Das fiebernde Haus. Walther von Hollander

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Das fiebernde Haus - Walther von Hollander


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im allgemeinen Gefühl überwinden mit herausreissen, wegwerfen, töten gleichgesetzt wird.“

      V

      Eines Morgens um 8 Uhr stand Mogreiner an Urks Bett und lachte ihn an. „Der Aufwachende ist immer hilflos“, nickte er vergnügt und legte seinen Hut auf den Eisschrank. „Mag er dort abkühlen“, sagte er pathetisch. Urk musste dann auch lachen. „Ganz recht“, antwortete Mogreiner auf Urks fragenden Blick. „Deine Mutter bat mich. Aber auch von mir aus hätte es nicht mehr lange gedauert.“

      Urk richtete sich gemächlich auf und gähnte. „Das ist also der grosse Mogreiner, der laut Börsencourier die halbe chemische Industrie kontrolliert. Du bist ja noch mehr geworden, als wir beide erwarteten.“

      „Übertreibung, leider Übertreibung“, murrte Mogreiner und wiegte bedauernd den etwas feisten grossen Kopf hin und her. „Knapp ein Viertel ist es, die Inflation war etwas zu früh aus, und obgleich es unter den alten Herren allerhand Dummköpfe gab, so gab es doch nicht genug Dummköpfe. Einige verlangten für ihren Besitz den vollen Wert.“

      „Den du nie gezahlt hast.“

      „Nein,“ bestätigte Mogreiner friedlich, „aber darum geht es jetzt auch langsamer. Gestern freilich habe ich eine glänzende Idee gehabt. Ich werde zunächst höhere Gehälter zahlen. Dann, wenn das die andern noch nicht ruiniert, höhere Löhne. In einem Jahre habe ich alle fähigen Köpfe in meinen Betrieben, und in zwei Jahren eine ausgezeichnete Arbeiterschaft.“

      „Wenn aber“, warf Urk belustigt ein, „die Beamten und die Arbeiter auf die Idee kämen, den vollen Wert ihrer Arbeit zu verlangen?“

      Mogreiner lachte laut und breit. Der ganze massige Körper wurde von den Stössen dieses Lachens erschüttert. Die Schultern zuckten, und die Hände, die nervös und fein von einem anderen Körper geliehen schienen, schlugen wirbelnd auf die Knie. Er beugte sich ein paarmal vor und zurück und versuchte zu sprechen. Aber das Lachen hinderte ihn immer wieder.

      „Den Versuch“, sagte er dann schliesslich, immer wieder von Lachen unterbrochen, „den Versuch, die Arbeiter dazu zu bringen, macht man schliesslich seit fünfzig Jahren. Sie verlangen ja auch den vollen Wert, aber sie werden niemals begreifen, wie gross dieser Wert ist. Sie verlangen zu viel oder zu wenig und nie das, was ihnen zukommt. Darum bekommen sie immer zu wenig.“

      „Darum?“ fuhr Urk auf. „Darum?“

      „Beruhige dich,“ sagte Mogreiner ernst, „ich will weder jetzt noch sonst wann die soziale Frage lösen. Wahrscheinlich gibt es keine soziale Frage. Als Partei bin ich auch nicht sehr geeignet dazu. Ich habe nur immer gefunden, dass, wer zu viel verlangt, zu wenig bekommt, und wer zu wenig verlangt, auch zu wenig bekommt. Frechheit und Bedrücktheit kommen zu dem gleichen Misserfolg.“

      Urk stieg langsam aus dem Bett, er schlug den Kragen seines blauleinenen Pyjamas hoch, steckte eine Hand in den Gürtel und begann nachdenklich, mit hochgestellten Haaren, auf und ab zu marschieren. Mogreiner schob seinen Stuhl in den Erker und setzte sich. Er öffnete das Fenster, holte schnell eine lange Zigarre aus seinem Etui und steckte sie umständlich an. „Bei offenem Fenster hoffentlich auch für Raucher“, sagte er entschuldigend und blies Wolken von unheimlicher Dicke ins Freie hinaus. Er behielt dabei die Zigarre dauernd im Munde. Es sah so aus, als lutsche er sie mit erheblicher Schnelligkeit ein.

      „Übrigens bin ich“, sagte er unter fortwährenden Rauchstössen, „natürlich nicht gekommen, um dir zu versichern, dass ich mich freue, dich in Berlin zu sehen. Das ist selbstverständlich.“ Urk blieb stehen, zog eine Haarsträhne vor seine Augen, verbeugte sich und ging weiter. „Selbstverständlich nicht, weil ich dich liebe. Allerdings muss das auch einmal“ (er stand dabei auf und sah scheinbar interessiert auf die Strasse, so dass Urk nahe herankommen musste, um ihn zu verstehen), „das muss auch einmal und für immer gesagt sein. Ich liebe dich. Du kannst dich auf mich verlassen. Der einzige Mensch, der sich auf mich verlassen kann.“

      Er wandte sich jäh um, stieg die Erkerstufe stampfend hinunter und stellte sich breit vor Urk hin, um sein Auf- und Abgehen zu unterbrechen.

      „Lass dir das gesagt sein,“ fuhr er leise und zaghaft fort, „schliesslich musst du es ja mal gesagt bekommen, damit du es weisst.“ Urk legte ihm die Hand auf die Schulter und sah in das verkniffene Bulldogg-Gesicht, unter dessen erschüttertem Fett sich ein Gefühl erheben wollte. Er wollte etwas Abwehrendes tun. Was ging ihn dieser Mensch da an? Mochte er lieben, wen er wollte. Mogreiner hätte gern noch mehr gesagt. Es hatte ihn die Sucht gepackt, sich anzuvertrauen und zu entblössen. Welch merkwürdige Wollust, welch köstliche Betrunkenheit, das sagen, was man denkt!!

      Dann aber spürte er die Abwehr Urks doch. Er riss sich zusammen, ging schwankend auf seinen Platz zurück und schwieg. Auch Urk sagte nichts. „Es musste also gesagt sein“, nahm Mogreiner das Gespräch auf, und seine Stimme war wieder ganz geschäftsmässig. „Damit du mein Angebot verstehst. Du sollst als Direktor zu mir kommen. Als meine rechte Hand. Als mein Kompagnon. Mogreiner und Urk — was wir vor fünf Jahren als Fusion planten, soll nun werden.“

      Urk kam langsam vom Ende des Zimmers her. Er hielt den Kopf gesenkt, so dass der Bart jetzt den Ausschnitt des Pyjamas zudeckte, und ging Schritt für Schritt, sorgfältig ein bestimmtes Teppichmuster betretend, auf Mogreiner zu.

      Vor der Erkerstufe blieb er stehen, sah auf und lächelte. „Die Voraussetzungen stimmen nicht“, sagte er dann verbindlich. „Dein Vater ist zwar tot, aber mein Vater lebt noch. Ich könnte wohl ein Viertel des Urkschen Besitzes bekommen ...“

      Nein, so sei das nicht gemeint, murmelte Mogreiner mutlos. Er sei gross genug, man könne zu zweien ganz gut damit anfangen.

      „Nein, ich nehme nichts geschenkt“, sagte Urk scharf, und er wollte hinzufügen: „denn ich liebe dich nicht.“ Aber er bezwang sich und sah nur Mogreiner mit zusammengekniffenen Lippen streng an.

      Mogreiner wusste, dass sein Angriff fehlgegangen war. „Geschenkt?“ brauste er in einem letzten Versuch auf. „Geschenkt? Rede keinen Unsinn. Ich kenne deine Fähigkeiten, ich weiss, was du wert bist. Ich will dich für meine Unternehmungen kaufen!“ — „Nein,“ sagte Urk scharf, „ich will nicht.“ Mogreiner warf die ausgelutschte Zigarre zum Fenster hinaus und wandte sich um. Er war bleich und hielt eine kleine, leise zitternde Hand auf sein Herz, das ihn schmerzte. Aber über sein Gesicht hatte er Gewalt. „Wenn du heute nicht willst, komme ich morgen wieder oder übermorgen“, sagte er leise und lächelnd. „Denn da dein Vater sicher noch zehn Jahre lebt, da du aber mit deinem Vater nicht arbeiten kannst, musst du ja zu mir kommen. Du bist nicht zum Kuli geboren, und was willst du ohne Arbeit machen?“

      Urk schüttelte den Kopf. „Ich weiss es nicht, ob ich ohne Arbeit leben kann.“ Er trat ganz nahe an Mogreiner heran. Die Hilflosigkeit des Riesen rührte ihn. Er setzte sich seufzend auf die Erkerstufe. „Weisst du,“ sagte er, „ich kann wirklich nicht beurteilen, was wird. Ich habe immerhin allerhand gearbeitet, geistig und körperlich, für mich und für andere, als Unternehmer, als Bauer, als Wissenschaftler, ich habe nichts gefunden, um das es sich lohnt. Geld haben ist schön. Viel Geld haben ist vielleicht schön, weil es Macht bringt. Keine Bedürfnisse haben, ist auch schön. Gar keine Bedürfnisse haben, bringt vielleicht auch Macht. So oder so. Das eine ist gut, und das andere ist gut, und man kann arbeiten, um es zu bekommen. Aber wenn man es dann hat ...“ Er stand auf und ging, mit den Armen schlagend, zur Tür. „Ich weiss nicht, was man dann tun soll. Wozu“, rief er und kam wieder angelaufen, ja er drängte sich geradezu an Mogreiner heran, „wozu ist Arbeit gut? Oder deutlicher: Muss ich diese unsinnige, menschenfressende Arbeit auch dann machen, wenn ich gut mit mir fertig werde? Ist nicht die Arbeit, die wir geleistet haben, ein Rausch wie andere?“

      Mogreiner begann, Fassung und Farbe wieder zu bekommen. Nein, über den Sinn des Lebens philosophiere er nicht. Er sei vom Unsinn felsenfest überzeugt, und Arbeit: die sei doch wenigstens handfest und ganz und gar fraglos da. Und nun, nachdem der erste Angriff abgeschlagen, müsse er gehen.

      Er setzte seinen Hut umständlich zurecht, zog die hellgelben Handschuhe an (immer noch, stellte Urk fest, liebte er zu unauffälliger Kleidung eine kleine


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