Das fiebernde Haus. Walther von Hollander

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Das fiebernde Haus - Walther von Hollander


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Bücher gebeugt, sprach mit seiner Frau. Führte ein Leben für sich, also ein Leben. Dann starb die Frau. Warum starb die Frau? Urk sah am Schatten, dass er schon wieder die Fäuste ballte. War das Sterben ein Zeichen? Winkte Gott mit so billigem Wink? Nun, dann war es recht, dass er, Urk, sich wieder verkrochen hatte. Dass er diesen Winkel gewählt hatte. Still inmitten des Lärms, faul inmitten der Rastlosen, untätig, wo alles nach seiner Tätigkeit schrie.

      Urk ging wieder in sein Badezimmer. Er wollte ein Bad nehmen, aber er nahm nur ein Lärmbad. Pfeifend, trillernd, singend, klopfend, hämmernd auf Klavieren und Grammophonen, zankend, lachend, bumsend, kreischend mit tausenderlei Tönen und Zwischentönen überbrauste ihn der Lärm des Hauses, und in den Pausen hörte man fern die Strasse brodeln. Mit einem leeren Lächeln gab er sich dem Lärm hin. Der Mond leuchtete kalt und klar und entstellte das lächelnde Gesicht in ein fratzenhaftes.

      IV

      Urks früheres Leben kehrte fetzenweise wieder. Hier und da begegnete er auf der Tauentzienstrasse, am Kurfürstendamm, ja selbst auf dem Potsdamer Platz alten Bekannten. Manche, die von seiner Rückkehr gehört hatten, suchten ihn in seiner Wohnung auf. Es schien, als seien die drei Jahre auf dem Land nicht gewesen. Alle gingen darüber hinweg, wie über eine Marotte. Der reiche junge Urk als Bauer, der tolle Urk als Ehemann, nun, er konnte sich beides leisten. Und der Bart? Aha — Urk trug immer die Mode von übermorgen.

      Urk widersprach seinen alten Freunden nicht. Er hörte ihrem Gerede und Gefrage aufmerksam, vielleicht sogar gespannt, zu.

      „So also sah Urk aus“, dachte er und schüttelte den Kopf. Jung, reich, abenteuerlustig. Ehrgeizig, erfolggierig, tüchtig. Exzentrisch, launisch, wetterwendisch. Kenntnisreich, klug, arbeitsam. Wirklich — das alles ein bisschen und nichts davon. Da er beiseite getreten war, sah er: das alles war nur aussen. Das war nur, um die Wirklichkeit zuzudecken, ihr das Maul zu stopfen. Um die Angst zu füttern, die den Menschen von innen her auffrisst.

      Damals und heute: ein merkwürdiger Gegensatz. Der erfolgreiche Urk, der fanatische Arbeits- und Sportsmensch, der hervorragende Leiter und Vergrösserer der väterlichen Fabrik, der Wissenschaftler von Ruf, dieser Mann, der kaum über dreissig, sich so sichtbar von den meisten anderen abhob, der hatte sich in Wirklichkeit nicht von den andern unterschieden. Heute: der stille Urk, der sich beinahe ängstlich an seine Umgebung anpasste, der musste feststellen, dass er anders war, wider Willen besonders, dass er sich im Augenblick mit niemandem verständigen konnte, ausser vielleicht mit Kindern und Tieren.

      War er anders? Es musste ja wohl so sein. Ja, er war anders. Das merkte er, als überraschend und erwartet seine Mutter ihn besuchte. Die drei Jahre über hatte er sie nicht gesehen. Gleich nach der Verheiratung hatte er sie aus seinem Hause weisen müssen, weil sie die Schwiegertochter mit einem eiskalten Hass angriff. Nun kam Frau Urk ins Zimmer gerauscht und erfüllte es ganz mit ihrer nervösen Lebendigkeit. Sie war nach der Mode um zehn Jahre jünger geworden. Die kurzgeschnittenen roten Haare lagen eng und seidig um den schmalen Kopf, die grauweissen Augen blickten so scharf und spöttisch wie immer, und nur in diesen Augen lag die Ähnlichkeit zwischen Mutter und Sohn.

      „Ich turne täglich zwei Stunden“, sagte sie beinahe an Stelle einer Begrüssung. „Das macht mich elastischer, als ich je war.“

      „Was willst du von mir“, begann Urk und studierte aufmerksam die Bewegung, mit der sie sich auf den Sessel setzte. Er bemühte sich, den Zorn zu unterdrücken, der sich in ihm sammelte.

      „Ich liebe dich“, sagte Frau Urk rasch und puderte aufmerksam den Stirnstreifen zu, den der Hut gedrückt hatte. Dann wandte sie das seidenhelle Gesicht ihrem Sohne zu. „Ich liebe dich noch immer, obwohl ich dich nicht mehr bewundere.“

      Urk nickte zustimmend und suchte nach einer Zigarette. Nein, er rauche nicht mehr. Das mache seine Gedanken stumpf. Frau Urk bot ihre Zigaretten an. „Wirklich nicht?“ Sie lächelte ungläubig. „Wirklich nicht!“ antwortete Urk und steckte sich eine Zigarette an. Ach, dachte Frau Urk, er ist doch immer noch der Alte. „Nicht wahr,“ sagte sie ernst und ergriff seine Hand, „du hast doch noch immer keine Prinzipien und Weltanschauungen. Dein Vater ...“

      „Lass meinen Vater aus dem Spiel“, zischte Urk aufgeregt und lehnte sich weit in seinem Stuhl vor. Ruhiger fügte er hinzu, indem er sich wieder zurücksetzte: „Das ist genug zwischen uns hin und her verhandelt. Oder hat sich etwas geändert?“

      „Nein, es hat sich nichts geändert“, seufzte sie. „Höchstens, dass Herr Urk noch schrulliger geworden ist.“

      „Nun gut. Seine Sache“, murrte Urk. „Aber er lässt dich in Ruh?“

      „Er kümmert sich nicht um mich“, sagte sie kleinlaut.

      „Also hast du, was du immer ersehntest“, wollte Urk dieses Thema enden. Er begriff nicht mehr den Hass, den er seiner Mutter wegen auf den Vater gehabt hatte. Erst hat er sie zu bändigen versucht, rekapitulierte er. Dann, als das nicht gelang, hat er sie laufen lassen. Eine Scheidung, eine Trennung gab es für den strenggläubigen Katholiken nicht.

      „Man kann das falsch finden, was er tut,“ sagte er laut, „man kann es von sich weghalten, soweit es einem den Lebensatem nimmt; aber man kann nicht bei ihm bleiben und ihn bekämpfen.“

      Frau Urk erhob sich empört. Sie zerbröckelte langsam den Rest ihrer Zigarette auf dem Aschenbecher. Dann leise: „Seit wann nimmst du für deinen Vater Partei?“

      Urk zuckte mit den Schultern und seufzte. Er wippte mit den Füssen auf und ab und betrachtete angestrengt das Teppichmuster zwischen seinen Stiefeln. „Weisst du, Mutter,“ sagte er ganz weich, und der Wohlklang dieser Tenorstimme traf sie stark, „weisst du, dass du zu klug bist, um fortwährend zwischen Angriff und Verteidigung zu stehen. Ich nehme nicht Partei für den Vater, ich greife dich nicht an, wenn ich sage, was ist. Aber ich verstehe jetzt, dass auch Vater dich nicht angegriffen hat. Es genügte dir ja nicht, dass er dich laufen liess, soweit es in dieser so geordneten Welt ging. Du wolltest auch noch, dass er dir zustimmte, deine Meinungen hatte, deine Abenteuer guthiess und womöglich neue Abenteuer für dich heranschaffte.“

      Frau Urk sah ihren Sohn grenzenlos erstaunt an. Sie schüttelte den Kopf wie ein Kind, mit dem man eine fremde Sprache spricht. „Aber das ist doch Unsinn, Fred,“ fing sie zaghaft an, „es gab doch immer nur und in allem seinen Willen. Denk doch ...“

      „Ja, es gab nur seinen Willen“, unterbrach Urk und erhob sich gleichfalls. „Weil weder du noch ich einen Willen hatten. Wille gegen Wille gesetzt — ich möchte mal sehen, ob Matthias Urk dem Kampf ausgewichen wäre. Wir haben aber nur Wünsche gegen seinen Willen gesetzt. Daran ist er ein Sonderling geworden, und wir ...“

      Urk endete seine Rede mit einem Achselzucken. Dann musste er laut lachen. Seine Mutter stand, die Schultern hochgezogen, als müsse sie einen kalten Regen über sich ergehen lassen. Ihr Gesicht war, wie immer wenn sie sich langweilte, alt und schlaff geworden, die Augen trübe und beinahe dunkelbraun.

      „Ist es vielleicht gerecht,“ versuchte sie ihren Sohn zu überreden, „dass du hier in zwei Mietszimmern sitzt, während wir zwei Häuser haben? Und wovon lebst du überhaupt? Ja,“ (es fiel ihr ein, dass sie noch gar nicht danach gefragt hatte), „wie und wovon lebst du?“

      Urk wollte erst ausweichen. Er wusste ja, dass es ihr im Grunde gleichgültig war. Aber dann erzählte er ihr, dass er das mit Papiermark gekaufte Bauerngut zwar billig, immerhin aber gegen Goldmark verkauft habe. „Ich kann zwei bis drei Jahre davon leben, wenigstens in dieser Form“, schloss er und zeigte seiner Mutter unter allerlei närrischem Gerede die wenigen Möbel seiner Wohnung. Mit besonderem Stolz verwies er auf den Eisschrank, den er sich am Tag vorher gekauft hatte, und den Kochherd, der aus wenigen Heizplatten bestand, die auf ein paar gebeizten Holzkisten befestigt waren. „Küche, Vorratskammer, Schlafzimmer in einem“, brummelte er befriedigt. „Du kochst selbst?“ Urk nickte. „Um Gottes willen, warum denn?“ — „Die anderen kochen mir nicht gut genug.“ Frau Urk lachte: „Du bist wirklich verrückt, Fred.“ — „Oder vielleicht“, sagte Urk, „mag ich auch nicht in jedem Dreckskram von anderen abhängig sein. Oder vielleicht will ich auch beweisen, dass um das Kochen


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