Der große Aschinger. Heinz-Joachim Simon

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Der große Aschinger - Heinz-Joachim Simon


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      »In zwei Tagen.«

      »Dann werden Sie wohl mit Ihrer Freundin tüchtig feiern?«

      »Ich habe keine Freundin.«

      »So ein hübscher Junge und hat keine Freundin? Dann sind Sie wohl noch ein unbeschriebenes Blatt?«

      Sebastian bekam einen roten Kopf. Er war froh, dass in diesem Moment die Kapelle aufhörte zu spielen. Sie gingen in die Grotte zurück. Die Baroness griff zum Champagnerglas und leerte es in einem einzigen Zug, streifte dann ihre Schuhe ab und legte die Füße in Aschingers Schoß.

      »Massieren Sie bitte! Sie tun mir so weh.«

      Aschinger war erst verblüfft und tat es dann mit beseeltem Blick. Er sah dabei aus wie ein alter Kater, der gerade eine Maus verschluckt hat. Wann nimmt dieser Abend endlich ein Ende?, dachte Sebastian. Er hasste sich und seine Rolle und Fritz Aschinger, der ihm diese aufbürdete.

      »Ah, das tut gut!«, zwitscherte die Baroness, sich dabei gemütlich räkelnd. »Sie sollten Ihrem Sekretär ruhig mal ein bisschen Freizeit gönnen. Er hat noch nicht einmal eine kleine Freundin«, forderte sie Aschinger auf, der gutmütig grinste.

      »Wenn er sich in alles richtig eingefuchst hat, wird er auch bald mehr Freizeit haben.«

      »Das ist wichtig, man braucht das«, sagte sie ernsthaft, um dann wieder abzuschweifen. »Ah, was würde ich jetzt darum geben, durch die Rue Saint-Honoré zu schlendern, abends ins Moulin Rouge zu gehen und danach im Coupole zu tanzen! Wäre das nicht toll? Lasst uns doch alle nach Paris fahren!«

      »Die Arbeit, die Arbeit …«, murmelte Aschinger, dabei bedauernd den Kopf schüttelnd.

      »Ach, ihr Berliner seid langweilig! Die Arbeit kann auch mal warten, sonst verpasst man das Leben.« Sie rückte dicht an Aschinger heran, legte ihren Kopf an seine Schulter und spielte mit dem Finger an seiner Unterlippe. »Ist dieser Mund denn nur zum Befehlen da? Kann er nicht auch anderes?«

      Sebastian gähnte.

      Aschinger legte den Arm um die Baroness. »Ich sehe, Johnny, du bist müde. Morgen wartet ein anstrengender Tag auf uns. Wenn du willst, kannst du gehen. Der Chauffeur soll dich nach Hause fahren und dann wiederkommen.«

      Sebastian stand erleichtert auf. »Dann wünsche ich noch einen schönen Abend.«

      »Warte«, duzte ihn die Baroness, »so ein schöner Junge darf doch nicht ungeküsst nach Hause gehen!« Sie zog Sebastian an sich und gab ihm einen Kuss auf die Nasenspitze. »Nun kannst du gehen!«, sagte sie und lachte ausgelassen.

      Fritz Aschinger stimmte ein. Wie ein begossener Pudel zog Sebastian ab. Als er vor dem Wintergarten stand, schüttelte er sich. Er war wie ein Lakai, ein Nichts behandelt worden, und Aschinger hatte mitgemacht. So sind die Reichen, dachte er verbittert. Frivol, gedankenlos und ohne Mitgefühl. Aber war er nicht ein Nichts? Hatte sie nicht recht, ihn wie ein Möbelstück zu behandeln? Er ging zu dem schwarzen Automobil, in dem der Chauffeur wartete.

      »Kommt der Chef noch nicht?«, fragte Toni, der, wie Sebastian wusste, schon seit Jahren Fritz Aschinger chauffierte.

      »Nein, Sie sollen mich nach Hause bringen und dann zum Wintergarten zurückfahren und auf ihn warten.«

      »Donnerwetter! Ich habe noch nie erlebt, dass der Chef an solchen Lustbarkeiten Gefallen hat. Na ja, wird wohl eher die Baroness sein, die den Grund dafür liefert. Eine tolle Frau. Es ist ganz gut, dass der Chef sich mal amüsiert. Wie war denn das Programm?«

      »Interessant, wenn man so etwas mag.«

      »Und Sie mögen so etwas nicht, Johnny?«

      »Für mich war das ein Arbeitsabend.«

      »Verstehe.«

      Toni ließ ihn an der Bleibtreustraße aussteigen. Als er die Treppe zu seinem Dachzimmer hochstieg und an der Tür des Onkels vorbeiging, hörte er aus dem Wohnzimmer das Klavier. Er klopfte, und bald kamen Schritte heran, und die Tür wurde aufgerissen.

      »Ach, du bist es, Sebastian! Wo kommst du denn so spät noch her?

      Ich habe dich ja seit Tagen nicht mehr gesehen.«

      »Es ist so viel zu tun.« Er trat ein und berichtete seinem Onkel, wie er sich bei Aschinger eingelebt hatte und wo er zukünftig wohnen würde.

      »Du wirst in dem Aschinger-Palais wohnen? Donnerwetter! Und mit deinen 21 Jahren bekommst du das Gehalt eines Direktors? Ich muss sagen, das nenne ich eine Blitzkarriere! Ich habe noch nie gehört, dass ein junger Mann so viel Geld verdient.«

      »Dafür muss ich auch ganz schön kuschen«, klagte Sebastian. »Jetzt muss ich ihm Tag und Nacht zur Verfügung stehen.« Er erzählte, wo er gerade gewesen war und wie herablassend ihn die Baroness und Aschinger behandelt hatten.

      »Aber dafür darfst du in einer Welt leben, die uns Sterblichen verschlossen bleibt.«

      »Ich bin nur der Zuschauer ihres Lebens und darf ihnen applaudieren, und sie ziehen mich hinein, wenn es ihnen gerade in den Sinn kommt.«

      »Verstehe. Sie leben in einer Welt, in der es für sie selbstverständlich ist, reich zu sein, und in der sich alle ihre Wünsche erfüllen.«

      »Ja, sie sind wie die Götter der Griechen, launisch, skrupellos und kindisch. Und sie spielen mit uns wie die Kinder mit Bausteinen.«

      »Liest du neuerdings Nietzsche?«, fragte der Onkel lachend und spielte ein paar Takte aus Tristan und Isolde.

      »Nee, dazu brauche ich den ollen Wanderer im Engadin nicht.«

      »Du wirst also das Zimmer hier aufgeben?«

      »Nein, ich würde es gern behalten. Die paar Reichsmark für das Zimmer kann ich mir leisten.«

      »Ach ja, ich vergaß, dass du jetzt zu den Großverdienern gehörst.«

      »Meine Zimmer bei Fritz Aschinger sind wie die in einem Schloss. So unwirklich. Wer weiß, wie lange es dauert, und er ist meiner über. Hier hätte ich ein Refugium, wo ich mich auch mal zurückziehen kann. Und wenn er mich rausschmeißt, habe ich eine Zuflucht.«

      »Du traust deinem Aufstieg noch nicht so ganz, stimmt’s?« Der Onkel hörte auf zu klimpern und sah ihn mit seinem gütigen Uhugesicht verständnisvoll an.

      »Es ist wie in einem Traum, und alles geht in einem unheimlichen Tempo. Ich weiß nicht mehr, wer ich bin. Alle bei Aschinger grüßen mich achtungsvoll. Manche fürchten mich sogar. Ich bin jemand und bin doch nichts. Ich bin nur das Sprachrohr des Fritz Aschinger. Sein Domestik, eine Puppe, die an seinen Strippen tanzt.«

      »Nun übertreib mal nicht! Es ist nur natürlich, dass du Angst hast. Vor ein paar Monaten warst du noch in Schönberg, und deine Zukunft sah düster aus, nun aber bist du der persönliche Sekretär des reichsten Mannes von Berlin. Das kann einen schon durcheinanderbringen.«

      »Es kann morgen alles zu Ende sein, wenn er es will.«

      »Du musst dich Aschinger unentbehrlich machen. Eines Tages wirst du wissen, was du alles kannst, und dich dann von ihm lösen. Du bist ein Rosenstein, und die sind eigentlich nicht dafür geschaffen, Befehle entgegenzunehmen. Du wirst es schaffen, ich bin mir da ganz sicher.«

      Am nächsten Morgen meldete sich Sebastian leicht verschlafen, jedoch pünktlich bei Aschinger. Dieser wirkte verknittert, war aber blendender Laune und sprühte vor Energie.

      »Wir haben heute einen hektischen Tag vor uns, Johnny. Wir müssen das Pensum für die nächsten drei, vier Tage schaffen, denn heute Abend fahren wir nach Paris.«

      Sebastian sah erstaunt den Chef an. Aschinger sah zwar aus, als sei er durch die Heißmangel gedreht worden, aber seine Augen leuchteten glücklich.

      »Sieglinde kommt mit«, fügte Aschinger hinzu. »Wir werden mal ein paar Tage ausspannen.«

      Es war also passiert. Die Hessin hatte ihm die Freuden der Liebe gezeigt. Das Arbeitstier, das nur an seine


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