Der große Aschinger. Heinz-Joachim Simon

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Der große Aschinger - Heinz-Joachim Simon


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ab und flüsterte ihm zu, was er machen sollte. Es war aufregend, schön und neu. Gewaltig entlud er sich, und einen Augenblick lang glaubte er, in einem Feuerball zu schweben. Er hatte das Glück, die Liebe von einer Frau kennenzulernen, die es gut mit ihm meinte, die einsam war, ihn mochte und nicht daran dachte, irgendwelche Ansprüche zu stellen.

      »Du wirst einmal ein guter Liebhaber, wenn du dich daran hältst, dass auch die Frau ihre Lust haben muss«, flüsterte sie, als sie erschöpft nebeneinanderlagen.

      Sebastian sah auf die Uhr. Es war bereits nach drei, und in vier Stunden musste er aufstehen. Beim Aschinger hatte er hellwach zu sein. Er erhob sich und zog sich an, Gisela machte das Licht an und sah ihm dabei zu.

      »War es schön für dich?«, fragte sie.

      »Sehr schön«, erwiderte er, während er in die Hose stieg und dabei ihr rosiges Fleisch betrachtete. Gern wäre er bei ihr geblieben.

      »Du kannst immer zu mir kommen. Wirst du kommen?« Er nickte heftig und versprach es.

      »Det sagste nur so«, erwiderte sie traurig. »Du bist so jung. Du wirst bald eine andere finden.«

      »Nein, ich werde kommen. Bestimmt.«

      »Ick weeß ja, dass ich nüscht Besonderes bin. Du wirst einmal een großer Herr sein. Aber vielleicht wirste dann trotzdem manchmal an deene Gisela denken.«

      »Ich werde kommen«, versprach er noch einmal.

      »Wann?«, fragte sie, als sie ihn an der Tür noch einmal umarmte und seine Hände auf ihre nackten Brüste legte.

      »Bald.«

      »Ja, komm bald!«

      Er sah noch einmal in ihre bettelnden Augen und beugte sich zu ihr, gab ihr einen Kuss und stolperte hinaus. Ihren Seufzer hörte er nicht mehr. Und während er zurück zum Kurfürstendamm taumelte und daran dachte, was gerade passiert war, hörte er das Rauschen der Großstadt und ihre machtvolle Musik der Nacht, die niemals aufhörte. Nun weißt du, wie die Liebe ist, dachte er bei sich. Ausgerechnet die gute Gisela Kloppke hatte sie ihm gezeigt. Es war schön, und gewiss würde er wieder zu ihr gehen. Schade, dass sie nicht jünger war. An Uschi Venske dachte er nicht mehr, als er auf den Kurfürstendamm einbog.

      »Wir fahren in den Zentralbetrieb in der Saarbrücker Straße«, sagte Fritz Aschinger ein paar Wochen später zu Sebastian, als der die Halle des Aschinger-Palais betrat. »Hier habe ich noch ein paar Direktiven, die ich gestern Abend festgelegt habe.« Er gab Sebastian im Gehen eine rote Ledermappe mit dem goldenen Aschinger-A , das jeder Berliner kannte. Mittlerweile hatte sich Sebastian daran gewöhnt, dass er jeden Morgen in dieser Mappe ein kleines Bündel von Zetteln mit Anregungen und Anweisungen fand, die er an die zuständigen Abteilungen weiterzuleiten, oft genug sogar den Abteilungsleitern persönlich zu übergeben hatte. »Sag mal, Johnny, warum ziehst du nicht zu uns in das Aschinger-Palais?«

      Sie waren auf dem Weg zum Mercedes, der bereits mit Chauffeur vor dem Hause wartete. Sebastian blieb vor Überraschung stehen.

      »Ich soll bei Ihnen … wohnen?«

      »Ja. Platz genug haben wir weiß Gott. Du sparst die Miete für deine Wohnung oder dein Zimmer – oder was weiß ich, wie du wohnst –, und ich könnte mit dir jeden Abend den nächsten Tag vorbereiten. Ich würde eine Menge Zeit sparen.«

      Sebastians Gedanken überschlugen sich. Wie konnte er, ohne Aschinger zu kränken, dieses Angebot ausschlagen? Er hatte wenig Lust, in Aschingers Haus zu wohnen. Wenn man der Sonne zu nahe kam, verbrannte man sich leicht. Er würde keine freie Minute mehr haben und dauernd unter Kontrolle des Konzernchefs stehen.

      »Ich fühle mich sehr geehrt, aber …«

      »Ja, ich weiß«, schnitt ihm Aschinger das Wort ab und musterte ihn durch seine Brillengläser. »Das bedeutet noch mehr Arbeit für dich. Doch was würdest du sagen, wenn du das Gehalt eines Direktors bekämst? Ich meine ohnehin, dass wir dich jetzt offiziell als meinen persönlichen Sekretär führen sollten, und natürlich ist die Position dem Rang eines Direktors gleichgesetzt.«

      Sebastian hatte bereits gehört, dass ein Direktor bei Aschinger mehr als das Zehnfache seines jetzigen Gehaltes bekam, und musste schlucken. »Ich würde mich … freuen«, stotterte er.

      »Nun ja, dann gilt es. Du kannst in den nächsten Tagen einziehen. Ich habe dem Majordomus bereits entsprechende Anweisungen erteilt. Du bekommst drei schöne Zimmer mit Blick auf den Kurfürstendamm.«

      Sebastians Gefühle waren etwas zwiespältig. Er hatte schon erlebt, dass Aschinger recht launisch sein konnte. In der neuen Position würde er sich Fritz Aschinger mit Haut und Haaren verschreiben. Doch nachdem er sich von der Überraschung erholt hatte, gewann er der Veränderung einiges Positive ab. Er, der Bauernsohn Sebastian Lorenz, würde nun in einem der vornehmsten Häuser von Berlin wohnen.

      Die letzten Wochen waren wie im Flug vergangen. Mittlerweile hatte er sich daran gewöhnt, dass er als rechte Hand des Konzernchefs galt, und die Belegschaft schien es auch zu akzeptieren. Er hatte sich auf Fritz Aschingers Arbeitsrhythmus eingestellt, auf den quirligen Vormittag, auf die manchmal unangenehmen Gespräche mit den Abteilungsleitern, auf Aschingers Plauderstunden. Die Vormittage waren nicht immer einfach, da er am Schluss oft unangenehme Anweisungen bekam, die Plauderstunden aber waren ein Vergnügen. Jeden Tag, während oder kurz nach dem Mittagessen im Fürstenhof, das er gemeinsam mit dem Chef einnahm, kam dieser meist auf Literatur zu sprechen, und sie diskutierten über Spengler, Remarque, Jünger und die Mann-Brüder, und oft sagte Fritz Aschinger dann zum Schluss: »Siehst du, das hat mir gefehlt: jemand, mit dem ich über gute Bücher diskutieren kann. Genau so einen Menschen habe ich in meiner Nähe gebraucht.«

      Doch die angenehmste Seite seiner Tätigkeit war, dass ihn Fritz Aschinger mit in die Oper oder ins Theater nahm. Wenigstens einmal in der Woche saßen sie in der Staatsoper Unter den Linden oder sahen sich eine Max-Reinhardt-Inszenierung an, und er lernte die großen Schauspieler wie Gründgens und George kennen. Als sie über den Alexanderplatz fuhren und er die Berolina sah, erinnerte er sich, wie es mit Uschi Venske zu Ende gegangen war. Sie war am verabredeten Samstagabend erschienen, hatte ihm wie immer einen Kuss auf die Wange gegeben und sich bei ihm eingehakt.

      »Du machst so ein finsteres Gesicht. Ist was?«

      »Nein, nichts.«

      »Na, dann sei doch friedlich!«

      »Liebst du mich, Uschi?«

      »Was soll die Frage? Du weißt doch, dass ich dich gern habe. Würden wir sonst jeden Samstag zusammen sein?«

      »Warum nicht auch an den anderen Tagen?«

      »Da hättest du keine Freude an mir. Ich bin jeden Abend fix und fertig. Steh du mal den ganzen Tag bei der Damenkonfektion herum!«

      »Du könntest aufhören zu arbeiten.«

      »Was soll ich? Bist du verrückt? Millionen sind arbeitslos – und ich soll meine Stelle aufgeben? Ich glaube, du spinnst!«

      »Ich habe Geld genug.«

      »Ach, ein kleiner Bierzapfer bei Aschinger hat plötzlich Geld wie Krupp oder ein Rolf Singer?«

      »Ich bin Assistent beim großen Aschinger geworden, und vielleicht ist das erst der Anfang. Fritz Aschinger hält große Stücke auf mich.«

      »Du hast ’ne Meise, mit so etwas macht man keine Scherze!«

      »Es stimmt aber. Wenn ich die Probezeit überstehe, werde ich ganz offiziell sein Sekretär.«

      »Wirklich?«

      »Ja, wirklich.«

      »Was verdienste denn?« Er sagte es ihr, und sie bekam große Augen und drängte sich enger an ihn. »So viel? Das ist ja mehr, als zwei Abteilungsleiter bei Wertheim verdienen.«

      »Fritz Aschinger ist kein Knauser.«

      »Dann brauche ich wirklich nicht mehr arbeiten?


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