Der große Aschinger. Heinz-Joachim Simon

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Der große Aschinger - Heinz-Joachim Simon


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Überraschungen!«, schmollte sie.

      Der Zug fuhr an, und Sebastian konnte es nicht fassen. Er würde die Stadt von König Heinrich sehen, der den Franzosen versprach, dass sie jeden Sonntag ein Hühnchen im Topf hätten. Er würde die Stadt Rastignacs kennenlernen. Wie schön und wundersam war doch das Leben!

      Der Zug nahm Fahrt auf und rauschte, an endlosen Mietskasernen vorbei, aus Berlin heraus. Sebastian nahm seine Zeitung und faltete sie auseinander.

      Aschinger merkte auf. »An Hitler führt wohl kein Weg mehr vorbei«, brummte er, als er die Schlagzeile sah.

      »Mein Vater hält nicht viel von diesem Schreihals«, gab Sieglinde von Weinberg kund und schaute um sich, als habe sie ein allgemeingültiges Urteil abgegeben, das alle zu teilen hatten.

      »Na ja, immerhin würde er uns die Kommunisten vom Hals schaffen«, erwiderte Fritz Aschinger nachdenklich, holte ein Zigarrenetui hervor und steckte sich eine Havanna an. »Aber er ist natürlich ein Prolet«, dozierte er weiter, dabei das Streichholz auswedelnd, »ein Mensch aus der Gosse.«

      »Mein Vater sagt, dass er uns alle ins Unheil stürzen würde«, verstärkte die Baroness ihr Urteil.

      »Ach, die Reichswehr wird uns wohl vor dem größten Unglück bewahren. Da mache ich mir keine Sorgen.«

      »Mich widern die Kerle an. Alle um diesen Hitler sehen aus wie Gangster. Die gleichen brutalen Gesichter wie in einem amerikanischen Gangsterfilm. Wenn ich nur an diesen Röhm denke oder an den Giftzwerg Goebbels …« Sie schüttelte sich, was sie Sebastian nun fast sympathisch machte. »Es sind keine Herren, es ist ein Pack aus den Hinterhöfen«, sagte sie bestimmt.

      »Ach Sieglindchen, natürlich sind sie etwas vulgär, in der Politik ist für Gentlemen nun mal kein Platz. Aber Hitler will den Versailler Vertrag aufkündigen, der uns Deutschen noch bis in die achtziger Jahre dieses Jahrhunderts Reparationen auferlegt, und er will die Arbeitslosigkeit beseitigen. Manches, was er vorhat, ist gar nicht so schlecht.«

      »Dafür ist anderes sehr schlecht«, trotzte Sieglinde von Weinberg.

      »Was ist mit uns Juden? Für ihn sind wir doch nur Bazillen.«

      »Man darf das alles nicht so ernst nehmen, meine Liebe«, versuchte Aschinger sie zu beruhigen. »Wenn er erst einmal in der Verantwortung ist, wird sich das schnell geben. Die Anforderungen und die Würde des Amtes werden ihn recht bald zähmen. Das Gegeifer über die Juden ist doch nur Propaganda. Ich jedenfalls komme gut mit den Juden zurecht.« Er blinzelte ihr zu und lachte gönnerhaft.

      Aber die Baroness war mit seinen Beschwichtigungen nicht zufrieden. Verärgert sah sie aus dem Fenster. Aschinger bemerkte nicht einmal, dass seine Flamme mit ihm unzufrieden war und sein gönnerhaftes Benehmen dazu beigetragen hatte. Um beide auf ein anderes Thema zu bringen, zog Sebastian die Entwürfe aus der Aktentasche, die ihm Harry Damrow überlassen hatte.

      »Diese Vorschläge hat mir Harry gezeigt. Ich finde sie verdammt gut, geradezu phänomenal.«

      Fritz Aschinger warf ihm einen verärgerten Blick zu, beugte sich vor und begutachtete die Entwürfe. »Ach das! Die hat er mir auch schon versucht anzudrehen. Ist doch lächerlich, das Ganze! Wo ist Otto? – Er isst bei Aschinger. Das ist doch Stammtischniveau! Er soll stattdessen lieber unser Essen ausloben, die günstigen Frühstückspreise sowie unser Geflügelangebot.«

      »Das tun wir ja auch. Aber es geht doch darum, den Leuten einzuhämmern, dass alle Leute selbstverständlich bei Aschinger essen – egal, ob es nun ein Schornsteinfeger ist, ein Siemens-Arbeiter oder eine Angestellte bei Wertheim.«

      »Ich mag das Zeug nicht!«, sagte er unwillig und schob die Entwürfe zurück.

      »Sie werden morgen und die ganze Woche in allen Tageszeitungen erscheinen. Ich habe die Entwürfe freigegeben und Anzeigen bei allen Berliner Zeitungen für die nächsten Wochen gebucht«, antwortete Sebastian.

      »Du hast was ?«, fragte Aschinger und nahm die Zigarre aus dem Mund.

      »Ich bin doch, wie Sie sagen, für die Werbung zuständig«, erwiderte Sebastian mit bleichem Gesicht. Er wusste, dass nun ein Gewitter auf ihn zukam. Immerhin hatte er Anzeigenraum für Tausende von Reichsmark gebucht. Was, wenn ihn Aschinger nun feuerte? Aber die Idee war doch gut. Man muss für das eintreten, von dem man überzeugt war. »Ich glaube, die Anzeigen werden das Tagesgespräch von Berlin und unsere Frage Wo ist Otto? – Er isst bei Aschinger! wird zum geflügelten Wort werden.«

      »Mach das sofort rückgängig! Verdammt noch mal, bei Dingen, die ich schon einmal abgelehnt habe, hättest du natürlich erst einmal bei mir rückfragen müssen! Na gut, sicher hat dir dieser Damrow nicht gesagt, dass ich es schon einmal abgelehnt habe. Wenn wir zurück sind, wird der Kerl gefeuert.«

      Sebastian empfand dies wie einen Schlag. Er durfte Harry nicht im Stich lassen. Wenn Harry Damrow auch eher ein Arbeitskollege denn ein Freund war, so fühlte er sich ihm doch verbunden und bewunderte ihn für seinen Enthusiasmus und Einfallsreichtum. »Er hat mich durchaus gewarnt«, gestand Sebastian schluckend. »Er hat mich ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Sie die Kampagne nicht wollten. Aber ich finde sie richtig, und Sie haben mir die Verantwortung für die Werbung übertragen. Harry geht davon aus, dass ich Sie doch noch überzeuge. Ihn trifft keine Schuld.«

      »Was? Und du hast trotzdem …« Aschinger starrte ihn mit hochrotem Kopf wütend an. Vielleicht hätte er Sebastians Eigenmächtigkeit nicht so ernst genommen, aber im Beisein der Baroness empfand er es als einen Verstoß gegen seine Autorität.

      »Sie haben doch immer Eigeninitiative verlangt«, wehrte sich Sebastian, obwohl er wusste, dass ihm dieses Argument nicht viel helfen würde.

      »Zeigen Sie mal!«, sagte die Baroness und nahm Sebastian die Entwürfe aus der Hand.

      Sebastian erklärte ihr unter Aschingers bösen Blicken, wie die Anzeigen aussehen würden.

      Die Baroness lachte. »Also, Fritz, ich finde das hervorragend. Das ist doch etwas anderes, als dauernd den Billigheimer zu spielen. Es ist witzig, intelligent und einprägsam. Sei froh, dass Sebastian das erkannt hat! Es ist doch toll, dass du Mitarbeiter hast, die Eigeninitiative beweisen! Du solltest ihm dankbar sein.«

      »Glaubst du wirklich?«, brummte Aschinger und nahm ihr die Entwürfe aus der Hand und starrte diese an, als würde er sie zum ersten Mal sehen. »Nun, vielleicht bin ich tatsächlich zu sehr von meinem Geschmack ausgegangen, und solch ein Zeug ist wirklich richtig für die Massen.«

      »Ganz bestimmt! Du lebst schließlich nicht in der Welt der einfachen Leute.«

      »Aber du!«, gab er feixend zurück.

      »Nein, aber ich weiß, was meine Zofe liest. Es ist entweder furchtbar kitschig oder aber witzig.«

      »Na gut, Johnny, starte das Ding durch! Wenn wir es in den Bierquellen am Umsatz merken, nehme ich alles zurück, und ihr bekommt eine Prämie. Aber zukünftig merk dir, wenn ich einmal etwas beschlossen habe und du solltest anderer Meinung sein, dann frag gefälligst erst! Dann sehen wir, ob mich deine Argumente überzeugen.«

      Sebastian nickte eifrig. Der Sturm war noch einmal an ihm vorbeigegangen, aber es war diesmal knapp gewesen.

      Sie gingen in den Speisewagen. Der Ober schien Aschinger erkannt zu haben und kümmerte sich trotz der verärgerten Blicke der anderen Gäste sofort mit vielen Bücklingen um ihn. Aschinger bestellte Gänsekeule mit Kartoffelpüree und Rotkraut sowie einen kräftigen Rotwein. Die Baroness entschied sich für Fisch in Weißweinsoße. Sebastian wählte eine Bockwurst mit Kartoffelsalat. Ihm war die Aufregung auf den Magen geschlagen.

      »Guten Appetit, Herr Aschinger!«, sagte der Kellner laut.

      Die übrigen Gäste im Speisewagen merkten auf und warfen ihnen daraufhin die ganze Zeit verstohlene Blicke zu.

      »Es schmeckt scheußlich!«, sagte Aschinger nach mehreren Bissen und warf das Besteck verärgert auf den Tisch. »Johnny, notiere einmal,


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