Der große Aschinger. Heinz-Joachim Simon

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Der große Aschinger - Heinz-Joachim Simon


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Doorn seine Bierquelle beehren. »Wir sind doch gut, billig und schnell, das weiß doch jeder!«

      »Wir müssen die Kundschaft darauf stoßen, dass es bei uns immer etwas Neues gibt und es sich immer lohnt, bei uns vorbeizuschauen. Wir machen eine Fischwoche, eine Wildwoche, eine Gänsewoche oder eine Hühnchenwoche.«

      »Unser Kleener!«, staunte Gisela Kloppke am Büfett. »Nun hör sich det eener an!«

      »Gar nicht so dumm, Schwidiwatzki noch mal!«, brummte Dornbusch anerkennend. »Ick werde mal mit der Zentrale reden, ob die uns für eine Geflügelwoche was zusammenstellen können.«

      »Wir könnten ein Plakat ins Schaufenster hängen mit der Aufschrift Gänsewoche bei Aschinger , und draußen stellen wir eine Staffelei mit unserem täglichen Angebot auf.«

      »Unser Kleener!«, rief die Kloppke stolz.

      Es geschah, wie Sebastian vorgeschlagen hatte. Doch an den beiden ersten Tagen tat sich nicht viel. Zwar wurde die »Junge Gans aus Polen mit Grünkohl« zu drei Reichsmark von den Stammgästen gut angenommen, aber das Publikum war nicht viel zahlreicher. Als Dornbusch schon begann, Sebastian missmutige Blicke zuzuwerfen, und dabei murrte, dass dies wohl ein Schuss in den Ofen gewesen sei und er sich bei der Zentrale wohl blamiert habe, wirkte endlich die Mundpropaganda. Sie verlängerten die Aktion um eine weitere Woche und steigerten den Umsatz um fünfzig Prozent.

      Es war an einem Samstag, als wieder einmal im Lokal alles still wurde, die Angestellten eifrige Gesichter machten und sich noch schneller bewegten. Fritz Aschinger erschien. Erst stand er nachdenklich vor der Bierquelle und las das Schild, dann stürmte er herein und winkte Dornbusch zu, ihm ins kleine Büro zu folgen.

      »Sie haben da eine gute Idee gehabt. Wir werden diese Aktionswochen nun überall in unseren Bierquellen durchziehen«, lobte er seinen Geschäftsführer. »Sie können mit einer ordentlichen Prämie rechnen. Ich mag es, wenn jemand selbst die Initiative ergreift. Diese Bierquelle liegt sechzig Prozent über den anderen. Sie haben mit Abstand die Spitze übernommen. Meine Gratulation!« Die Augen hinter den dicken Brillengläsern funkelten begeistert. »Gerade jetzt brauchen wir solche Erfolge! Die Umsätze sind seit zwei Jahren rückläufig. Den Leuten geht es halt schlecht, und die Arbeitslosenzahlen nehmen immer noch zu. Es kommen auch kaum noch Touristen nach Berlin. Sie dagegen haben gezeigt, dass man aus dem Teufelskreis ausbrechen kann. Ich bin sehr zufrieden. Noch mehr solche Ideen, Herr Dornbusch!«

      »Es war nicht meine Idee«, gestand Paul Dornbusch, der ein zu ehrlicher Kerl war, um für sich allein die Meriten einzustreichen. »Es war der verflixte Junge!«

      »Was für ein Junge?«

      »Sie haben ihn selbst eingestellt.«

      »Etwa der Bücherwurm?«

      »Ja, unser Johnny.«

      Aschinger kniff die Augen zusammen. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. »Dachte ich es mir doch! Wer mit Stendhal herumläuft, an dem muss etwas dran sein. Her mit dem jungen Mann!«

      Dornbusch lief hinaus und winkte Sebastian aufgeregt zu, in sein Büro zu kommen. Zögernd betrat Sebastian das kleine Zimmer neben der Küche.

      Aschinger musterte ihn und reckte den Kopf. »Du also hattest die Idee mit den Aktionswochen. Wie stellst du dir das weiter vor?« Leicht nervös erklärte Sebastian seine Idee: »Die Aktionswochen könnten vielleicht noch erfolgreicher sein, wenn sie zusätzlich mit Annoncen angekündigt und begleitet werden.«

      »Sieh mal an, unser Bücherwurm! Ja, die Idee ist nicht schlecht. Wie macht sich der junge Mann sonst?«

      »Gut«, sagte Dornbusch zögernd. »Nun ja, vielleicht kann man ihm sogar ein ›Sehr gut‹ geben. Er ist eifrig, intelligent, höflich und flink.«

      »Schön, schön. Du meldest dich morgen in der Zentrale in der Friedrichstraße. Ich kann einen fixen jungen Mann als Mädchen für alles bei mir gebrauchen. Wenn du dich gut anstellst, wirst du mein Assistent.«

      Dornbusch blieb vor Staunen der Mund offen.

      »Aber ich kann doch sonst nichts«, sagte Sebastian eingeschüchtert.

      »Du hast Ideen, so einen kann ich gebrauchen. Du wirst, wenn du tüchtig bist, das Verbindungsglied zwischen mir und Direktor Teichmann und den anderen Direktoren. Ich verlange nur schnelle Auffassungsgabe, Arbeitseifer, Ehrlichkeit und vor allem unbedingte Loyalität. Du bist mir direkt unterstellt und wirst nur von mir Anweisungen entgegennehmen. Wie heißt du? Johnny? Bist du Ausländer?«

      »Nein, so nennen mich hier nur alle«, stotterte Sebastian.

      »Er heißt Sebastian Lorenz. Aber wir nennen ihn alle Johnny«, warf Dornbusch ein, der nicht wusste, ob er lachen oder weinen sollte, hatte er doch eben einen guten Mann verloren. Andererseits gönnte er dem Johnny diesen Aufstieg. Der Junge, so seine jetzige Einschätzung, war etwas Besonderes.

      »Also, Johnny«, sagte Aschinger vergnügt, »kannst du auch Englisch?«

      »Ein wenig, aber nicht sehr gut«, gestand Sebastian kleinlaut. Ihm schwirrte der Kopf. Es passierte tatsächlich: Seine Träume wurden wahr.

      »Beleg einen Abendschulkurs!«, befahl Aschinger. »Die Kosten übernehmen wir. Nimm Betriebswirtschaft und Englisch! Ich verlange, dass du perfekt Englisch sprichst, denn wir können in der Gastronomie viel von den Engländern lernen. In einem halben Jahr musst du englische Bücher lesen können. Beleg auch Stenographie- und Schreibmaschinenkurse, auch das gehört zu den Dingen, die ein tüchtiger Sekretär beherrschen muss. Ich sehe dich morgen um zehn Uhr bei mir am Kurfürstendamm. Wir fahren dann gemeinsam ins Büro. Ach ja, hast du einen ordentlichen Anzug?«

      »Ja, einen grauen Flanellanzug.«

      »Na schön, das mag gehen. Über dein Gehalt reden wir nach der Probezeit. Natürlich bekommst du ein Aufgeld für deine Kleidung. Zeig mal deine Hände!«

      Sebastian streckte sie vor, und Aschinger schüttelte den Kopf. »Rot und rissige Nägel. Schon mal bei der Maniküre gewesen?«

      Sebastian riss die Augen auf und schüttelte den Kopf.

      »Zum Friseur kannst du auch mal wieder. Also, morgen früh bei mir!« Er schickte Sebastian mit einem wohlwollenden Kopfnicken hinaus. Als Sebastian wieder im Lokal war, sahen ihn die Kloppke und Panke mitleidig an.

      »Junge, du bist ja weiß wie eine Wand!«, sorgte sich Kapinske.

      Im Büro war Fritz Aschinger noch nicht fertig, sondern lobte nun auch seinen Geschäftsführer. »Es gehört zum Erfolg, nicht nur eine Idee zu haben, sondern man muss ihre Tragweite auch erkennen und sie mutig umsetzen. Sie sind von nun an Hauptgeschäftsführer für alle Bierquellen rund um den Alexanderplatz bis zur Friedrichstraße. Machen Sie weiter so! Für den Johnny schicke ich Ihnen einen neuen Mann.« Er rauschte hinaus, nicht ohne sich an dem Büfett ein Fischbrötchen geben zu lassen. Wie jeder Gast bezahlte er seine 25 Pfennig und verzehrte es mit Bedacht, während er dabei die hereinkommenden Gäste und den Eifer beobachtete, mit dem sich Sebastian an den Zapfhähnen zeigte. Mit einem Schmunzeln verließ er die Bierquelle. Sofort versammelte sich das Personal um Sebastian.

      »Schwidiwatzki, so etwas hat es noch nie gegeben! Der Johnny wird ein ganz Großer, und mir hat der Junge auch Glück gebracht«, sagte Dornbusch. »Stellt euch das mal vor, er hat Aussicht, Sekretär des Generaldirektors zu werden! Herr Aschinger holt den Teufelskerl ins Chefbüro. Johnny ist erst ein paar Monate bei uns und fällt schon die Leiter bis zur Spitze hinauf.«

      »Ick wusste, det was in ihm steckt«, sagte die Kloppke stolz. »Ick hab es immer jewusst!«, wiederholte sie kopfnickend und drückte Sebastians Kopf an ihren beachtlichen Busen.

      »Er taugt was«, stimmte Kapinske zu, »er taugt wirklich etwas!« Als sich Sebastian abends von der Belegschaft verabschiedete, sagte die Kloppke: »Vergiss uns nicht, Johnny, ooch wenn de jetzt zu den da oben jehörst!«

      »Werd bloß nicht so ’n feiner Pinkel, so ’n Wichtigtuer!«, setzte Kapinske hinzu.

      »Ich werde euch oft besuchen«, versprach


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