Das fiebernde Haus. Walther von Hollander

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Das fiebernde Haus - Walther von Hollander


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wurde, und der morgens und abends ein wenig Sonne erwischte, hätte er haben mögen. Das schwarze alte Fräulein, das da mit den Blumenkästen und Töpfen wie mit Handarbeiten hantierte (es war Fräulein v. Meyer), hatte sicher keine Verwendung für diese Terrasse. Denn sonst hätte sie doch wenigstens einen Teil den Blicken der Hinterhäusler entzogen.

      Sehr unangenehm war es für Urk, dass er gerade in der Zeit der Frühlingsreinigung eingezogen war. Während sonst nur zu bestimmten Stunden unter schrecklichem Klopfen und Klatschen Staubwolken in dem engen Hof aufgewirbelt werden durften, war der Platz in dieser Woche ganz den Reinigungswütigen freigegeben. Und vom Morgen bis zur Dämmerung hallte der Hof von Schlägen und Echos der Schläge, zog der Winterstaub und Dreck in dünnen Wolken über den Hof und begann das Grün der eben aufspringenden Stachelbeerblätter mit zähem Schmutz, Haaren und Federn zu beziehen. Der Regen, der in diesen Tagen reichlich fiel, konnte die Schicht nicht abspülen; höchstens, dass er die Frauen manchmal in die Häuser trieb und so eine angenehme Ruhepause für die Ohren schuf.

      Manchmal, wenn die Schläge gar zu heftig wurden, trat Urk ans Fenster. Lärm, dessen Verfertiger man sieht, ist ja nicht ganz so schlimm wie verborgener Lärm. Was er da an Frauen sah, das gehörte alles dem gleichen Hennentyp an, in der Flattrigkeit der Bewegungen, der Eilfertigkeit ihres Kopfnickens, der staubaufwirbelnden Emsigkeit ihres Tuns. Die Jungen unterschieden sich von den Älteren eigentlich nur durch die Art, die vor Staub schützenden Kopftücher zu knüpfen und vielleicht durch das betonte Drehen in den Hüften. Für die Alten lohnte das Drehen und Wackeln mit dem Gesäss nicht mehr. Wer mit fünfzig Jahren noch Teppiche klopft, wird sie klopfen müssen, solange die Kräfte reichen.

      Einmal wurde Urk durch ein sachliches, derbes Klopfen aus seinen Gedanken geweckt. Das konnte keine Frau sein. Und das, was er von oben sah, weckte seine Neugierde so sehr, dass er hinunter ging und zweimal den Hof überquerte, um diesen komischen Menschen anzusehen.

      Es war ein Mann mit ausgeprägt slawischen Backenknochen — wie sich herausstellte, ein Russe — das Gesicht war wie von einem Schatten von einem Bart umgeben, der weich und flaumig, stellenweise auch in kleinen Locken spriessend, sichtlich niemals rasiert oder geschnitten wurde. In einem Umkreis von drei Zentimetern um den Mund herum hörte der Bart auf. So war das ganz schmale haardünne Lippenrot mitten in einen kalkweissen Kreis gezeichnet. Die Stirn bog sich von der Mitte aus stark zurück, sehr weit vorn begannen die Kopfhaare, die tabakgelb und borstig den Kopf starr bestanden. Schwarze Augen, blank und klein wie Schuhknöpfe blitzten aus dem Gesicht, das unleugbar einem hässlichen Menschen zugehörte.

      „Es ist merkwürdig,“ dachte Urk, „dieser Kopf soll ein Menschenkopf sein. Als Menschenkopf finde ich ihn hässlich, ja abscheulich. Aber wenn ich ihn als Tierkopf ansehen dürfte, Kopf eines Tieres, das mir unbekannt war, so könnte ich ihn sehr schön finden. Und wie der Kopf gar auf den Schultern sitzt, wie spielend leicht und flügelartig die Arme aus den Schultern wachsen, das ist herrlich.“

      Urk stellte sich in den Hausflur so, dass er in der Glasscheibe ungestört den Mann beobachten konnte. Der komische Mensch, dessen aschengelber, geflickter Anzug sicherlich die ehemalige Uniform eines russischen Soldaten war, und dessen nackte schmale Füsse in Holzpantinen steckten, führte mit seinem Teppich eine Pantomime auf. Bevor er wieder zu klopfen anfing, streichelte und striegelte er ihn wie ein Pferd. Dann sprang er zwei Schritte zurück, und mit einem tänzerischen Wiegen in den Knien schaukelte er seinen Körper vor und zurück, zurück und vor, wirbelte den Teppichklopfer wie einen Säbel, sauste kunstgerecht und heftig mit schnellen kleinen Schlägen auf und ab.

      Ein kleiner Junge von vielleicht vier Jahren schlängelte sich gaffend und vertraulich an den Teppichklopfenden heran. Er machte schliesslich in seiner Arbeit eine Pause, streichelte den Jungen, lachte laut und breit und kramte unter den Sachen, die er zu klopfen hatte, eine Diwandecke heraus. Die knüpfte er zu einer Schaukel, setzte den kleinen Kerl herein und fing an, ihn unter einem komischen Singsang zu schaukeln. „Feste, Kohlomann,“ schrie der Junge, „feste.“ Und Kohlomann steigerte gehorsam seine Anstrengungen, fing an, wie toll seine Schaukel zu stossen, klapperte in den Pausen zwischen den Stössen mit den Hacken auf dem Hofpflaster, schlug sich rasselnd auf die Schenkel und trällerte keuchend eine alte Reitermelodie: Bum, tada tata bum, bum tada tata bum, hoi hoi hepp, bum tatada.

      An den Fenstern des Seitengebäudes tauchten Gesichter auf, ein paar griesgrämige schimpften über den Lärm, eine Mutter stimmte mit ihrem Baby in den Gesang Kohlomanns ein, und einige Dienstmädchen grinsten behaglich auf den schwitzenden Russen herab. Schliesslich machte der Portier Querfurth mit einer Flut von Schimpfworten dem Vergnügen ein Ende. Der Junge verschwand heulend, Kohlomann entknüpfte seine Schaukel zu einer Decke und machte sich, ohne dem Portier etwas zu erwidern, an seine Arbeit mit derselben Anmut und Vergnüglichkeit, die Urk gleich entzückt hatten.

      Querfurth, der eine Minute darauf faul, pfeifend und kauend an Urk vorbeischlenderte, gab ungefragt die gewünschten Auskünfte. Kohlomann sei ein ehemaliger russischer Kriegsgefangener, der sich nicht zurückgefunden habe. Er schlafe in einem Verschlag im Kohlenkeller und sei von den Kindern, da er sehr oft schwarz von den Kohlen sei, Kohlomann getauft worden. Er ernähre sich von Gelegenheitsarbeit, sei ein bisschen ehä (Querfurth klopfte auf die Stirn), sonst aber gutmütig.

      Urk hörte sich das an, griff mit zwei Fingern an den Hut und ging fort. Er bummelte den ganzen Tag herum, halb befangen und halb unschlüssig. Zuerst lief er eine Stunde im Tiergarten spazieren; aber die verschleierte Sonne dieses Märztages, die halb offenen Knospen der Ziergebüsche, die halb frühlingsmässig angezogenen, halb winterlich vermummten Menschen machten ihn missmutig. Dann ging er die ganze Potsdamer Strasse herunter, blieb Schaufenster bei Schaufenster stehen und schüttelte den Kopf. Er konnte zuerst keine Verbindung finden zwischen den schmierigen, verdösten Menschen auf der Strasse und den sauberen und verlockend gestapelten Waren hinter den Scheiben. Aber dann sah er eine Bluse, etwas verdreckt schon, an einem Tippmädchen, dann drängte sich eine dicke alte Frau im Persianermantel durch die enge Tür eines Modegeschäftes und betrachtete prüfend nochmal den eben erstandenen viel zu koketten Hut, dann lief ein schmaler langer Mann mit ganz knöchelkurzen Hosen vor ihm her, und ein kleines Mädchen strich sich halb beschämt, halb stolz ein fürchterliches Pluderröckchen glatt, wie er es eben im Schaufenster gesehen. Die angebotenen Waren fanden also wirklich ihre Käufer, die Menschen enthüllten sich auch in den Schaufenstern. Ganz entmutigt kehrte Urk gegen sieben Uhr heim. Was sollte das werden? Wie sollte er es hier aushalten?

      Aber er kam noch nicht zur Ruhe. Zunächst musste er im Badezimmer feststellen, dass durch irgendeine Röhre eine peinigende Schallverbindung zu der Hinterwohnung geschaffen war. Alles, was sich im Baderaum und im W. C. drüben abspielte, musste er so mithören, als geschehe es in seinem Badezimmer. Aber ausserdem schien man drüben die Tür fast immer offen zu lassen, so dass alle Gespräche, der Lärm und das Gezänk einer mehrköpfigen Familie genau zu verfolgen waren. Etwas ferner gerückt, immerhin aber auch noch deutlich vernehmbar, waren die Geräusche aus dem zweiten und vierten Stock. Man stand also — wirklich sehr ärgerlich — in dem Badezimmer geradezu im Mittelpunkt eines unzerreissbaren Spinnetzes von Tönen.

      Urk war zuerst ganz entsetzt. Dann aber schüttelte ihn ein heftiges, dröhnendes Lachen, ein Pferdswiehern beinahe. Einsam zwischen den Menschen stehen, hatte er das jetzt nicht gewollt? Es war nicht das erstemal, dass das Schicksal tückisch wie ein Orakel oder ein aufdringlicher Witzbold seine Wünsche erfüllte.

      Gegen acht Uhr kam noch Elise mit dem Anmeldezettel. Es müsse nun sein, meinte sie wichtig, sonst wäre eine Polizeistrafe fällig. Ob sie gleich warten könne? Morgen früh schlafe der Herr ja doch noch. Urk setzte sich seufzend an den Schreibtisch und begann auszufüllen. Manfred Urk, geboren 15. August 1889 in Berlin, Dr. med. et jur., berufslos, konfessionslos, frauenlos. Er hielt inne, strich das Wort „frauenlos“ und malte sorgfältig „Witwer“. „Witwer“, sagte er und wandte sich zu Elise um, die, mit übereinandergeschlagenen, weit aus dem Rock herausragenden Beinen, in einem Sessel Platz genommen hatte, „Witwer ist man doch, wenn einem die Frau gestorben ist?“ Elise gackerte wie ein kleines Mädchen. „Still,“ zischte Urk plötzlich, mehr böse auf sich als auf das Mädchen, „still, ich bin Witwer.“

      Und als müsse er das verwirrte und errötete Mädchen entschädigen, ging


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