Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz
Читать онлайн книгу.wußte ... er dachte dasselbe wie sie in dem beklommenen Schweigen, und immer schwerer lastete dies unausgesprochene, dies nie auszusprechende und ihnen beiden doch wohlbekannte Geheimnis auf ihr.
Oder sollte er doch daran rühren? Er machte eine Bewegung zu sprechen. »Verzeihen Sie, wenn ich davon red' ...« sagte er rauh und schnitzelte an seinem Brot, »aber es kommt oft vor, daß sich die Damen auf den Bergtouren viel zu fest schnüren und dann ...«
»Nein ... gar nicht!« Sie schüttelte herbe den blonden Kopf und sah zur Decke auf.
»Um so besser! Die Luft über 4000 Meter ist dünn, und mit einer Wespentaille kriegt man nicht genug davon in die Lungen. Und ändern läßt sich's nicht mehr, wenn wir mal aus dem Hause sind ...«
Wieder schwiegen beide, und durch ihre tiefen Atemzüge tickte eintönig die Uhr.
Gott sei Dank ... da kam die Wirtin, eine dampfende Kanne in der Hand. »Ich habe heiße Milch für Sie bestellt«, sagte der Gletschermann gebieterisch, »nehmen Sie sich etwas Kognak hinein und trinken Sie, soviel Sie wollen. Aber essen Sie nichts, als höchstens den Zwieback da. Sonst werden Sie unterwegs krank!«
Sie gehorchte. Und sie empfand dabei ein merkwürdiges Gefühl der Genugtuung, sich wieder von ihm beschützt zu wissen und seinem starken ruhigen Willen beugen zu dürfen.
Er sah auf die Uhr. »Wo bleibt denn eigentlich Ihr Herr Gemahl?«
Sie stand auf. »Ich werde ihn holen«, sagte sie mit leisem Unmut in der Stimme, »wahrscheinlich ist er wieder eingeschlafen!«
Aber da hörte sie schon draußen sein helles, weiches Lachen. »'Morgen!« rief er im Eintreten, »allerseits gut geruht? ... ja? ... wissen Sie, was die Führer für sich mitnehmen? ... getrocknete Pflaumen und in der Sonne gedörrtes Bockfleisch! brr! ... Es wird einem vom bloßen Hinsehen übel!«
Der Baron zog ein Paket aus der Lodenjoppe. »Gerad' dasselbe hab' ich auch in der Tasche!« sprach er kurz, »und jetzt halten S' sich ans Frühstück, daß wir bald wegkommen! Wir müssen beizeiten über den Firn!«
In wunderbarer Helle glitzerte und flimmerte über den Heraustretenden der Sternenhimmel. Anders als in dem trüben, lichtaufsaugenden Dunst der Ebene glühten hier, wie zum Greifen nah, die Himmelskörper durch die eiskalte Luft herab. Beinahe blendend wirkte ihr Glanz auf die Augen, die mühsam sich an das Stockdunkel ringsumher zu gewöhnen suchten.
Es war schneidend kalt, wie in einer deutschen Winternacht. Um die vermummten Gestalten zog der Atem in weißen Wolken dahin, und das Gras am Boden glitzerte von Reif.
Jetzt kam auch der zweite Führer aus dem Hause. Er trug eine brennende Laterne in der Hand und nahm mit ihr die Spitze. Langsam stieg man den Geröllpfad hernieder.
Behaglich war das nicht. In dem Flackerschein, der über das Steingeriesel unstet hinzitterte, konnte man nichts Rechtes unterscheiden. Alle Augenblicke strauchelte der ungeübte Fuß oder tastete unsicher in die Finsternis hinein und glitschte über schlüpfrige Rasenbüschel.
Anstrengend war das im höchsten Maße; Elisabeth hatte alle Mühe, der vorausschwankenden Laterne zu folgen, und fühlte in kurzem ihre Stirne trotz der Kälte feucht werden. Sie war aber nach ihrer Meinung auch viel zu dick eingepackt! Auf Befehl des Barons hatte sie sich einen Wollschal unter dem Hute um die Ohren, einen andern um den Hals geschlungen und Mund und Nase durch ein davorgelegtes Seidentuch geschützt. Dazu der lange Lodenmantel, die festen Wollstulpen an den Handgelenken, die Pelzhandschuhe, die dicken Wollstrümpfe und schweren Nägelschuhe ... es war wirklich zum Ersticken! Vorsichtig versuchte sie, etwas ihre Hüllen zu lüften, aber die schneidende, geradezu brennende Kälte, die sofort ihre Haut überzog, belehrte sie eines Besseren, und sie sah seufzend ein, daß ihr Mentor einmal wieder recht gehabt hatte.
Tiefer und tiefer stieg man hinab. Weit unter sich sahen sie im Zickzack das einsame Licht dahinschaukeln.
»... Das ist aber doch doll!« vernahm sie nach einiger Zeit die Stimme ihres Mannes, »ich denke, wir klettern auf 'nen Gipfel, und dabei sinken wir immer tiefer. Das ist ja gerade, wie wenn's in ein Bergwerk ginge!« Niemand antwortete.
»Na ... Elisabeth«, tönte es nach einer Weile wieder von hinten, »wie gefällt dir das? ... Großartig! ... was ... die Aussicht! ... die haben wir zu Hause nicht ... und die mollige Wärme und der lauschige Weg ...« Er brach ab und unterdrückte einen Fluch. Ein paar Steinchen kollerten hinab.
Sie wandte sich zu dem hinter ihr schreitenden Baron. »Ich weiß nicht«, sagte sie unsicher, »aber viel Spaß macht es mir heute auch nicht ... ich bin ganz matt und müde ...«
Aus dem Dunkel kam ein kurzes dröhnendes Lachen.
»Wissen S', was der alte Napoleon gesagt hat, gnädige Frau? Der einzig wahre Mut ist der Zwei-Uhr-morgens-Mut! Allons! Schaffen S' sich den schleunigst an! 's ist höchste Zeit. Wir haben schon viertel drei!«
Sie lachte mit und nickte ihm im Dunkel zu. »Recht haben Sie!« rief sie und sprang leichtfüßig hinter der Laterne her.
Die machte jetzt halt. Die Führer beratschlagten in ihrem schwäbelnden Kauderwelsch, aus dem man nur das stetig wiederkehrende Wort »Morrräne« vernahm. Man mußte also an einem Gletscher sein. Und richtig, da schimmerte ja in verschwommenen weißlichen Umrissen das mächtige Frostgebilde durch die Nacht. Es lag in tiefer Ruhe. Das Sprudeln und Plätschern des Wassers war versiegt. Nichts regte sich mehr in seinen Schlünden.
Vor ihr zitterte der Lichtstreif über einen hohen, mäßig steilen Geröllhang. Sie wollte ein paar Schritte daran heraufsteigen, aber schon beim ersten Tritt glitt sie auf den Kieseln und dem körnigen Sand wie auf einem Spiegel aus und rutschte unsanft herunter.
Der Baron fing sie auf. »Das ist alles vereist!« schmunzelte er und betrachtete prüfend den schmutzigbraunen Wall, »all der Dr ... , der Gletscherkehricht da ist beinhart zusammengefroren. Da heißt's halt Stufen hauen!«
Und schon senkte sich sein Pickel krachend in den tückischen Abhang, daß die Schlammsplitter klirrten und ein Tritt nach dem andern in dem häßlichen vereisten Brei entstand.
Endlich war die Leiter fertig. Der Führer, der geleuchtet hatte, stieg wieder herab, bot Elisabeth die Hand und zog sie herauf, indem er sorgsam den Schein der Laterne jeweils auf die nächste Stufe fallen ließ, der sie ihren Fuß anzuvertrauen hatte. Nach kurzem stand sie oben, und das Licht glitt wieder den Schmutzwall hinunter.
»Na, hören Sie mal, lieber Baron!« klang von da eine joviale Stimme aus dem Dunstkreis des Lämpchens, »die Bergfexerei in Ehren! ... aber wenn das ein sogenannter Genuß sein soll ...«
»Komm der Herr nur!« Man sah, wie der Führer sich mit ausgestreckter Hand vorbeugte. Herr von Randa tauchte oben auf und sah sich prüfend um. »Also nu 'n Gletscher!« meinte er, »bon! ... ich bin mit der Tour zufrieden! 's ist ja ganz interessant, auch einmal diese menschliche Verirrung mitzumachen!«
»Werd' ich denn hier nicht ans Seil genommen?« fragte Elisabeth.
Gündlingen verneinte. »Der Gletscher ist ganz flach und harmlos. Bei Tag treibt man da die Küh' und Ziegen 'rüber. Und wenn wo 'ne Schneebrücke sein sollt', so ist sie jetzt fest gefroren und trägt uns!«
In der Tat ... es ging sich sehr bequem auf diesem blanken, nur zuweilen sanft sich neigenden oder ansteigenden Eisparkett. In seinem Spiegel schimmerte weithin der Lichtkegel der Laterne, so daß man den Weg nicht verfehlen und leicht die da und dort klaffenden Spalten vermeiden konnte.
In einer Viertelstunde war man auf der andern Seite angelangt und stieg auf flüchtig gehauenen Stufen einen kleinen Eishang hinab, an dessen Rand wieder lose Kieselsteine unter den Sohlennägeln knirschten. »Jetzt wird der Herr Gemahl wieder schimpfen!« sagte neben ihr der Baron trocken, »jetzt geht's in die Moräne!«
Und unter den Moränen, den Schmutzflecken der Alpenwelt, nahm die vor ihnen liegende einen hervorragenden Rang ein. Erst hieß es im Zickzack eine hochragende Schuttwand erklimmen, dann schritt man, vorsichtig mit der Laterne leuchtend, eine Weile den spitz zulaufenden, kaum fußbreiten