Das fiebernde Haus. Walther von Hollander

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Das fiebernde Haus - Walther von Hollander


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eines Stares, der im Gipfel der Riesenulme winzig und mit geblähter Kehle ein Singspiel trieb. Das Gesicht Urks löschte bei diesem aufmerksamen Zuhören langsam nach innen aus. Bleich und undurchsichtig schimmerte die Haut aus der Bartwildnis, aber die Augen leuchteten hellgrau, ja fast weisslich in der Farbe von Wolke, durch die gleich Sonne brechen wird.

      Mit einem kleinen Seufzer wandte sich Urk schliesslich ab und lief hinter den Gepäckträgern her, die bereits leise fluchend auf dem Gestänge des Wagens vor dem Hause warteten.

      Auch der Portier hatte sich eingefunden, ein wenig vertrauenerweckender Mann von etwa vierzig Jahren. Karl Querfurth sei sein Name, murmelte er, und es blieb unklar, ob diese Vorstellung der Hohn eines Heruntergekommenen oder der unsichere Versuch eines Heraufwollenden war. Auch an der Kleidung konnte man das nicht sehen. Hatte er die graukarierten Hosen vor langem gekauft oder vor kurzem geschenkt bekommen? War der speckige blaue Rock von anderen abgelegt oder von Querfurth abgetragen? Erst die stumpfen Spatenhände mit den abbröckelnden oder abgekauten Nägeln und den knolligen Fingergelenken beseitigten jeden Zweifel über sein Herkommen, und der speckige Hals, die feisten bleichen Backen, die wässrigen Schweinsaugen und der gepflegte Schnurrbart zeigten klar seine Zugehörigkeit zu der Klasse der Herumsteher, Schnüffler, Gelegenheitsarbeiter, Gelegenheitsdiebe und Zuhälter.

      So — zu Bermanns ziehe der Herr. Es sei zweifelhaft, ob sie überhaupt das Recht hätten, zu vermieten. Im allgemeinen sei das im Vorderhaus verboten.

      Urk reichte ihm schweigend einen Fünfmarkschein. „Sie werden etwaige Schwierigkeiten dem Hauswirt gegenüber beseitigen“, sagte er obenhin. Querfurth verstand sofort, öffnete eilfertig die Tür und half sogar, die Sachen hinauftragen. Es waren das zwei Schliesskörbe, von denen der eine mit Büchern gefüllt schien, während der andere wohl die gewöhnlichen Sachen enthielt. Dazu zwei Riesenrollen von Teppichen, eine Schreibmaschine, ein Fahrrad und mehrere Bilder. Diese Bilder, die sorgfältig in Lappen eingeschlagen und in Holzgestelle eingebaut waren, nahm Urk selbst unter den Arm und trug sie vorsichtig in seine neue Wohnung.

      Obgleich er sehr erschöpft war, ging er doch noch an das erste Umräumen. Das Hausmädchen Elise half ihm dabei und suchte seine Aufmerksamkeit durch Übereifer und einige tiefsinnige Bemerkungen über Bücher und Bilder zu erregen. Aber Urk bemerkte die Bemühungen nicht. Das bisschen Spannkraft, das er noch hatte, war ganz beansprucht vom Hinauswerfen der entbehrlichen Möbelstücke. Er murmelte fortwährend vor sich hin, prüfte kurz, packte zu und entwickelte eine so staunenswerte Gewandtheit, dass bei Elise das naive Lachen des Landmädchens oft und öfter durch das noch nicht gut sitzende Kokottenlächeln durchbrach.

      Der Schrank sei leider nötig — aber im anderen Zimmer. Urk hob, schob, wirbelte ihn mit einigen wenigen Griffen über den Flur weg in das grosse Zimmer. Das Bett? Aha — es sei auseinanderzuschrauben. Ganz recht, ohne Schraubenzieher nicht zu machen. Aber man könne es zum Beispiel im Erker ganz gut aufstellen. Zu laut? Auch hinten im Zimmer schlafe man nicht auf den Ohren, dagegen könne man im Sommer leicht Durchzug haben. Das Bücherregal gehöre ins kleine Zimmer. Die fremden Bücher könne er nicht brauchen. Die Linoleumteppiche solle sie nur auch gleich mitnehmen. Nein, der sandfarbene Buchara gehöre ins Schlafzimmer. Drauf? Nichts sei draufzustellen. Der runde Tisch müsse auch heraus. Urk öffnete die Tür zum Berliner Zimmer, ein Schatten hob sich von der jenseitigen Wand, stand abwehrend. Ein Mädchen schob sich in seltsamem Watschelgang aus der Tür.

      Urk besann sich. Richtig — die Verrückte! Er rollte den Tisch noch etwas vor, liess ihn stehen und ging leise zurück.

      Ach, wie müde er war! Nein, nun könne er nicht mehr. Gut, die Teppiche noch für das kleine Zimmer. Zwei dunkelrote Kelims und ein blauer seidener Gebetsteppich kamen zum Vorschein. Elise solle nur alles stehen lassen. Er werde im kleinen Zimmer auf dem Diwan schlafen. Er holte aus dem Korb noch eine Daunendecke, zwei Laken und mehrere Kissen. So, das solle sie nun aufdecken. Einen Tee? Ja, das wäre eine famose Idee.

      Urk stand inmitten seiner Habseligkeiten still. Dann trat er in den Erker und sah hinaus. Es war draussen ganz dunkel geworden zwischen spärlich entflammten Laternen. Ein paar verspätete Kinder lärmten grell. Ab und zu kamen ein paar Menschen den Gehsteig entlang, gerieten wenige Meter vor dem Erker ins Helle einer Gasflamme und verschwanden dann unter Urks Füssen wie in einem Tunnel. Den Mond, der im ersten Viertel über einer hässlichen Hausdecke hing, sah er nicht. Wie es denn überhaupt seine Gewohnheit war, mehr mit gesenktem Kopf vor sich hinzustarren. Das mochte von seiner Grösse kommen, vielleicht aber auch von seiner Neigung zu Melancholie und Grübelei.

      Urk setzte sich ein wenig auf die rote Matratze seines Bettes und wäre beinahe eingeschlafen. Aber da kam Elise, meldete, dass der Tee serviert sei und hatte den Telephonapparat unter dem Arm. „Eine Dame“, sagte sie hochachtungsvoll, stöpselte ein und ging. Hinter der Tür blieb sie stehen und horchte. Das schien also bereits die Freundin zu sein. Urk sprach aber nicht, sondern betrachtete den Apparat erst misstrauisch, dann lächelnd. Schliesslich schlich er auf den Zehenspitzen zum Hörer, ergriff ihn vorsichtig mit zwei Fingern und legte ihn wieder auf die Gabel des Apparates. Nein, er war nicht von Leschkas ausgerückt, um sich wieder einfangen zu lassen. Hatten sie ihn bereits ausspioniert, so würde er doch nicht eher mit ihnen sprechen, als ihm beliebte.

      Er ging dann schnell ins kleine Zimmer herüber, der Tee stand auf dem kleinen Tischchen am Fenster, ein Lehnsessel davor. Urk setzte sich und goss sich umständlich eine Tasse Tee ein. Die rechte Mischung wollte nicht gelingen. Abwechselnd war er zu stark und zu schwach. Schliesslich trank er ihn, ohne recht zu schmecken.

      Seine Aufmerksamkeit war ganz auf den Hof gerichtet. Jetzt am Abend sah man zwar zunächst nur den viereckigen Schacht, sah die scharfen Kanten des Gartenhauses, die von den weichen Linien der Bäume aufgenommen wurden, und sah vor allem einen fast schwarzen Nachthimmel in ruhiger Rundung Dach und Schornsteine des Nebenhauses überwölben. Er stellte fest, dass es in dem Bild drei verschiedene Schwarz gab. Stein, Baum und Himmel gaben die Dunkelheit dreifach wider.

      Immer mehr Lichter flammten dann dem Hof zu auf. Die grellen Vierecke fielen auf das Pflaster und verscheuchten die Dämmerung. Manchmal bewegten sich Schatten in den hellen Gardinen der Fenster, schwächere Schatten in den Vierecken auf dem Hofpflaster. Die Stimmen aus den Stockwerken schwollen an. Heimkehrende und Fortgehende überquerten den Hof, Zank, Musik, Telephonschrillen und zuweilen ein Lachen durchdrangen die Mauern. Aus einem offenen Fenster pfiff ein Junge das Ehrhardtlied, und aus dem Heizraum im Keller dröhnte das Schaufeln von Kohlen.

      Urk hörte eine Weile aufmerksam zu. Er versuchte, die Geräusche nach Ausgangspunkt und Sinn zu bestimmen. Für ihn, der nach drei Jahren Landleben zum erstenmal sich in der Stadt eingewöhnen sollte, waren sie nicht selbstverständlich. Sie mussten einen Sinn haben. Aber es war ihm alles schwer begreiflich. Der Kopf brannte. Was für ein Monstrum, so ein Haus, dachte er noch. Dann schlief er auf seinem Stuhl ein, um erst um zwei Uhr davon aufzuwachen, dass ein Betrunkener seinen Hauseingang nicht finden konnte und randalierte. Ein paar Fenster wurden blank, Stimmen, die sich die Störung verbaten, vergrösserten den Lärm. Urk sah den Betrunkenen auf- und abwanken, er hörte ihn fluchen, und er verstand ihn gut. Wie sollte man sich in einem dunklen Haus zurechtfinden. Fluchend und wankend suchte er selbst seine Lagerstatt auf.

      II

      Mit diesem Haus in der Lutherstrasse hatte es eine Bewandtnis, die so recht etwas für alte Klatschbasen gewesen wäre. Aber im alten Westen gab es durch Krieg und Nachkrieg zu viele Schicksalsänderungen innen und aussen. Von den Mietern der alten vornehmen Wohnungen sass ein grosser Teil schon auf dem Aussterbeetat. Sie würden nach Aufhebung der Zwangswirtschaft ihre Wohnungen aus Geldgründen nicht halten können. Sie teilten sie jetzt schon vielfach, durch die Behörde oder die Not gezwungen, mit allerlei Eindringlingen, und manche Wohnung war bereits durch die Neureichen ganz und gar bewohnt, die in ihrem Gebaren sehr an die Väter der nun verarmten Bürgerschichten erinnerten. Eine seltsame Gerechtigkeit: die durch Weltkrieg und Revolution reich Gewordenen nahmen den Kindern der durch 1870 reich Gewordenen die letzten Besitztümer ab.

      Die einen im Kommen, die anderen im Gehen. Dazu die unheimliche Ausdehnung der Geschäftsstadt, die dem Westen immer mehr den reinen Wohncharakter nahm — das alles bewirkte, dass die Gespenster- und Flüstertradition, die lokalmündliche


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