wieder in die Höhe! ...«
Vorsichtig tastend umklammerte er den Felsen. Dann ein Schwung. Die mächtige Gestalt verschwand vor ihren Augen. Nur das Seil zuckte leise, und man hörte, wie drüben ein Stein sich löste und herabkollerte. Dann ward es still. Nach endlos langer Zeit kam erst aus dem Abgrund der dumpfe Schall.
»Los!«
Ihr Herz hämmerte zum Zerspringen. Bleich, mit zitternden Händen, schob sie sich bis zu der Stelle hin.
Da hörte sie von unten eine angsterstickte Stimme: »Elisabeth!« Das Gesicht ihres Gatten war verzerrt. »Zurück! ... zurück! sag' ich ... das ist frevelhaft ... ich erlaub's dir nicht!«
Sie blickte auf ihn hernieder mit einer Art traurigen Mitleids. Wie im Traume zog der Tag an ihr vorbei, da man sie in der Dorfkirche traute, und sie vernahm wieder, vor dem Altar kniend, die Stimme des Pfarrers: »Er soll dein Herr sein!«
»Los!« tönte es ungeduldig noch einmal von drüben. Dein Herr! ... der Mann da unten, dem die Furcht aus dem Gesichte sprach. Aber freilich ... die Furcht um sie! Wenn sie drüben war, würde er ihr gewiß folgen!
»Hoho! ... also wirklich, Angst!« höhnte die Donnerstimme hinter dem Felsen.
Sie fuhr zornig empor ... ihre Augen sprühten ... sie schloß die Wimpern ... sie umkrampfte das Gestein ... ein kurzer Augenblick, in dem Atem und Herzschlag erstarrten. Dann stand sie drüben, und der Freund lachte ihr gutmütig zu.
»Ich hab' keine Angst gehabt!« stammelte sie atemlos. »Mein Mann rief mich im entscheidenden Augenblick an!«
»Der will Sie wohl morden!« brummte der Baron ingrimmig. »Na ... setzen Sie sich dahin, bis er herüberkommt.«
Es zupfte am Seil.
»All right?« tönte von drüben die Stimme des Führers.
Der Baron setzte sich zurecht und spannte an. »Go on, Sir!« schrie er übermütig, und der Führer schlüpfte herüber.
Der Mann hatte das zweite Seil um den Arm gebunden und wog es unschlüssig in der Hand. »Das ist bös!« sagte er, »der Herr will nicht herüber!«
»Warum nicht?« Der Baron runzelte die Stirn. »... Er hat Angst«, raunte der andre ihm zu, leise, um nicht von Elisabeth gehört zu werden.
Sie hatte es doch vernommen. Ein wildes Lachen klang von ihren Lippen. Sie sprang auf und legte die Hände an den Mund. »So komm doch!« rief sie mit heller Stimme, »es ist ja gar nichts dabei!«
Hinter dem Felsen blieb es still. Man vernahm nur das dumpfe Murmeln des zweiten Führers. Der erste hatte sich in Positur gesetzt und das Seil über Felsblöcke befestigt, um den Touristen zu erwarten.
Aber niemand kam.
»Wo ist der Herr?«
Eine Pause. Dann klang es dumpf aus dem Munde des zweiten Führers zurück: »Dem Herrn widersteht die Stelle! Er kehrt um!«
Sein Bruder lachte und hielt dann, mit einem Blick auf Elisabeth, erschrocken still.
»Die Herrschaften möchten doch zurückkommen!« hallte wieder von drüben dumpf die Stimme.
Der Baron sprang auf und reckte seine mächtige Brust. »Fällt mir gar nicht ein! Wenn der Herr umkehren will, hat er an einem Führer ganz genug!«
»Der Herr Baron könne machen, was er wolle.«
Durch die Stimme des Führers klang es wie unterdrückte Heiterkeit: »Aber die gnädige Frau müsse sofort umkehren!«
Ihr Freund zuckte die Achseln. »Ja ... das steht nun bei Ihnen!« Sie antwortete nicht gleich. Ein Zug verächtlichen Stolzes spielte um ihre Lippen. Sie sah in diesem Augenblick hart, beinahe grausam aus.
»Meinen Sie, daß ich meinem Herrn und Gebieter auch diesmal gehorchen soll?« sagte sie rauh, »heute hab' ich Lust, einmal ungehorsam zu sein ... mag daraus werden, was da will!« Sie wandte sich zum Führer: »Machen Sie das zweite Seil los und werfen Sie es den andern hinüber. Ich geh mit Ihnen und dem Herrn Baron auf den Gipfel! ...«
X
Höher ... immer höher hinauf, dem Eisriesen zu Leibe, der sich vergebens gegen seine winzigen Bezwinger wehrt. Hindernis auf Hindernis häuft er, um den schwarzen, unverdrossen vorwärts kriechenden Punkten den Weg zu verrammeln. Starre Felswände stellt er ihnen entgegen, faules Gestein, das tückisch in der Hand bricht, furchtbar jäh abschießende Firnhänge. Aber über alles hin schlingt sich das Seil, klirrt die Axt und hebt sich der Bergschuh Schritt für Schritt dem näher und näher kommenden Ziel entgegen.
Das ist das Gewaltigste und Aufregendste im Leben des Hochtouristen, dieser letzte Kampf mit dem Koloß, dieser Streit, den da in viertausend Meter Höhe, weit über den Stätten der Menschen, weit über der Wolkendecke, drei schwache Lebewesen mit dem ungeheuren Stein- und Eisgebilde führen. In den Kerben seines Frostpanzers sich emporwindend, jeden Felszacken als Handgriff benutzend, aus dem spröden Firn sich eine Treppe schmiedend, geht es hartnäckig himmelan, bis zu dem allerhöchsten, sanft geneigten Schneerücken, der keinen Widerstand mehr bietet. Der Augenblick des Triumphs ist nahe – und gellend hallt durch das starre Reich des Todes das Juchzen der Führer. Etwas Tierisches liegt in diesem Schrei, etwas von ungebändigter Kraft des Herrn der Schöpfung, jener unruhigen, kampfsuchenden Kraft, die ihn in die fernsten Winkel seines Erdballs, in das starre Eis des Nordpols, den ewigen Schnee der Hochwelt zum Kampfe mit den Elementen treibt.
Ein berauschendes Glücksgefühl schwellte Elisabeths Brust, während sie mit den Männern höher und höher klomm. Sie dachte an nichts mehr als an die trotzige Spitze über ihr, die ihre Augen im Klettern kampfgierig suchten. Die Erinnerung an den Auftritt mit ihrem Mann, das Bewußtsein der Gefahr ... das alles verschwand in diesem einzigen Gefühl unbeschreiblicher Daseinsfreude, durch diese Welt voll Graus und Schrecken sein blühendes Leben siegreich und lachend bis zu den Grenzen des Himmels hinaufzutragen.
Auch der Führer wurde immer lustiger, je höher sie. kamen und je eisiger der Hauch der Berge ihre heißen Wangen umfächelte. Er schrie und juchzte bei jedem neu erklommenen Kamm, jeder glücklich überwundenen Felswand, und in sein lärmendes Wesen klang zuweilen das dröhnende Lachen des Barons, dessen mächtige Augen in kühnem Wagemut glänzten. Sein Gesicht hatte sich gerötet, der blonde Vollbart wehte darüber hin. Er sah in dieser Stunde wahrhaft schön aus.
Unwillkürlich mußte sie daran denken. Aber fast zugleich erfaßte sie ein beklemmendes, beängstigendes Gefühls das sich schon die ganze Zeit dumpf bei ihr gemeldet hatte. Sie konnte keine Luft mehr bekommen! Sie mochte atmen, so tief sie wollte ... sie hatte trotzdem die Empfindung, als