Das fiebernde Haus. Walther von Hollander

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Das fiebernde Haus - Walther von Hollander


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er schon unten, sprang ins Auto und fuchtelte so lebhaft mit seinem keulenartigen Stocke, dass es aussah, als peitsche er den Chauffeur zu äusserster Eile.

      Urk verliess bald darauf auch das Haus. Er hatte sich dieses Mal nach neuester Mode angezogen, obgleich er kein Ziel hatte und keinen Zweck mit so sorgsamer Toilette verband. Er trug zu einem mausgrauen Anzug einen Raglan aus dem gleichen Stoff, Stiefel mit Wildledereinsatz aus gleichem Grau, Handschuhe von der gleichen Farbe. Auf dem Kopf trug er einen winzig kleinen steifen Hut, langhaarig und dunkelgrau, wie ihn die englische Mode gerade vorschrieb. Er hatte den Hut tief in Nacken und Stirn gezogen. Nur Ohren und Gesicht waren sichtbar, und von hinten gingen Hut und Mantel ineinander über. Gegen dieses Grau in Grau erschien seine Haut auf den ersten Blick weiss. Aber sie hatte eine ungesunde Kellerfarbe und sah zwischen dem hellen Weiss des Kragens, dem Schwarz des Bartes und dem Dunkelgrau des Hutes krank und grünlich aus.

      Wie Urk nun, die linke Schulter ein wenig hochgezogen, in der rechten Hand den dicken Bambusstock schwingend, eilig in die Kleiststrasse einbog, wehte von seinem Gesicht eine erstarrende Verlassenheit. Das lag wohl hauptsächlich an der Starrheit der Augen, die sozusagen wirklich nicht bei ihm waren, sondern tot und gläsern vor ihm herstarrten. Seine Gedanken gingen vor ihm her, und er folgte, magnetisch angezogen von ihrer Leere, von der Ungewissheit, von der hellen und betrübenden Zwecklosigkeit.

      „Du magst es wenden, wie du willst,“ sagten die Gedanken, „es ist lächerlich, dazusitzen und auf die Erleuchtung zu warten. Tue irgend was. Die Lösung liegt nur im Tun.“

      „Die Lösung liegt nicht im Tun,“ antwortete Urk leise und blieb stehen, indem er scheinbar aufmerksam den Feuerwehrmännern zusah, die einen entgleisten Wagen der Elektrischen in die Schienen hoben, „sondern sie begleitet manchmal das Tun. Ich habe mit dem Kopf und mit den Händen gearbeitet“, wiederholte er eifrig das Gespräch mit Mogreiner. „Ja, die Landarbeit war schön. Da vergass man sich. Dann starb Annette.“ Er hielt in seinen Gedanken schroff inne, er zwinkerte ein paarmal mit den Augen, die ihn schmerzten. Was hatte die Landarbeit mit Annettes Tod zu tun? Die Zusammenhänge mussten zu finden sein.

      Als er dann seine Augen aufhob, begegneten seine Blicke den Blicken der verrückten Erna Bermann. Sie stand zwei Schritte vor ihm und lächelte ihn an. Sichtlich erkannte sie ihn wieder. Der Blick glitt aus der leeren Starrheit heraus (die, wie Urk mit leisem Schreck erkannte, nicht so unähnlich seiner Starrheit von vorhin war), und die Augen waren für Sekunden mit einer reinen und einfachen Freude erfüllt. Das Gesicht freilich konnte dem Erkennen nicht folgen und blieb starr in seinen blöden Falten. Die Hände, die vielleicht greifen wollten, schlenkerten unbeholfen.

      Dann war auch das Erkennen vorbei. Die Augen erstarrten wieder ganz zu Gallert. Die Verrückte wandte sich rasch und ängstlich um und klammerte sich an ihren Begleiter. Das war der zerlumpte Russe Kohlomann, der ein paar Schritt zurück aufmerksam die Begegnung beobachtet hatte. Er schien Urk zu kennen, denn nachdem er die Kranke untergehakt hatte, schwenkte er freundlich grüssend seine Mütze, ehe er mit seiner Begleitung den Weg fortsetzte.

      Urk sah den beiden lange nach. Ergreifend war, wie Kohlomann den zuckenden Bewegungen, dem leichten Schwanken der unsicher Gehenden nachgab, wie er sie stützte und hob, fast ohne sie anzufassen, wie er sie losliess und einfing, je nach ihrer Kraft und der Schwierigkeit des Weges. Es schien, als merke sie ihn kaum, und man sah, dass seine ganzen Bemühungen darauf gerichtet waren, immer noch unmerkbarer zu sein.

      Erst als das Paar um die Ecke verschwunden war, setzte Urk seinen Weg fort. Ihm war etwas freier zumut. Er sah in einem der mageren Vorgärten eine Magnolie in halber Blüte stehen, die Kastanie hatte dicke Knospen, an vielen Balkonen schnitt man den wilden Wein und brachte die Topfpflanzen ins Freie.

      Das Steigen der Säfte, das geheimnisvolle Entfalten war zwischen den Häusern so gut zu spüren wie draussen. Es schien Urk sogar, als nähmen hier Wände und Menschen mehr teil an dem Frühling, als dehnte sich Mauer und Haus, um aufzublühen durch den tollen Druck der Erdsäfte, die selbst unter dem Asphalt kreisen, die in Unkraut und Gras aus allen Ritzen der Steine schlagen, die in tausendfältiger Gestalt und auf hundertfältigen Umwegen auch die verwüstetsten Menschen zu Blüte und Frucht zu treiben suchen.

      Urk spürte das wohl, und indem er die Strassen entlangschlenderte und jedes bisschen Gras, jedes Blättchen und die ersten Blüten von Krokus bis zu Veilchen durstig anschaute, spürte er eigentlich auch sich selber fruchtbar werden. Nur eines hinderte ihn, in den Besitz dieses Spürens zu kommen: Er misstraute sich bis ins letzte. Und während andere aus der Ehrlichkeit der Ablehnung, aus der Schärfe der Scheidung zwischen wahr und unwahr, fruchtbar und verwüstend Stärkung ziehen, schwächte ihn jede Erkenntnis. Er glaubte, dass hinter jeder Erkenntnis zwiebelähnlich die nächste sitze, die dem Kern noch näher sei, und dass der Ehrliche wahrscheinlich den Kern seines Wesens wegschälen müsse.

      Wahrheit und Tod schienen ihm ein untrennbares Bündnis eingegangen zu sein, und nicht unmöglich, dass Wahrsein die Selbstaufgabe bedeutet, gegen die sich Urks im Grunde unverbrauchte Kraft mit wildem Trotz erhob.

      *

      Urks Marschtempo wurde durch seine Grübeleien immer wesentlich beeinflusst. Je offener und freundlicher seine Gedanken, um so langsamer und gemütlicher pflegte er zu gehen; sobald er sich jedoch in die Probleme verbiss, die ihn seit Jahren unklar bedrängten, und die seit Annettes Tode als klare Fragen Antwort verlangten, beschleunigten sich seine Schritte, und manchmal hinderte ihn nur die Angst vor den Strassenmenschen daran, in Galoppsprüngen durch die Strassen zu hetzen. Auch auf diesem Spaziergang wäre er am liebsten über den Kurfürstendamm gestürmt, schnurgerade an den Bäumen entlang bis in den Wald. Mit einiger Anstrengung zügelte er sich. Immerhin war das Tempo seines Marsches auffällig schnell, und als die Sonne für zehn Minuten durch die träge ziehenden Wolken brach, geriet er sogar in Schweiss. Er musste ein paarmal stehen bleiben, den engen Hut vom Kopf ziehen und die feuchte Stirn abtrocknen. Schliesslich behielt er gegen seine eigentliche Gewohnheit den Hut in der Hand, nachdem er das stark gewellte schwarze Haar mit einigen Strichen des Taschenkamms etwas glatter an den Kopf angelegt hatte. Er nahm gerade seinen Weg wieder auf, nachdem er erstaunt festgestellt hatte, dass er sich bereits in der Gegend des Olivaer Platzes befand, als er auf Renate Schwab stiess, die, aus einem Mietsauto steigend, unmittelbar an Urk vorbei in einen Laden gehen wollte.

      Schreck oder Zündung? Sie wussten es beide nicht, denn sie beherrschten sich meisterlich nicht nur vor anderen, sondern auch vor sich selbst. Nachdem sie sich kaum zwei Sekunden wortlos und forschend angesehen hatten — die Gesichter nur unmerklich vorgelehnt und die Augen ein wenig wie geblendet zusammengekniffen —, war die Begrüssung höflich, ja herzlich und scheinbar ohne Verlegenheit.

      Sie sei mit Ronny Schwab hier. „Mit meinem Mann, falls du das nicht weisst“, nahm Renate die Unterhaltung auf. Urk nickte. Er wusste es genau. Er verbiss sich bereits wieder in dieses merkwürdige Gesicht, das schmal, steil, dunkelhäutig in zwei deutlich ungleiche Hälften zerfiel. Wirklich, es war in der begonnenen Entwicklung weitergegangen und nun nach drei Jahren noch deutlicher zu sehen: Die rechte Gesichtshälfte war glatt, klar, zusammengefasst. Unberührt wie je. Die linke schien unter der Haut zerstört, ein wenig schwammig, verbraucht, ja sie war von einer messerscharfen Linie durchzogen, die an der Nase entlang bis zum Mundwinkel lief. Das linke Auge war starr und dunkler als das rechte. Es war eigentlich nicht mehr blau, sondern schon schwarz. Im ganzen war das Gesicht — von ganz hellen Haaren umschienen und von einem kornblumenblauen Hütchen eingerahmt — in seiner Unausgeglichenheit, in seiner Gegensätzlichkeit von Wissen und Nichtwissen, von Funke und unentzündbar, von verbrannt und Eis, welk und Knospe, war das Gesicht für Unwissende von einem schneidenden Reiz. Wissende hätten erkennen können, dass das eigentlich und aufreizend Lasterhafte weniger aus der Gegensätzlichkeit kam als aus jener Einheit, die hinter dem Gesicht wohnend ihm die verderberische Leuchtkraft verlieh: der Einheit der Unberührbarkeit. (Diese Unberührbarkeit schliesst die beiden Gegensätze Jungfrau und Nymphomanin ein. Nur Frau und Mutter ist darin, allen christlichen Deuteleien zum Trotz, nicht enthalten.)

      Urks erste gesunde und natürliche Bewegung war nach der Flucht hin. Sollte die Passion des Geschlechtes noch einmal beginnen? „Nein“, schüttelte er den Kopf und sah Renate abwehrend an.

      „Und deine Frau?“ fragte


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