Der große Aschinger. Heinz-Joachim Simon
Читать онлайн книгу.ihn eingestürmt. Die Mutter hatte ihn bereits vorwurfsvoll gemahnt:
Junge, lass doch von Dir hören, ich mache mir solche Sorgen! Stimmt denn das alles, was Du aus Berlin schreibst? Bist Du tatsächlich ein so großer Herr geworden? Wilfried sagt dauernd, dass Du Dich wieder Hirngespinsten hingibst und bestimmt nur die Hälfte davon wahr ist. Wir haben dieses Mal eine gute Ernte eingeholt. Wenn Wilfried so weiterwirtschaftet, sind wir bald schuldenfrei, und er kann Dir Dein Erbteil auszahlen. Sonst ist alles beim Alten. Die Stute Hella, die Du so liebst, hat gefohlt, und unsere Schweine haben diesmal prächtig geworfen. Wenn Du nur hier wärst! Ich vermisse Dich sehr.
Das hatte sie geschrieben. Und er hatte ihr nicht geantwortet, obwohl er doch versprochen hatte, jede Woche zu schreiben. Er nahm sich vor, sie bald einmal nach Berlin einzuladen. Aber als er unten in der Halle zurück war, hatte er dies bereits vergessen. Viktor führte ihn, da Fritz Aschinger immer noch auf sich warten ließ, in die Bibliothek zurück.
»Sind Sie denn mit Ihrem Logis zufrieden?«, fragte er mit ironischem Lächeln.
»Ich glaube, es gibt nichts daran auszusetzen«, erwiderte Sebastian, so blasiert er konnte.
»Das dachte ich mir. Sie brauchen also nur Ihre Kleider mitzubringen, so dass kein unnötiger Lärm entstehen wird. Darf ich Ihnen noch einen Rat geben?« Viktor sah ihn mit einem Gesicht an, als wäre Sebastian ein verarmter Anverwandter.
»Man soll einen gutgemeinten Rat nicht abschlagen«, gab Sebastian genauso kühl zurück.
»Wenn Sie mit Herrn Aschinger ausgehen, sollten Sie einen Frack anziehen. Heute mag vielleicht Ihr Anzug noch angehen, aber er ist doch sehr unpassend.«
»Ich werde mir Ihren Rat überlegen. Vielen Dank.«
Viktor verbeugte sich und ging hinaus. Sebastian holte einen weiteren Hemingway aus dem Regal und vertiefte sich in den wunderbaren Anfang von In einem anderen Land.
Kurz darauf erschien Fritz Aschinger. Sebastian stand auf, und Aschinger brummte: »Mach keine Umstände! Was liest du da? Hemingway? Ach ja, ein guter Schriftsteller. Er schreibt in einer Sprache, die sich echt anhört. Kein Gequase. Wenn es auch nur eine Übersetzung ist, aber Annemarie Horschitz-Horst ist eine gute Übersetzerin. Ich weiß gar nicht, warum die Kritiker auf ihr herumtrampeln. Ich habe es auch in Englisch gelesen und finde, dass sie genau den Rhythmus seiner Sprache getroffen hat. Du musst einmal die Short Stories von Hemingway lesen.«
» Short Stories ?«
»Kurzgeschichten. Du solltest endlich mit dem Englischunterricht anfangen! Spätestens, wenn wir nach London gehen, solltest du einigermaßen Englisch sprechen.«
»Ich habe so wenig Zeit dafür.« Er hat gut reden!, dachte Sebastian verärgert. Jeden Abend nahm ihn Aschinger in Beschlag. Wie sollte er dann noch die Zeit finden, Betriebswirtschaft, Maschinenschreiben und Englisch zu lernen?
»Wir engagieren einen Englischlehrer, der soll jeden Tag in die Friedrichstraße kommen und dir was beibringen. Außerdem soll dir die Proske einen Betriebswirtschaftler besorgen, der jeden Tag mit dir paukt. Wir haben genug Leerlauf, den man zum Lernen nutzen kann. Sieh zu, dass du jeden Tag ein wenig klüger wirst, old boy !« Er schlug Sebastian lachend auf die Schulter. »Übrigens, wie gefallen dir deine Zimmer?«
»Überwältigend!«, stotterte Sebastian. »Ich habe so etwas …«
»Ja, um die Möbel habe ich mich gekümmert. Dann wollen wir uns mal ins Vergnügen stürzen. Wir fahren zuerst zum Fürstenhof und holen eine Dame ab. Warte, du solltest auch eine Blume im Knopfloch tragen.« Fritz Aschinger hatte eine rote Nelke im Knopfloch seines Revers. Trotz der Eleganz seines Smokings machte er nicht den Eindruck eines Salonlöwen, dazu war er zu dicklich und sein Kopf zu groß, und die Brillengläser, die seine Augen leicht vergrößerten, ließen ihn wie einen Frosch aussehen. Aber sicher war er der reichste Frosch in Berlin und für jede Frau, die er küsste, ein Prinz.
Der Chauffeur wartete bereits mit dem Mercedes vor dem Haus, lüftete die Mütze und öffnete eilig die Wagentür.
»Wir holen erst einmal Fräulein Sieglinde von Weinberg ab. Ihr Vater hat mich darum gebeten, mich ein wenig um sie zu kümmern. Die Weinbergs sind alter Geldadel, Bankiers in Frankfurt am Main, und eine großartige Familie. Seit langem gehört das Geldinstitut zu unseren Hausbanken. Ihr Geld sichert das Blut für unser Unternehmen, deshalb konnte ich mich dem Wunsch des alten Weinberg nicht entziehen. Ich weiß nicht, worüber man mit einer so mondänen Dame redet. Es liegt mir einfach nicht. Du, Johnny, kannst mir helfen, das Gespräch ein wenig in Gang zu halten.«
Als sie am Potsdamer Platz eintrafen, trieb ein heftiger Sturm Regenschleier durch die Straßen.
»Kein vielversprechender Anfang für diesen Abend«, murrte Aschinger.
Sie sollten bald erfahren, wie recht er damit hatte.
Kapitel 7
»Willkommen im Fürstenhof!«, stotterte der Geschäftsführer aufgeregt.
Kaum hatten sie das Hotel betreten, war er ihnen von der Rezeption kommend mit wehenden Rockschößen entgegengeeilt. Ungewöhnlich war nicht, dass Aschinger den Fürstenhof besuchte, ungewöhnlich war der Zeitpunkt. Am Abend konnten alle Aschinger-Hotels eigentlich sicher sein, dass ihr Inhaber nicht einen seiner gefürchteten Inspektionsbesuche durchführte.
»Kann ich irgendetwas für Sie tun? Möchten Sie sich von der Auslastung überzeugen? Soll ich Ihnen das Gästebuch zeigen?«
Teichmann hat ihm wohl ganz schön Druck gemacht, dachte Sebastian.
»Nein, Feininger, heute bin ich privat hier. Wir wollen nur jemanden abholen.«
»Möchten Sie noch einen kleinen Imbiss nehmen?«
Fritz Aschinger schüttelte gereizt den Kopf, und der Geschäftsführer war intelligent genug, dies zu bemerken, und schwirrte nach einer tiefen Verbeugung ab.
»Na, wie gefällt dir unser Aushängeschild?«, fragte Aschinger und sah mit selbstgefälligem Lächeln in die Runde, als sähe er es selbst zum ersten Mal.
Es war in der Tat ein beeindruckender Anblick. Auch wenn der Fürstenhof nicht mit dem Ruf des Adlon mithalten konnte, so ließ seine Prachtentfaltung an Neuschwanstein und Linderhof denken. Nirgendwo in Berlin wurden Reichtum und Exklusivität so unverhüllt gezeigt. Die Möbel waren Kopien aus französischen Schlössern, von den besten Werkstätten Frankreichs. Es gab Säulen wie in einem korinthischen Tempel, und die obligatorische Wendeltreppe wies ein vergoldetes Geländer auf. Die Blumenarrangements hätten selbst in jedem Harem mehr als üppig ausgesehen und verbreiteten einen verführerischen Duft. Das Personal war liebenswürdig und gutaussehend.
»Die Menschen haben nun einmal lieber gutaussehende Apollos und Aphroditen um sich als Alberichs und Macbeths Hexen«, erwiderte Aschinger auf Sebastians Beobachtung. »Es hat leider nur den Nachteil, dass die Heiratsrate besonders hoch ist und wir durch Schwangerschaft viel Personal verlieren. Aber nun wollen wir doch der Baroness von Weinberg unsere Aufwartung machen. Lass dich von dem Adelstitel nicht beeindrucken! So etwas kauft man sich heute.«
Sie gingen zur Rezeption. Der Empfangschef wandte sich ihnen, ängstlich beobachtet vom Geschäftsführer, sofort zu.
»Was kann ich für Sie tun, Herr Aschinger?«
»Melden Sie der Baroness von Weinberg, dass wir hier sind.«
»Sehr wohl. Selbstverständlich.« Mit einer servilen Verbeugung griff er zum Telephon und stotterte in den Hörer, dass Herr Generaldirektor Aschinger eingetroffen sei. Mit betroffener Miene legte er den Hörer auf und sagte verlegen: »Die Baroness bittet Sie, doch hoch in ihre Suite zu kommen. Sie wäre in ein paar Minuten so weit.«
»Welches Zimmer?«, fragte Sebastian erstaunt, der es auch noch nicht erlebt hatte, dass man einen Aschinger warten ließ.
»Die Präsidentensuite im dritten Stock.«
»Zieh nicht so ein Gesicht, Johnny!«,