Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays. Rudolf Stratz

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Gesammelte Werke: Historische Romane, Kriminalromane, Erzählungen & Essays - Rudolf Stratz


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mache ... mein Mann ... Herr Baron Gündlingen ... mein Lebensretter, wenn ich so sagen darf ...«

      »Freut mich ungemein« – ihr Gatte war höflich wie immer – »zu meinem Bedauern verließen Sie Grindelwald so rasch, daß ich gar nicht dazu kam, meinen Dank ...«

      Der andre wehrte ab: »Von Dank ist da keine Red'! ... Ich war zufällig dabei, sonst hätt's der alte Christen auch allein getan. Der hat noch keinen fallen lassen ...«

      Eine Pause entstand. Sie gingen langsam durch die Dorfgasse zurück.

      »Wissen Sie, daß wir auch hier Touren machen werden?« hub Elisabeth an, »mein Mann hat endlich Geschmack daran gefunden. Morgen fangen wir an.«

      Er nickte und sah prüfend zum Himmel auf. »Wenn 's Wetter hält«, sprach er, »hier unten weht der Wind ja freilich vom Sankt Niklastal herauf ... aber da oben ziehen die Wolken immer noch von Süden!«

      »Und das ist schlecht?« fragte Herr von Randa.

      »Das bringt Regen. Aber es kann sein, daß es sich bessert. Das Barometer steht noch so so!«

      Da sprach man also glücklich vom Wetter!

      Elisabeth blieb stehen und schaute sehnsüchtig zum Matterhorn empor.

      »Da möchte ich hinauf«, meinte sie und deutete auf den langsam im Dämmern verglimmenden Riesen. »Die Dame, die heute oben war, die beneide ich, weiß Gott.«

      »Aufs Matterhorn können Sie nicht!« Ihr Begleiter sprach eigentlich mehr zu ihrem Mann als zu ihm, »das ist für Sie zu schwer!«

      »So?« Ihr Ton war etwas spitz. »Ich denke, ich habe Courage?«

      »Die Courage allein tut's nicht. Dazu gehört die Übung, und die kriegt man nicht von heute auf morgen!«

      »Ja ... wo soll man denn da hin?«

      Er zuckte die Achseln. »Es gibt schon leichte Berge! Der Cima di Jazzi ... oder das Breithorn ... auf dem steigt ja ein jeder herum ... oder mal zum Untergabelhorn ...«

      Er sprach das gleichgültig wie ein Führer, mit dem man über eine Tour verhandelt. Der Unmut stieg in ihr empor. Sie merkte: er wollte mit vollem Bewußtsein die gefährliche Kameradschaft von neulich nicht erneuern.

      »Hat Ihnen das kalte Bad damals nicht geschadet, gnädige Frau?« fragte er kurz und höflich. »Danke. Nicht im geringsten!«

      »Nicht einmal einen Schnupfen?«

      »Nein. Gar nicht!«

      »Ein Beweis für Ihre gute Konstitution, gnädige Frau! So haben Sie doch einen Gewinst von der verregneten Partie!«

      Verregnete Partie! Der Ausdruck ärgerte sie. Es lag so etwas Kleinliches darin, was gar nicht zu ihrer damaligen Stimmung paßte.

      Aber hatte er nicht recht, diese Stimmung auf sich beruhen zu lassen und an Stelle des burschikosen Verkehrstons in der Klubhütte die Förmlichkeit der guten Gesellschaft zu setzen? Er konnte ja gar nicht anders! Es war seine Pflicht. Und sie selbst suchte es ja, sie wollte ja diese Schranken zwischen sich und ihm errichten.

      Und dennoch fühlte sie sich enttäuscht, beinahe gedemütigt, als sie alle drei sich an der langen Table d'hote niederließen.

      Sein Äußeres erschien ihr verändert. Er war dunkel, in unauffälliger Korrektheit gekleidet. Aber diese Atlasbinde, die weiten Beinkleider, das modische Jackett wollten ihr so gar nicht zu der schwerfälligen Vornehmheit seines Wesens passen. Wie zwei verschiedene Menschen erschienen ihr der Mann da draußen, in der verwetterten Lodenjoppe, mit nägelbeschlagenen Schuhen, die wuchtige Eisaxt in der stählernen Faust, und der einsilbige Gutsbesitzer, hier in der Tafelrunde gleichgültiger Menschen, mit dem Oberkellner über eine Flasche Beaujolais verhandelnd. Und vielleicht ging es ihm gerade so? Vielleicht erkannte er in der schlanken kühlen Weltdame, die da an der Seite ihres Gatten ihm gegenüber saß, die kecke Kameradin von neulich, die Träumerin, der sich an seiner Seite die Wunder der Hochwelt erschlossen, gar nicht wieder?

      Steif und zurückhaltend war er jedenfalls genug dazu. Bei aller Höflichkeit, mit der er das gleichgültige Gespräch weiterführte, schien er das Ende der Mahlzeit herbeizusehnen.

      Sie wurde immer schweigsamer, und auch ihm kamen die Worte spärlich vom Munde.

      Endlich verstummten sie ganz. Lächerlich, zu reden, wenn man sich nichts sagen will!

      Aber ihre Augen trafen sich zuweilen. Und dann war es, als ginge den beiden blitzschnell der gleiche Gedanke durch den Kopf: »Wie lange wollen wir uns noch die Komödie vorspielen?«

      Doch das dauerte nur einen Augenblick. Dann empfanden sie, daß sie sich geirrt hatten. Und es war ja gut, daß sie sich nicht mehr verstanden ... Aber trotzdem erfaßte sie eine Stimmung trostloser Erbitterung. Anders hatte sie sich das Erwachen aus dem Traume doch vorgestellt.

      Um sie das Geschwätz und Gelächter, das Tellerklirren, das Schmatzen und Schlürfen, der Glockenschlag, der vom Büfett her das Zeichen zum Servieren eines neuen Ganges gab, die eilfertigen Tritte der Kellner und Mägde ... das kam ihr heute alles so widerlich vor. Sie blickte die Tafel entlang: selbstzufriedene Alltagsgesichter überall ... plaudernde, kauende Menschheit ... selten einmal von irgendeinem originellen Kopfe, einer interessanten Erscheinung unterbrochen.

      Man konnte diese seltenen Gäste beinahe zählen: Da zwei alte Männer, ein Yankee und ein Brite, die während des Essens gespannt die »Times« und den »New York Herald« lasen. Nach dem Braten sahen sie sich stumm an, tauschten ihre Zeitungen über den Tisch herüber aus und verschwanden wieder hinter den hohen Papierwänden.

      Einem Herrn in der Nachbarschaft, der wie ein gereizter Nußknacker aussah, schien das zu mißfallen. Er trommelte nervös auf dem Teller, zupfte an seinem dunklen Henriquatre und starrte wie hypnotisiert zu den beiden Gentlemen hinüber.

      Und da endlich ein schönes Gesicht: eine junge Französin, die aus tiefdunklen, schwermütigen Augen sehnend den Tisch entlang sah, zum Fenster hin, hinter dessen Scheiben die Berge im Dämmerschein blauten. Dort am Fenster stand der Kellner mit der Puddingschüssel, und je weiter er servierend die Reihe heraufkam, desto kleiner wurde ihr Inhalt und desto größer das seelenvolle Augenpaar des hungrigen Backfisches.

      Elisabeth sah wieder vor sich hin. Sie begriff es selbst nicht, warum sie sich so gereizt und elend fühlte. War es nur das verletzte Selbstbewußtsein, daß er sie aus dem Traum wachgerüttelt hatte, aus dem sie sich mit eigener Kraft hatte befreien wollen?

      War es das Sehnen nach diesem Traum selbst, der da wie eine bunte Seifenblase vor ihr zerging und ihr die leere, öde Wirklichkeit zurückließ ... ?

      Die beiden Männer neben ihr waren in eifriger Unterhaltung. Sie hatten sich in ihrer Stellung als Großgrundbesitzer getroffen und tauschten ihre Erfahrungen über das Wesen der mittelsächsischen und der fränkischen Landwirtschaft aus. Von Viehzucht war namentlich die Rede ... von der Simmenthaler Rasse ... von Weidegang und Genossenschaftsmeiereien, und aus den Worten, die halbgehört an ihr Ohr schlugen, konnte Elisabeth entnehmen, daß ihr Gatte sich mit der Absicht trug, mit dem schwäbischen Berufsgenossen einen Handel über eine Herde ausgesuchter Zuchtkühe abzuschließen.

      Wiederholt hatte, dies Gespräch unterbrechend, der andre mit ein paar höflichen Worten sich an sie gewandt. Sie antwortete kurz und kühl und drehte sich dann, eine günstige Gelegenheit benutzend, der Dame zu ihrer Rechten zu, einer freundlichen englischen Matrone, die, an der Seite ihres steifleinenen schweigsamen Gemahls sitzend, froh war, der schönen, leidlich Englisch sprechenden Nachbarin ihre Ansichten von Zermatt, von der Schweiz im allgemeinen und den Hotelpreisen im besonderen zu vermitteln.

      »Elisabeth ...« Sie fühlte sich von ihrem Gatten leicht am Arm berührt und sah, daß Herr von Gündlingen, den Beginn des Desserts nicht mehr abwartend, sich erhoben hatte.

      Sie erwiderte mit freundlichem Lächeln seinen Gruß und rückte dann, während er schwerfällig durch den Saal dahinschritt, ungeduldig an ihrem eigenen Stuhl: »Wir wollen auch gehen!« sagte sie, ihrem Mann unter dem Tisch leise die Hand drückend, »ich


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