Ausgewählte Schriften zur Geschichtsphilosophie, Ethik und Politik. Immanuel Kant

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Ausgewählte Schriften zur Geschichtsphilosophie, Ethik und Politik - Immanuel Kant


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die Vernunft vor ihnen zurückbebt, dergleichen man unserm Verf., ohne ungerecht zu sein, nicht beimessen darf. Was den Beitrag desselben zur vergleichenden Anatomie durch alle Thiergattungen bis herab zur Pflanze betrifft, so mögen die, so die Naturbeschreibung bearbeiten, selbst urtheilen, wiefern die Anweisung, die er hier zu neuen Beobachtungen giebt, ihnen nutzen könne, und ob sie wohl überhaupt einigen Grund habe. Aber die Einheit der organischen Kraft (S. 141), die als selbstbildend in Ansehung der Mannigfaltigkeit aller organischen Geschöpfe und nachher nach Verschiedenheit dieser Organen durch sie auf verschiedene Art wirkend den ganzen Unterschied ihrer mancherlei Gattungen und Arten ausmache, ist eine Idee, die ganz außer dem Felde der beobachtenden Naturlehre liegt und zur blos speculativen Philosophie gehört, darin sie denn auch, wenn sie Eingang fände, große Verwüstungen unter den angenommenen Begriffen anrichten würde. Allein bestimmen zu wollen, welche Organisirung des Kopfs äußerlich in seiner Figur und innerlich in Ansehung seines Gehirns mit der Anlage zum aufrechten Gange nothwendig verbunden sei, noch mehr aber, wie eine blos auf diesen Zweck gerichtete Organisation den Grund des Vernunftvermögens enthalte, dessen das Thier dadurch theilhaftig wird, das übersteigt offenbar alle menschliche Vernunft, sie mag nun am physiologischen Leitfaden tappen, oder am metaphysischen fliegen wollen.

      Durch diese Erinnerungen soll indessen diesem so gedankenvollen Werke nicht alles Verdienst benommen werden. Ein vorzügliches darin ist (um hier nicht so mancher eben so schön gesagten, als edel und wahr gedachten Reflexionen zu gedenken) der Muth, mit welchem sein Verfasser die alle Philosophie so oft verengenden Bedenklichkeiten seines Standes in Ansehung bloßer Versuche der Vernunft, wieweit sie für sich selbst wohl gelangen könne, zu überwinden gewußt hat, worin wir ihm viele Nachfolger wünschen. Überdem trägt die geheimnißvolle Dunkelheit, in welche die Natur selbst ihre Geschäfte der Organisation und der Classenvertheilung ihrer Geschöpfe einhüllte, einen Theil der Schuld wegen der Dunkelheit und Ungewißheit, die diesem ersten Theile einer philosophischen Menschengeschichte anhängen, der dazu angelegt war, um die äußersten Enden derselben, den Punkt, von dem sie anhob, und den, da sie sich über die Erdgeschichte hinaus im Unendlichen verliert, wo möglich an einander zu knüpfen; welcher Versuch zwar kühn, aber doch dem Forschungstriebe unserer Vernunft natürlich und selbst bei nicht völlig gelingender Ausführung nicht unrühmlich ist. Desto mehr aber ist zu wünschen, daß unser geistvoller Verfasser in der Fortsetzung des Werks, da er einen festen Boden vor sich finden wird, seinem lebhaften Genie einigen Zwang auflege, und daß Philosophie, deren Besorgung mehr im Beschneiden als Treiben üppiger Schößlinge besteht, ihn nicht durch Winke, sondern bestimmte Begriffe, nicht durch Gemuthmaßte, sondern beobachtete Gesetze, nicht vermittelst einer, es sei durch Metaphysik, oder durch Gefühle, beflügelten Einbildungskraft, sondern durch eine im Entwurfe ausgebreitete, aber in der Ausübung behutsame Vernunft zur Vollendung seines Unternehmens leiten möge.

       Inhaltsverzeichnis

      Erinnerungen des Recensenten der Herderschen Ideen zu einer Philosophie der Geschichte der Menschheit (Nro. 4 und Beil. der Allg. Lit.=Zeit.) über ein im Februar des Teutschen Merkur gegen diese Recension gerichtetes Schreiben.

      Im Februar des T. M., Seite 148, tritt unter dem Namen eines Pfarrers ein Vertheidiger des Buchs des Herrn Herder gegen den vermeintlichen Angriff in unserer A.L.=Z. auf. Es wäre unbillig den Namen eines geachteten Autors in den Streit zwischen Recensenten und Antirecensenten mit zu verwickeln; daher wollen wir hier nur unsere Verfahrungsart in Bekanntmachung und Beurtheilung gedachten Werks als den Maximen der Sorgfalt, Unparteilichkeit und Mäßigung, die diese Zeitung sich zur Richtschnur genommen hat, gemäß rechtfertigen. Der Pfarrer zankt in seinem Schreiben viel mit einem Metaphysiker, den er in Gedanken hat, und der, wie er ihn sich vorstellt, für alle Belehrung durch Erfahrungswege, oder, wo diese die Sache nicht vollenden, für Schlüsse nach der Analogie der Natur gänzlich verdorben ist und alles nach seinem Leisten scholastischer unfruchtbarer Abstractionen anpassen will. Der Recensent kann sich diesen Zank recht wohl gefallen lassen, denn er ist hierin mit dem Pfarrer völlig einerlei Meinung, und die Recension ist selbst der beste Beweis davon. Da er aber die Materialien zu einer Anthropologie ziemlich zu kennen glaubt, imgleichen auch etwas von der Methode ihres Gebrauchs, um eine Geschichte der Menschheit im Ganzen ihrer Bestimmung zu versuchen: so ist er überzeugt, daß sie weder in der Metaphysik, noch im Naturaliencabinet durch Vergleichung des Skelets des Menschen mit dem von andern Thiergattungen aufgesucht werden müssen; am wenigsten aber die letztere gar auf seine Bestimmung für eine andere Welt führe; sondern daß sie allein in seinen Handlungen gefunden werden können, dadurch er seinen Charakter offenbart; auch ist er überredet, daß Herr Herder nicht einmal die Absicht gehabt habe, im ersten Theile seines Werks (der nur eine Aufstellung des Menschen als Thiers im allgemeinen Natursystem und also einen Prodromus der künftigen Ideen enthält) die wirklichen Materialien zur Menschengeschichte zu liefern, sondern nur Gedanken, die den Physiologen aufmerksam machen können, seine Nachforschungen, die er gemeiniglich nur auf die mechanische Absicht des thierischen Baues richtet, wo möglich weiter und bis zu der für den Gebrauch der Vernunft an diesem Geschöpfe zweckmäßigen Organisation auszudehnen; wiewohl er ihnen hierin mehr Gewicht, als sie je bekommen können, beigelegt hat. Auch ist nicht nöthig, daß der, so der letzteren Meinung ist, (wie der Pfarrer S. 161 fordert) beweise: daß die menschliche Vernunft bei einer andern Form der Organisation auch nur möglich wäre, denn das kann eben so wenig jemals eingesehen werden, als daß sie bei der gegenwärtigen Form allein möglich sei. Der vernünftige Gebrauch der Erfahrung hat auch seine Grenzen. Diese kann zwar lehren, daß etwas so oder so beschaffen sei, niemals aber daß es gar nicht anders sein könne; auch kann keine Analogie diese unermeßliche Kluft zwischen dem Zufälligen und Nothwendigen ausfüllen. In der Recension wurde gesagt: "Die Kleinheit der Unterschiede, wenn man die Gattungen ihrer Ähnlichkeit nach an einander paßt, ist bei so großer Mannigfaltigkeit eine nothwendige Folge eben dieser Mannigfaltigkeit. Nur eine Verwandtschaft unter ihnen, da entweder eine Gattung aus der andern oder alle aus einer einzigen Originalgattung und etwa aus einem einzigen erzeugenden Mutterschooße entsprungen wären, würde auf Ideen führen, die aber so ungeheuer sind, daß die Vernunft vor ihnen zurück bebt, dergleichen man unserm Verfasser, ohne ungerecht zu sein, nicht beimessen darf." Diese Worte verführten den Pfarrer zu glauben, als sei in der Recension des Werks metaphysische Orthodoxie, mithin Intoleranz anzutreffen; und er setzt hinzu: "Die gesunde ihrer Freiheit überlassene Vernunft bebt auch vor keiner Idee zurück." Es ist aber nichts von allem dem zu fürchten, was er wähnt. Es ist blos der Horror vacui der allgemeinen Menschenvernunft, nämlich da zurück zu beben, wo man auf eine Idee stößt, bei der sich gar nichts denken läßt, und in dieser Absicht möchte wohl der ontologische Codex dem theologischen und zwar gerade der Toleranz wegen zum Kanon dienen. Der Pfarrer findet überdem das dem Buche beigelegte Verdienst der Freiheit im Denken viel zu gemein für einen so berühmten Verfasser. Ohne Zweifel meint er, es sei daselbst von der äußeren Freiheit die Rede, die, weil sie von Ort und Zeit abhängt, in der That gar kein Verdienst ist. Allein die Recension hatte jene innere Freiheit, nämlich die von den Fesseln gewohnter und durch die allgemeine Meinung bestärkter Begriffe und Denkungsarten, vor Augen; eine Freiheit, die so gar nicht gemein ist, daß selbst die, so sich blos zur Philosophie bekennen, nur selten sich zu ihr haben empor arbeiten können. Was er an der Recension tadelt: "daß sie stellen, welche die Resultate ausdrücken, nicht aber zugleich die, so sie vorbereiten, aushebt," möchte wohl ein unvermeidliches Übel für die ganze Autorschaft sein, welches bei allem dem immer doch noch erträglicher ist, als mit Aushebung einer oder andern Stelle blos überhaupt zu rühmen, oder zu verurtheilen. Es bleibt also bei dem mit aller billigen Achtung und selbst mit Theilnehmung an dem Ruhme, noch mehr aber an dem Nachruhme des Verfassers gefällten Urtheile über das gedachte Werk, welches mithin ganz anders lautet als das, was der Pfarrer ihm S. 161 (nicht sehr gewissenhaft) unterschiebt, daß das Buch nicht geleistet habe, was sein Titel versprach. Denn der Titel versprach gar nicht, schon im ersten Bande, der nur allgemeine physiologische Vorübungen enthält, das zu leisten, was von den folgenden (die, so viel man urtheilen kann, die eigentliche Anthropologie enthalten werden) erwartet wird, und die Erinnerung war nicht überflüssig: in dieser die Freiheit einzuschränken, die in jenen wohl Nachsicht verdienen möchte. Übrigens


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