Das fiebernde Haus. Walther von Hollander

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Das fiebernde Haus - Walther von Hollander


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Eisschrank. „Du, ich fürchte, der pädagogische Fimmel deines Vaters ist in dir verstärkt auferstanden.“ — „Aber auch ich belästige niemanden damit“, beendete Urk nun endgültig das Geplänkle, küsste ihr die Hand und wollte sie hinausschieben.

      „Für etwas Persönliches hättest du wohl heute keine Zeit“, zögerte sie an der Zimmertür und klappte verlegen das Sonnenschirmchen aus lachsrotem Bast ein paarmal auf und zu.

      „Liebe?“ fragte Urk streng. Sie schüttelte den Kopf. „Nicht mehr?“ Sie nickte. Urk merkte, dass das wieder in das alte Fahrwasser lenkte. Er wurde schnell finster und wieder hell. „Ich weiss selbst damit nicht Bescheid“, sagte er leise. „Ja, lache nur. Ich habe keine Ahnung. Ich finde mich in den Liebesdingen nicht mehr zurecht. Das Frühere ist es nicht, das Jetzige ist es nicht, und vom Kommenden weiss ich nichts.“

      „So allgemein meine ich das auch gar nicht“, warf Frau Urk ein. „Ich meine etwas ganz Spezielles, etwas ganz Besonderes. Etwas, was mir ein Rätsel ist.“

      „Nein, nein,“ wehrte Urk ab, „ich kann dir wirklich nichts sagen, ich weiss wirklich nichts.“ — „Baby“, lachte Frau Urk und wandte sich zum Gehen. „Gott sei Dank“, sagte Urk und setzte ein spitzbübisches Lächeln auf, um seine Ergriffenheit noch besser zu verbergen. „Sie erfasst wirklich nichts, was sie nicht unmittelbar trifft. Beinahe hätte ich mich ihr anvertraut. Ich bin tatsächlich verrückt.“ Er lachte nun und küsste seine Mutter auf beide Wangen.

      Vom Flur kam Frau Urk noch einmal ins Wohnzimmer. „Übrigens“, sagte sie schnell und trat ans Fenster, „sollte ich noch etwas erforschen. Eine herrliche Aussicht hast du da“, glitschte sie dann verlegen ab. „Eine Wand, noch ’ne Wand, noch ’ne Wand und ein Gartenhaus. Ein Hof und ha! sogar Bäume. Ach was, ich kann das nicht diplomatisch. Ich soll nämlich für deinen Vater herausbekommen, ob du Kommunist bist. Ein paar Zeitungen haben darüber geschrieben. In der Generalversammlung hat man ihn angegriffen.“

      Urk brauste auf. „Mehr als verschwinden, mehr als mich verstecken, mehr als still in einem Winkel hocken kann ich doch nicht. Verfluchte Bande. Das geht nun schon seit Jahren. Weil ich einem Gefangenen ein paar Zigarren geschickt habe, weil ich einem armen Teufel einen Rechtsanwalt bezahlt habe, und weil ich keine Dienstboten gehalten habe. Weil mein Knecht mit mir am Tisch ass, weil ich ihn nicht einstecken liess, als er mich bestahl, weil, weil, weil ...“ Er schnappte plötzlich ab. „Nein, ich mag nicht, es ist zu dumm. Aber du kannst Vater beruhigen. Ich habe nur Krach mit den Kommunisten. Ich bin ein bürgerlicher Ideologe. Weil für mich minus und plus das gleiche ist. Weil Umdrehen nichts nützt. Weil Politik nicht isoliert im Raum steht, weil man ganze Arbeit machen muss, weil man den Menschen erziehen muss, der die Dinge dann schon hinter sich herzieht.“

      Er nahm seine Mutter an der Hand und führte sie auf den Zehen schleichend hinaus. „Geh schnell,“ sagte er, „ehe der Schwätzer da drinnen es merkt“, und schloss die Tür.

      Frau Urk ging seufzend die Treppe hinunter. Ein schwarzhaariger Herr schloss gerade die Tür zur gegenüberliegenden Wohnung auf, um hineinzugehen. Er grüsste in einer Art frecher Höflichkeit, die sie ärgerte. Sie zögerte, wartete, bis er von der Tür fort sein musste, und lief die paar Stufen zurück. „Dr. Bresch“, las sie. Richtig, es fiel ihr ein, dass sie auf einem Maskenball mit ihm kokettiert hatte. Mein Gott, sie war nachher sogar mit verschiedenen anderen zu einer langweiligen Nachfeier in dieser Wohnung gewesen. Natürlich, das war das Fest, auf dem alles sich in die Winkel verteilte und sie mit Dr. Bresch allein mitten im Zimmer sass.

      „Verrückt“, murmelte sie, „in diesem Haus!“ und schaute zu den Zimmern ihres Sohnes hinauf. Aber er war nicht zu sehen, sondern es beugte sich nur Dr. Bresch aus dem Fenster.

      Urk war ins Badezimmer gelaufen. Er wusch ausführlich und langsam seine Hände. Er seifte sie von den Handwurzeln zu den Fingerspitzen, bürstete die Nägel, schwemmte die Seife fort, betrachtete aufmerksam die Hautwülste über den Fingergelenken und seifte dann die Hände nochmal gegen den Strich ein. Danach trocknete er die Haut und knetete die einzelnen Finger mit etwas Öl durch. Diese Handbehandlung beruhigte ihn immer ausserordentlich. Seine zusammengezogene Stirn glättete sich. Die Gedanken, die ohne Reihenfolge und einer den anderen wegdrängend gegen die Gehirnwände gerannt waren, sammelten sich allmählich, ordneten sich und kamen wenigstens einigermassen verständlich zum Vorschein.

      Das allerdings, was Urk an Gedanken ganz eigentlich zutage fördern wollte, kam nicht heraus. Er fühlte das wohl auftauchen, ja, er konnte die Farbe der Gedanken angeben, bald perlmutterbleich, bald fischsilbern. Aber ehe er das Auftauchende fassen konnte, war es vorbeigeflitzt. Wie Fische, dachte er, in einem engen Gefäss, im Wasser eines grünlichen Aquariums. Wenn sie gedeihen sollen (liess er sich vom Bild fortreissen), müssten noch mehr Algen und Tang hinein, Sand und Schlamm. Oder, wollte er die Fische fassen, hinaus mit allem Dreck und einfach das Wasser ablaufen lassen.

      Er war mit der Tür in der Hand stehen geblieben. Aus dem W. C. der Struppschen Wohnung kam ein furchtbares Geschrei. Dieses Mal war es ein Kind, das man da eingesperrt hatte. Es brüllte unablässig und wütend nach seiner Mutter, deren ruhegebietendes Gekeif als Unterton zuweilen durchklang. Dann übertönte ein heftiges Trommeln der Füsse gegen die Holztür jeden andern Ton. Erst wirbelten diese Füsse zornig und wild durcheinander, dann kriegte das Kind Spass an seinem Lärm, langsam kam ein Takt zum Vorschein, gewann Oberhand, ein kräftiger Marsch mit Tuten und Blasen kündigte den Sieg des Kindes über die Strafe der Einsperrung an. Urk horchte gespannt, ob die Mutter sich das gefallen lassen würde. „Aber natürlich nicht“, stellte er bedauernd fest und stampfte mit dem Fuss. „Wie kann ein beliebiger Erwachsener Sinn haben für den geschmeidigen Humor der Kinder.“

      Mit grossem Radau und einigen ungerechtfertigten Ohrfeigen wurde drüben das Kind aus seinem zu lustig gewordenen Gefängnis herausgeholt. „Schweinerei!“ brüllte Urk und schlug die Türe zu. „Schweinerei“, seufzte er und schlug sich auf den Mund. Wozu das Geschrei? Auch wenn die Frau Strupp das hörte, würde sie es nicht auf sich beziehen. Es war ja eine Wand dazwischen.

      Urk ging schnell in sein Zimmer herüber. Unter dem Zigarettenrauch roch er deutlich das Parfüm seiner Mutter. Und da waren wieder die Fischgedanken. Das Fischsilberne und Perlmutterbleiche, das lebendige Kalte und das unlebendige Kalte.

      Und nun wusste er endlich, wohin seine Gedanken wollten. Tod und Leben in ihren Übergängen erforschen, das war wohl seine Aufgabe geworden, aus Gründen, die er sich nicht erklären konnte. Oder vielleicht doch erklären? Wenn Tod nicht so eindeutig war, wie man es bisher angenommen, dann brauchte er den Tod seiner Frau, dann brauchte er Annettes Tod nicht ohne weiteres hinzunehmen.

      Dass Leben nichts Eindeutiges ist, dass es verschiedene Grade des Lebendigseins gibt (nicht nur die Zeitkurve von Geburt zu Tod, sondern auch die Leistungskurve von Sein über Können zu Sein, von Sein über Kranksein zu Sterben), das war ja doch wohl klar.

      Warum sollte dann Tod etwas Eindeutiges sein? Gibt es, dachte er mit geschlossenen Augen, etwa nur ein Dunkel? Gibt es nicht eine ganze Leiter von Dunkelheiten? War die Gesichtshaut von Frau Urk, diese ganz kalte, beinahe durchsichtige aber undurchblutete Haut, war die lebendiger als die Haut der toten Annette? Der toten Annette? Er hatte sie ja nur eine Stunde lang tot gesehen. Kaum nach Ausstellung des Totenscheins war er abgefahren. Eine Stunde lang konnte wohl die Haut einer Toten noch vom Abschied her leuchten.

      Ja richtig, als er dann noch einmal vom Garten her sich durchs Fenster hineingebeugt hatte, da war schon ein wenig von dem Leuchten verschwunden. Wie wenn eine weisse Wolke Schicht um Schicht mehr zu Grau verschattet. Wie Perlmutter.

      Und nun endlich fanden sich seine Gedanken wieder zurück: Seine Mutter, das war das Fischsilberne. Die tote Annette: das war das Perlmutterbleiche. Das lebendige Kalte und das unlebendige Kalte. Das scheinbar Lebendige und das scheinende Tote.

      „Leben?“ sagte er und richtete sich vom Stuhl auf. „Mit Leben hat das alles zu tun. Aber noch nicht mit dem Leben des Menschen. Man muss sich durch dieses alles hindurcharbeiten. Es liegt nicht zwischen Ding und Tier, sondern jenseits davon.“

      Am Abend des gleichen Tages trug er in sein Notizbuch ein: „Wenn das Christentum Ding und Tier, kurz die Materie


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