Seewölfe Paket 20. Roy Palmer

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Seewölfe Paket 20 - Roy Palmer


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durch die Fensteröffnung zum Hafen hinüber. Jetzt, am Abend, belebten sich die Gassen und Plätze wieder etwas. Er hörte Stimmengewirr, dazwischen das Geschrei von Kindern und das Bellen von Hunden. Das helle Lachen einer Frau erinnerte ihn an die angenehmsten Stunden seines Havanna-Aufenthaltes, denn gleich nach seiner Ankunft hatte er sich tagelang in den Hurenhäusern herumgetrieben.

      Den Einbruch der Dunkelheit wartete Caligula noch ab, dann verließ er vorsichtig sein Versteck. Die schwere Eisenkette, die man an seine Handgelenke geschmiedet hatte, ließ sich kaum verbergen. Er konnte sie jedoch erst auf der „Caribian Queen“ zerschlagen lassen.

      Der schwarze Herkules huschte flink durch die mondhelle Nacht und mied dabei jene Plätze und Gassen, die ziemlich belebt waren. So erreichte er in kurzer Zeit und ohne irgendwelche Schwierigkeiten den Hafen. Dort verhielt er einen Moment und ließ seine Blicke über die Schiffe und Boote streifen, die dort vertäut waren oder vor Anker lagen. Dabei achtete er für Augenblicke nicht auf seine Umgebung, und das sollte ihm Ärger einbringen – Ärger jedoch, den er auf seine Art bereinigen würde.

      „Auf was wartest du hier?“

      Caligula fuhr blitzschnell herum. Die barsche Stimme gehörte zu einem Gendarm, der unbemerkt hinter ihm aufgetaucht war. Der Mann war schwer bewaffnet und höchstens noch zehn Schritte von ihm entfernt.

      Während des Herumwirbelns hatte Caligula nicht vermeiden können, daß die schwere Eisenkette klirrte. Ebenso konnte er nicht verhindern, daß der Gendarm sie sah. Was tun? Die Gedanken hinter der Stirn des Schwarzen jagten sich. Einem Gendarm brauchte niemand zu erklären, was Sträflingsketten bedeuteten.

      Sollte er also davonlaufen? Nein, das wäre verkehrt. Der Kerl würde Alarm schlagen, und er hätte im Nu die ganze Meute im Nacken. In dieser Situation blieb ihm nichts anderes übrig, als einen kühlen Kopf zu bewahren und jede sich bietende Gelegenheit beim Schopf zu packen.

      „Ich habe dich was gefragt, Kerl!“ rief der Gendarm und zog gleichzeitig seine Steinschloßpistole aus dem Gürtel. Ein leises Klicken verriet, daß er den Hahn gespannt hatte. Außer der Schußwaffe trug er noch einen Säbel und ein Messer bei sich.

      Caligula zwang ein Grinsen in sein Gesicht.

      „Auf was soll ich schon gewartet haben“, sagte er mit ruhiger Stimme, „auf dich natürlich.“

      „Willst du Witze reißen, du Bastard?“

      „Aber nicht doch“, erwiderte Caligula. „Es heißt doch immer, verlorengegangene Sträflinge sollten sich reumütig bei der Obrigkeit melden. Das tue ich hiermit.“

      Der Gendarm warf dem hünenhaften Neger einen mißtrauischen Blick zu und blieb vier Schritte vor ihm stehen. Den Lauf seiner Pistole richtete er drohend auf die Brust des Sträflings.

      „Hör auf, hier dumme Geschichten zu erzählen. Wie heißt du, woher kommst du? Heraus mit der Sprache, aber ein bißchen plötzlich!“

      Caligula grinste noch breiter.

      „Wie ich heiße, ist doch unwichtig. Interessant ist nur, daß ich zuletzt in Havanna war.“

      „Havanna?“ Der Gendarm wurde wütend. „Ich stopfe dir gleich dein Lügenmaul, du verdammter Nigger. Glaubst du vielleicht, ich lasse mich von dir verulken? Niemand läuft unbemerkt mit Sträflingsketten von Havanna nach Batabano! Außerdem siehst du bemerkenswert ausgeruht aus. Wage nicht, mir noch weitere Märchen aufzutischen. Also – wo bist du ausgebrochen?“

      Caligula zuckte mit den Schultern.

      „Es tut mir leid, daß du dich so aufregen mußt, aber ich war wirklich in Havanna. Daß ich den Weg zu Fuß zurückgelegt habe, hat niemand behauptet. Man hat mir nämlich großzügigerweise ein Pferd zur Verfügung gestellt. War das nicht nobel?“

      Jetzt schoß dem Gendarm die Zornröte ins Gesicht.

      „Das reicht mir!“ brüllte er und tat genau das, was Caligula mit seinen provozierenden Reden hatte erreichen wollen. Er trat dicht an ihn heran, um ihm den Lauf seiner Pistole über den Schädel zu schlagen.

      Im selben Augenblick rasselten Ketten. Bevor der Gendarm zuschlagen oder einen Schuß abfeuern konnte, war sein Schicksal besiegelt. Der kräftige Mann mit dem gedrungenen Körperbau hatte sich gewaltig überschätzt, wenn er geglaubt hatte, diesem Neger gewachsen zu sein. Er ahnte nicht, daß sich dieser Sträfling in eine todbringende Bestie verwandeln konnte.

      Die Ketten schlangen sich in Sekundenschnelle um seinen Hals. Dabei ließ er reflexartig die Pistole fallen, um nach der Würgekette zu greifen.

      Aber er hatte keine Chance gegen Caligula. Wenig später hing sein Körper schlaff zwischen der Kette.

      „So hast du dir das wohl nicht vorgestellt, du Hund!“ zischte Caligula und ließ den reglosen Körper auf die Erde sinken. Mit leiser Stimme fügte er hinzu: „So einfach schafft man mich nicht, verstehst du? Mich nicht!“

      Rasch blickte er sich um, aber es war niemand in der Nähe, der die grausige Szene beobachtet hatte. Trotzdem verlor Caligula keine Zeit. Er bückte sich und zog dem Gendarmen das Messer aus dem Gürtel, dann stieß er den Toten einfach ins Wasser.

      Wenig später verschwand der Schwarze im Schatten eines Lagerschuppens. Nur bei genauem Hinsehen konnte man dort seine Körperumrisse erkennen. Er verharrte eine Weile in diesem Versteck, immer noch nach einem passenden Fluchtfahrzeug Ausschau haltend. Eine Gruppe betrunkener Männer, die grölend vorbeitorkelten, bemerkte ihn nicht.

      Caligula brauchte nicht lange in seinem Versteck auszuharren, denn schon bald rückte eine einlaufende kleine Schaluppe in sein Blickfeld. Das Fahrzeug, das drei Männer an Bord hatte, wurde an der Pier ganz in seiner Nähe vertäut. Es handelte sich offensichtlich um Fischer, die spät zurückkehrten. Zwei davon landeten ihren Fang und schleppten die Körbe abseits der Pier zu einem kleinen Schuppen. Ein Mann blieb an Bord zurück.

      Caligula witterte eine Chance.

      Die Schaluppe war absolut seetüchtig und leicht zu segeln. Damit würde er die „Caribian Queen“ mühelos erreichen. Warum also lange fackeln? Wie ein Raubtier, das auf Beutefang aus ist, huschte der schwarze Herkules durch die Nacht und erreichte die Schaluppe.

      Der ahnungslose Fischer war noch mit Aufräumarbeiten beschäftigt und verstaute einige Dinge in einem Korb. Er achtete nicht auf das, was in seiner Nähe vor sich ging.

      Caligula schlich sich gewandt wie eine Katze an Bord. In der Rechten hielt er das Messer, das er dem toten Gendarm abgenommen hatte.

      Erst das Klirren der Kette ließ den Fischer, der noch immer über den Korb gebeugt war, hochfahren.

      „Bist du es, Pedro?“ fragte er. Im selben Moment weiteten sich seine Augen. Wie versteinert starrte er auf den riesigen Neger mit der Handkette und dem blitzenden Messer.

      Für den Bruchteil einer Sekunde herrschte Totenstille, dann fiel Caligula wie ein Löwe über seine Beute her. Er stieß zweimal mit dem Messer zu, der Fischer sank stöhnend auf die Planken.

      Die wulstigen Lippen Caligulas umspielten ein triumphierendes Grinsen. Er hatte es geschafft. Nichts und niemand würde ihn jetzt noch aufhalten. Der Weg zur „Caribian Queen“ war frei.

      Um den Toten kümmerte sich Caligula zunächst nicht. Er warf rasch die Leinen los, legte einen Riemen in die dafür vorgesehene Halterung und wriggte das Fahrzeug aus dem Hafenbereich.

      Niemandem war etwas aufgefallen, keiner hatte etwas gehört oder gesehen. Erst als er weiter draußen war, setzte er in der Dunkelheit das Segel und nahm Kurs auf die Islas de Mangles.

      „Dich erwartet dort niemand“, sagte er zu der reglosen Gestalt auf den Planken und stieß sie mit dem Fuß an. Dann packte er den Toten und wuchtete ihn mit einem lauten „Hopp!“ über das Schanzkleid.

      Caligula war wieder in Form, in Bestform sozusagen. Und Skrupel – nein, die hatte er noch nie gehabt.

       4.


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