Das fiebernde Haus. Walther von Hollander

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Das fiebernde Haus - Walther von Hollander


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Stock des Gartenhauses, eine sechzigjährige berufslose Dame, die sich mit Mühe und Not von Weissnähen und Vermieten ernährte, nur Fräulein v. Meyer wusste bis ins einzelne Bescheid. Aber einmal gab sie doch nur zuweilen und unter Freunden „ihre düstersten Erinnerungen preis“, und dann hatten die meisten Menschen ja gar nicht soviel Zeit, um die mit vielen Seufzern, Tränen und Redeblumen verzierten Ausführungen anzuhören. Die ganz charakteristischen Tatsachen waren kurz folgende: Kommerzienrat v. Meyer, ein 1888 geadelter reicher Baumaterialienhändler, hatte, durch unglückliche Spekulationen zurückgekommen, sich im Jahre 1902 auf das Bauen verlegt. Seine Bauten sollen sich (was Fräulein v. Meyer verschwieg) durch eine bedeutende „Windigkeit“ ausgezeichnet haben. Trotzdem ging das Baugeschäft leidlich, bis Meyer den Bau des Hauses in der Lutherstrasse begann. Da folgte Unglück auf Unglück. Beim Zuschütten des Brunnens fiel ein Arbeiter in den alten Schacht und wurde von Gasen erstickt. Einige Wochen später brach eine bis zum dritten Stock aufgeführte Wand ein, schlug drei Arbeiter zu Tode und fünf zu Krüppeln. Der Bau blieb darauf ein Vierteljahr halbfertig liegen und „frass Zinsen“ (das „frass Zinsen“ pflegte Fräulein v. Meyer sehr plastisch durch Kinnbackenmahlen darzustellen). Als man wieder beginnen wollte, zeigte es sich, dass infolge Grundwassers sich die Mauern gesenkt hatten. Man musste alles wieder abreissen, bedeutende Fundamentierungen vornehmen und von vorn anfangen. Schliesslich stürzte noch das Malergerüst zusammen, wobei allerdings nur ein Lehrling das Schlüsselbein brach. Aber dieser Einsturz hatte zur Folge, dass die Firma v. Meyer wegen Ausserachtlassen aller Vorsichtsmassregeln vier Wochen bestreikt wurde. Fast wäre ihr sogar noch die Baukonzession entzogen worden. Als das Haus dann endlich fertig war — es hatte das Dreifache des Voranschlags gekostet — wollten sich keine Mieter für das „Unglückshaus“ finden. Die Gasquelle des Brunnens könne wieder aufbrechen, meinten die einen. Die toten Bauarbeiter zögen die ersten Mieter nach, tuschelten die andern. Sehr solide werde wohl nicht gebaut, wo so viel Malheur geschehe, sagten die dritten. Kurzum, der grösste Teil des Hauses blieb jahrelang leer, das Vermögen des Herrn v. Meyer schrumpfte, er musste schliesslich sein Haus in Nikolassee verkaufen, die bescheidene Gartenhausetage in der Lutherstrasse beziehen und bald darauf sterben. Fräulein v. Meyer lebte dann von der geringen Differenz zwischen den Mietseinkünften und den Hypothekenzinsen, hungerte sich durch die Revolutionsjahre und verkaufte zur schlechtesten Zeit ihr Haus für ein paar Dollar an eine amerikanische Gesellschaft, um weiter zu hungern. Seit der Mitte des Krieges war natürlich alles vermietet, man war froh, ein Dach über dem Kopf zu haben. Viele lernten auch Fräulein v. Meyer und die Schicksale des Hauses erst kennen, als nichts mehr zu ändern war, und manche lernten sie überhaupt nicht kennen. Man hatte mehr über die dünnen Wände zu klagen als über Gespenster, und die dünnen Wände spielten sogar in einigen Prozessen, die die Mieter miteinander führten, eine Rolle. Der Gerichtshof hatte bei Lokalterminen immer feststellen müssen, dass die Verständigung von Wohnung zu Wohnung ganz mühelos geschah. Klar, dass solche Verständigungsmöglichkeit zu Kleinkriegen führte.

      Die Gespenstergläubigen wieder konnten alles Unglück, von dem in diesen erregten Zeitläufen wohl jeder genügend abbekam, auf das Haus schieben. „Wirklich Schlag auf Schlag,“ pflegte zum Beispiel Exzellenz Rabe (Vorderhaus, I links) mit hohlem Husten zu stöhnen, „zwei Söhne gefallen, meine Frau gestorben, meine Tochter mit einem Juden durchgegangen (sie war in Wirklichkeit die Frau eines angesehenen Bankiers in Frankfurt am Main), mein Vermögen durch die Republik gestohlen, alles, seitdem ich in dem Haus sitze.“

      Auch die Termahlens (vorn, II rechts) hatten alles verloren. In der Wohnung sass das Unglück ganz besonders fest und überfiel pünktlich sogar alle Untermieter. Da hatte, um nur einiges zu nennen, eine junge Dame sich zwei Tage nach ihrem Einzug vergiftet, da war der völkische Defraudant G. „aus dem Bett heraus“ (die schlimmste Vorstellung für alle polizeifremden Gemüter) verhaftet, da waren an einer Grippe die beiden Schwestern Möckel gestorben.

      Und bei Bresch? Solange der alte Geheimrat Bresch noch lebte (ganz recht, der sogenannte „Kultus-Bresch“, in dem man allgemein den Urheber der Lex Heinze sah), solange der würdige kaiserwilhelmbärtige Herr noch zweimal die Woche mit Exzellenz Rabe zum Skat ging, war alles in Ordnung. Aber er überlebte die Monarchie nur um wenige Monate, und bald nach seinem Tode ging die Wirtschaft los! Der junge Bresch wechselte die Freundinnen, wie man Anzüge an- und auszieht, verdächtige Gestalten aller Art, radikale Politiker aller Schattierungen, Literaten, Schieber, Schauspieler und kleine Verschwörer gingen da aus und ein, und manche Nacht hindurch hörte der Lärm überhaupt nicht mehr auf. Also auch bei Bresch, der 1923 eine Frau aus gutem jüdischem Haus heiratete, gab es mehr Unglück als Glück, ging es finanziell heftig drunter und drüber, und obgleich man es ihm gönnte, denn er hatte es ja verdient, so musste man sich doch zuweilen wundern, dass hier, da und dort, bei Jungen und bei Alten, bei Tüchtigen und bei Faulen die Malheure sich immer wieder häuften und kaum bei jemandem von Glück gesprochen werden konnte.

      Und das, was man wusste und erfuhr, war ja immer nur ein Teil von dem, was den Leuten tatsächlich zustiess. Die Wirklichkeit, die da in engen Stuben in den meist überfüllten Wohnungen, zwischen entnervten, zermürbten, halb und ganz toten Menschen sich abspielte, die nur zuweilen die Wände einer Wohnung sprengte oder durch die Fenster mit üblen Geräuschen und Gerüchen ins Freie drang, diese graue abscheuliche Wirklichkeit, die wie ein Fieber aus der Luft, aus den Mauern auf die hilflosen Menschen eindrang, war um vieles schlimmer, als die Aussenstehenden ahnten und die Beteiligten wussten.

      Und es ist sehr zweifelhaft, ob das nur für unser Haus gilt. Seine Bewohnerschaft schien zwar merkwürdig zusammengewürfelt. Aber dieses bunte Durcheinander entsprach der Struktur eines Zeitalters, das sich vorgenommen zu haben scheint, durch Zusammenkoppelung des Nichtzusammenpassenden, durch Durchsetzung jedes Organismus mit Fremdstoffen einen letzten Kampf herauszufordern, der von nahem das merkwürdige Bild wimmelnder Lebendigkeit gibt. Der Fernerstehende freilich wird schliesslich erkennen, dass ein Gewimmel von Maden nicht die Lebendigkeit des Kadavers anzeigt, sondern seine Verwesung.

      *

      Urk war in den ersten Tagen sehr zufrieden über seine neue Wohnung. Die Atmosphäre des Hauses war noch nicht zu ihm vorgedrungen, die Bakterien der Zersetzung mochten vielleicht schon in seinem Körper rumoren, aber zunächst blieb er noch von dem Fieber, das aus den Steinen strömt, verschont.

      Die Luft in seinem Zimmer war gut. Er erfuhr, dass Frau F., ein geschätztes Mitglied der Reinhardt-Theater, sie zuletzt bewohnt hatte, dieselbe Frau F., deren zarte Kraft er vor kurzem auf der Bühne bewundert hatte.

      Nun standen die Räume, wie Elise berichtete, schon ein halbes Jahr leer. Frau Bermann sei so heikel beim Vermieten. Sie habe schon viele Mietlustige weggeschickt.

      Am meisten Freude machte es ihm, dass nichts Unnützes in den Zimmern geblieben war. Im Schlafzimmer standen ausser dem Bett nur noch ein Kleiderschrank, eine Wäschekommode und der Kochapparat. Im Arbeitszimmer der Schreibtisch mit Stuhl, der Diwan, der Lehnsessel und das Bücherregal. Dreiviertel Tag schien die Sonne herein (wenn sie schien), und der Ausblick in den Hof war zwar rings eng begrenzt, aber doch ausgesprochen mannigfaltig.

      Das Haus bildete mit seinen beiden Seitenflügeln ein nach dem Hof zu offenes Sechseck. Wenn Urk hinten im Zimmer in seiner Ofenecke sass, so fiel sein Blick auf eine glatte graue Hauswand, die nur von den kleinen Fenstern der Speisekammern durchbrochen in einem winzigen Stückchen Himmel endigte. Aber wenn man am Schreibtisch sass, so sah man zunächst den Gipfel einer riesengrossen Edeltanne. Weiter hinten kam dann ein Gebüsch von Stachelbeeren, eine kleine Kastanie, ein Vogelbeerbaum und schliesslich der mächtige Stamm einer Platane. Hinter der Platane stand dann die Rückwand eines anderen Hauses.

      Von dieser Rückwand, die ursprünglich wohl auch das gleichmässige Mörtelgrau der übrigen Wände gezeigt hatte, war der Verputz in grossen Flächen und Sprüngen abgefallen. Der Platanenstamm mit den weissen und grauen Flächen seiner Rinde ähnelte so sehr dem zermürbenden Mauerwerk, die Mauer glich so sehr dem Holz der Platane, dass man zwischen dem Lebendigen und dem Toten, dem Gewachsenen und dem Gefügten nur schwer unterscheiden konnte. Mauer und Baum schienen eine erschreckende Ehe, ein gleichmachendes Zusammenleben von Ungleichartigem eingegangen zu sein. An den linken Seitenflügel war kulissenartig das Gartenhaus angepasst. Urk musste sich sehr nach rechts drehen, um diese dreistöckige schmalbrüstige Mischung aus Landhaus und Hinterhaus


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