Seewölfe Paket 13. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.untersuchte den alten Mann eingehend, dann schaute er auf und drehte sich zu Hasard und den anderen Männern um, die sich in der Kammer eingefunden hatten.
„Man hat mit Knüppeln auf ihn eingeschlagen“, sagte er. „Und ich glaube, er hat auch einen Herzanfall erlitten. Es ist ziemlich schlimm um ihn bestellt, aber ich werde für ihn tun, was in meinen Kräften steht.“
„Das wird ihm nicht mehr viel nutzen“, brummte der alte O’Flynn. „So, wie er traktiert worden ist, hat er nicht mehr lange zu leben.“
„Trotzdem versuche ich, ihn durchzubringen“, sagte der Kutscher mit beinah störrischer Miene.
„Seiner Kleidung nach könnte er ein Fischer sein“, sagte der Seewolf. „Jedenfalls bestimmt kein reicher Mann. Warum ist man über ihn hergefallen?“
„Blutrache vielleicht“, meinte Smoky. „Die gibt es doch sicherlich auch auf Zypern.“
„Bestimmt“, sagte Ben Brighton. „Hoffentlich erfahren wir noch von ihm, was der Grund für diese Tat war.“
„Das hoffe ich auch“, sagte Hasard. „Was mich wundert, ist, daß er sich mit seiner Tartane so weit auf die offene See hinausgewagt hat. Wir befinden uns noch gut vierzig Meilen von Zypern entfernt. Auf diese Entfernung segelt doch normalerweise kein Fischerboot hinaus.“
„Er gibt uns also ein Rätsel auf.“ Smoky betrachtete den Alten nachdenklich im Schein der Öllampe, die Hasard in der nach außen hin gut abgeblendeten Kammer entfacht hatte.
„Ich sage, er bringt uns bloß Unglück“, erklärte Old O’Flynn. „Sein Fluch schwebt schon über der ‚Isabella‘.“
Der Seewolf wandte sich ihm zu. „Donegal, jetzt hör aber auf. Wolltest du den armen Teufel etwa in seinem Boot verrecken lassen? Wäre dir das lieber gewesen?“
„Das habe ich nicht gesagt. Ich behaupte nur, daß mit diesem Mann etwas nicht stimmt. Ihr werdet noch an meine Worte denken.“
Damit ging er hinaus.
Im Hereinbrechen der Dunkelheit briste es auf. Frischer blies jetzt der Wind aus Nordwesten. Während die Männer der „Isabella“ noch mit dem Vertäuen der Tartane am Heck und dem anschließenden Hochhieven der Jolle beschäftigt waren, nahmen die beiden Schiffe, die auf unverändertem Kurs von Norden heransegelten, mehr Fahrt auf.
Immer schneller schoben sie sich nach Süden, bald mit sieben, dann mit fast acht Knoten Geschwindigkeit. Wäre es noch Tag gewesen, hätten die Seewölfe ihre Verfolger wieder sichten können – erst nur die hinter der Kimm auftauchenden Mastspitzen, dann die komplette Takelage, dann auch die Rümpfe, deren Bugpartien imposante Wellenberge vor sich her schoben.
Hasards Vermutungen hätten sich mit einem Schlag bestätigt: Tatsächlich waren es die Galeone „Cruel Jane“ von Lord Henry und Selims Schebecke „Grinta“, die sich auf diese Hetzjagd durch das Mittelmeer begeben hatten. Henrys Ausguck Codfish hatte die „Isabella“ gegen Mittag an der südlichen Kimm entdeckt und anhand ihrer Flögel und des White Ensign, der im Großtopp flatterte, sehr wohl identifiziert.
Seitdem gab es für Lord Henry nichts anderes mehr als den Gedanken an Philip Hasard Killigrew und an die blutige Rache, die er diesem Mann geschworen hatte. Erbarmungslos knüppelte Henry seine Dreimastgaleone voran, so daß selbst die schnelle und wendige Schebecke kaum noch mithalten konnte.
Wie der Seewolf vermieden es auch Lord Henry und Selim, Laternen auf den Oberdecks ihrer Schiffe anzuzünden. Es hatte deswegen keiner langen Absprachen bedurft. Selim, der Türke, war selbst ein ausgefuchster und erfahrener Schnapphahn zur See, er wußte, auf was zu achten war.
Wäre es noch hell gewesen, hätten die Männer der „Isabella“ jetzt ohne Zuhilfenahme ihrer Fernrohre den nahenden Gegner erkennen können, und auch umgekehrt hätten Henry und Selim ihren erklärten Todfeind in aller Deutlichkeit vor sich gesehen – etwas weiter nach Backbord versetzt zwar als angenommen, jedoch schon so nah, daß man mit dem Ausrennen der Geschütze beginnen konnte.
Doch die Schatten der Nacht waren gefallen, und die schmale Sichel des abnehmenden Mondes konnte die Finsternis nicht erhellen.
Lord Henry stand auf dem vorderen Bereich des Achterdecks der „Cruel Jane“ und grübelte darüber nach, ob sich die Nacht wohl als sein Verbündeter erweisen würde – oder als Hindernis, das sich zwischen ihn und die „Isabella“ schob und es dem Seewolf gestattete, wieder einmal spurlos zu verschwinden.
Eine Gestalt näherte sich vom Backbordniedergang, der das Achterdeck mit der Kuhl verband. Dalida erschien, trat mit leisen Schritten auf ihn zu, verharrte neben ihm und griff nach seinem Arm. Sie versuchte, sich an ihn zu schmiegen, doch er wies sie zurück.
„Laß das“, sagte er schroff. „Du weißt, daß ich dagegen bin. Die Männer würden es als Schwächebeweis werten.“
„Zärtlichkeiten untergraben deine Autorität, Liebster?“ fragte sie auf spanisch. Langsam entblößte sie ihre Zähne. „Aber es ist doch dunkel. Keiner kann uns sehen. Sei ein wenig nett zu deiner armen Dalida.“
„Hör auf. Ich habe dir schon hundertmal erklärt, wie ich es mit der Borddisziplin halte.“
„Ja. Ein Kapitän geht mit gutem Beispiel voran.“
„Genau das.“
„Auch unter Deck, in seiner Kammer?“
„Was in der Kapitänskammer geschieht, steht auf einem anderen Blatt.“
Sie lächelte ihn dreist und mit einem Anflug von Verachtung an.
„Du bist schon ein seltsamer Kapitän, Henry“, raunte sie. „Unberechenbar, weißt du? Schlimmer als Mechmed, dieser Bastard von einem Berber, den ich wie einen räudigen Schakal hasse.“
„Haßt du auch mich?“
Der Druck ihrer Finger um seinen Unterarm verstärkte sich. Ihre Mundwinkel sanken nach unten. „Bei Allah, wie kannst du so etwas auch nur annehmen! Manchmal empfinde ich Furcht vor dir, weil du so grausam sein kannst, in allen Dingen. Aber Haß – Haß ist das Gegenteil von Liebe, und noch liebe ich dich.“
„Dann ist es ja gut“, sagte er.
Aber ich werde dir mein Messer in den Leib stoßen, wenn der richtige Augenblick gekommen ist, dachte sie, denn ich will deine Reichtümer und vielleicht auch dein Schiff, nicht dich, Hund von einem Giaur!
Es war falsch, dich meine Geliebte werden zu lassen, Dalida, sagte sich Lord Henry im stillen, ich wußte es von dem Tag an, als ich dich bei Mallorca aus der See fischte. Aber ich weiß diesen Fehler auszubügeln. Ich werde dich als Sklavin verkaufen, sobald sich die Gelegenheit dazu bietet, und ich werde ziemlich viel Geld für dich kassieren, denn du bist eine sehr hübsche Weibsperson.
Lord Henry und Dalida – sie waren ein unvergleichliches, außergewöhnliches Paar, auch ihrem Äußeren nach. Henry war über sechs Fuß groß und blond. Seine blauen Augen drückten die wilde Entschlossenheit nordeuropäischer Seefahrer aus. Er war ein tollkühner Draufgänger und gnadenloser Kämpfer, ein Teufel von Kerl, dem das Wort Angst, aber auch die Begriffe Rücksicht und Skrupel völlig fremd waren.
Dalida war relativ klein an Gestalt und von üppiger, vollbusiger Statur. Ihre langen schwarzen Haare fielen ihr bis auf die Schultern, und in ihren großen dunklen Augen lagen die Verlockung und die Rätselhaftigkeit des Orients. Sie sah die Welt völlig anders als Lord Henry und hatte andere Ziele als er, aber in zwei Dingen glichen sie sich: in ihrer grenzenlosen Habgier und in ihrer Furchtlosigkeit.
Dalida war Abu Al-Hassans Lieblingsfrau gewesen, doch sie hatte mit keiner Wimper gezuckt, als sie ihn tot im Hof des Harems hatte liegen sehen. Nur zu gern hatte sie an Mechmeds Seite Marokko verlassen und sich in jene Abenteuer gestürzt, die für sie Erfolg, aber auch den Tod bedeuten konnten. Sie wollte reich werden und für immer frei sein. Um dies zu verwirklichen, war sie bereit, jeden erforderlichen Weg zu gehen und jedes Opfer zu bringen.
In heuchlerischer Zuneigung blickte