Der neue Landdoktor Paket 1 – Arztroman. Tessa Hofreiter
Читать онлайн книгу.darüber, dass sie ihr Vorhaben bisher so erfolgreich durchgeführt hatte, wollte sie ihren nächtlichen Ausflug nun so schnell wie möglich beenden und eilte zur Brücke, dabei achtete sie nicht auf den Bienenstock, an dem sie vorbei musste, und stieß ihn um.
»Verschwindet, ihr Mistviecher!«, zischte sie, als sie ihn in aller Eile wieder aufrichtete und ihn dabei ein Stück verrückte, was die aufgeschreckten Bienen noch mehr verunsicherte. Einige von ihnen fielen deshalb über Veronika her.
Wild um sich schlagend rannte sie weiter, bis das bedrohliche Gebrumme endlich verstummte. Sie hatte das Hotel schon fast erreicht, als ihr rechter Arm plötzlich höllisch schmerzte. Als sie den Ärmel ihres Shirts hochschob, stellte sie erschrocken fest, dass er schon dick angeschwollen war. Ihr Herz begann, wild zu pochen, als ihr klar wurde, dass die Bienen sie gestochen hatten und sie offensichtlich heftig darauf reagierte. Sie atmete ein paar Mal tief durch, bis sie sich ein wenig beruhigt hatte. Danach lief sie zum Hotelparkplatz, stieg in ihr Auto und fuhr zur Praxis Seefeld.
»Es ist gut, Nolan, ich gehe schon«, beruhigte Sebastian den Hund, der bellend vor seiner Tür hockte, als er aus seinem Schlafzimmer kam, weil es an der Haustür läutete.
»Wuff«, machte Nolan und legte sich wieder in seinen Korb neben Emilias Zimmer, als er sah, dass Sebastian in Jeans und T-Shirt die Treppe hinunterging. Wachsam stellte er aber die Ohren, damit ihm kein verdächtiges Geräusch entging.
»Sie? Was ist passiert?«, fragte Sebastian, als er die Haustür öffnete und Veronika Mittermeyer vor ihm stand.
»Ich bin gestochen worden«, antwortete sie und zeigte ihm ihren Arm.
»Kommen Sie bitte mit mir«, sagte Sebastian und nahm die Schlüssel für die Praxis vom Schlüsselbrett. »Reagieren Sie immer so heftig?«, erkundigte er sich, als er sie in sein Sprechzimmer führte und sie bat, sich auf die Liege zu setzen.
Neben der Deckenbeleuchtung schaltete er auch die Lampe an, die an einem beweglichen Arm an der Wand neben der Liege befestigt war, und richtete sie auf Veronikas Stiche.
»So schlimm war es noch nie, ich gehe den Viechern ohnehin möglichst aus dem Weg. Was machen Sie da?« Sie schaute auf die Pinzette, mit der Sebastian über die Stiche fuhr.
»Bienen hinterlassen meistens ihren Stachel. Wenn ich ihn herausziehe, dann könnte es helfen, dass ihr Arm nicht noch weiter anschwillt. »Eins, zwei, drei, vier und da ist noch einer«, sagte er und zog die Stachel nacheinander aus Veronikas Haut. »Es wird die Stiche schneller abschwellen lassen und den Juckreiz lindern«, erklärte er ihr, als er eine Salbe aus seinem Medikamentenschrank holte und ihren Arm vorsichtig mit dem Gel einrieb. »Ich gebe Ihnen die Salbe mit, falls es wieder schlimmer wird. Und jetzt möchte ich Sie noch abhören und Ihren Blutdruck messen«, sagte er, als Veronika schon aufstehen wollte.
»Warum?«
»Damit ich sicher bin, dass Sie nicht auf einen Schock zusteuern.«
»Jetzt noch? Ich dachte, das passiert sofort nach einem Stich.«
»Das stimmt, aber Sie reagieren schon ziemlich heftig, ich möchte einfach nichts übersehen. Heben Sie das Hemd einfach an«, sagte er, als er sein Stethoskop umhängte und sie in ihrem Trägershirt vor ihm saß, das sie unter ihrer Jacke trug. »Juckreiz, Kribbeln, ein Brennen unter der Zunge, trifft irgendetwas davon auf Sie zu?«, erkundigte er sich.
»Nein, außer den Schmerzen im Arm ist alles in Ordnung.«
»Gut, dann bitte tief einatmen, Luft anhalten, weiter atmen«, forderte er sie auf. »Nichts Auffälliges«, sagte er, legte das Stethoskop zur Seite und überprüfte ihren Blutdruck.
»Und?«, fragte Veronika.
»Alles in Ordnung, ich würde Ihnen aber trotzdem einen Besuch beim Allergologen empfehlen.«
»Wegen einer Immunisierung?«
»Im Moment würde ich persönlich noch nicht dazu raten, sollten Ihre Reaktionen aber irgendwann noch heftiger ausfallen, dann wäre das eine Möglichkeit. Verraten Sie mir, wie es mitten in der Nacht überhaupt zu dieser Begegnung mit den Bienen kam?«
»Manchmal gibt es ungeplante Begegnungen.«
»Haben Sie wieder Leonhards Imkerei besucht?«
»Ich glaube nicht, dass ich Ihnen Rechenschaft darüber ablegen muss, wo ich mich aufhalte.«
»Nein, das müssen Sie nicht, aber wie es scheint, fühlen Sie sich von Orten angezogen, die Ihnen nicht gut tun.«
»Danke, dass Sie mich behandelt haben. Frau Fechner weiß, wohin sie die Rechnung schicken kann«, sagte Veronika und zog ihre Jacke wieder an.
»Gute Besserung, Frau Mittermeyer, sollten Sie irgendwelche Beschwerden haben, dann melden Sie sich.«
»Ich möchte nicht, dass jemand von meinem Missgeschick erfährt. Kann ich mich darauf verlassen, Herr Doktor Seefeld?«
»Diese Unterhaltung hatten wir bereits schon einmal, meine Antwort bleibt die gleiche.«
»Das wollte ich hören, danke«, sagte sie, als Sebastian sie zur Tür brachte.
»Gute Nacht, Herr Doktor Seefeld«, verabschiedete sich Veronika und stieg in ihr Auto.
Irgendetwas hat sie vor, dachte Sebastian, als er eine Viertelstunde später wieder in seinem Bett lag. Dieser Blick, als sie ihn an seine Schweigepflicht erinnerte, hatte etwas Bedrohliches.
*
Im Biergarten war alles für den großen Tag vorbereitet, als Susanne am nächsten Morgen dort eintraf. Über dem Eingang der Brauerei und dem Tor zum Biergarten hingen bemalte Schilder, auf dem das Gründungsjahr der Brauerei stand. Die Tische waren mit weißen Decken und blauen Tellern gedeckt, Brezel und angemachter Käse standen für die Gäste bereit. Neben dem Eingang zum Braustübchen war eine kleine Bühne aufgebaut. Dort würde Leonhard seine Gäste begrüßen und das neue Honigbrot vorstellen.
»Grüß dich, Sannerl, hübsch siehst du aus.« Irmgard, die schon seit fünfzehn Jahren im Biergarten kellnerte, schaute auf das himbeerfarbene knielange Kleid, das Susanne trug.
Es hatte einen geraden Ausschnitt, angesetzte kurze Ärmel und betonte ihre schlanke Figur.
»Danke, Irmi, mit euren schönen Dirndl kann ich aber lange nicht mithalten«, entgegnete Susanne lächelte.
»Geh, Madl, du bist schon eine rechte Augenweide«, antwortete Irmgard und zwinkerte ihr zu, bevor sie wieder im Braustübchen verschwand, um mit den anderen Kellnerinnen und dem Küchenpersonal noch einen Kaffee zu trinken, bevor die Gäste eintrafen.
»Sie hat recht, du bist eine Augenweide«, sagte Leonhard, der mit einem Kasten Jubiläumsbier aus der Brauerei kam, den er neben der Bühne abstellte.
»Du siehst ein bisschen fremd aus«, stellte Susanne fest, weil sie ihn zum ersten Mal in der hellen Trachtenjacke sah, die er zu einer dunklen Anzughose trug.
»Fremd auf welche Weise? Anziehend oder abschreckend?«
»Nichts an dir schreckt mich ab, Leonhard.«
»Wenn das so ist, dann verliebe dich einfach noch einmal in mich. Ich meine, in diesen fremden Teil von mir.«
»Das hört sich aufregend an.«
»Es ist aufregend«, antwortete er mit einem Lächeln, das ihr einen heißen Schauer über den Rücken jagte.
»Ich hole die Honigbrote«, sagte sie. In genau einer Stunde würden die Gäste eintreffen, ihre Sehnsüchte mussten warten.
Im Honiglager legte Susanne die verpackten Brote in einen Korb und machte sich wieder auf den Weg zurück zum Biergarten. Sie stutzte kurz, als sie auf den Bienenstock schaute, der in der Nähe des Baches stand. Sie hatte den Eindruck, dass er am Tag zuvor noch näher am Ufer gestanden hatte. Unsinn, ich muss mich irren, dachte sie. Sie war jetzt für die Bienen verantwortlich, warum sollte jemand auf die Idee kommen, einen der Stöcke umzustellen, ohne mit ihr darüber zu sprechen?