Hannibal Mayer - Der Zug der Elefanten. Fabian Vogt

Читать онлайн книгу.

Hannibal Mayer - Der Zug der Elefanten - Fabian Vogt


Скачать книгу
einige Zeit meine Zweifel vergaß. Ob das klug war? Ich weiß es nicht. Zumindest wäre die Tour anders verlaufen, wenn ich an dieser Stelle auf einer professionelleren Vorbereitung bestanden hätte. Doch wer kann sich schon auf Formalitäten konzentrieren, wenn neben der Straße plötzlich eine Straußenfamilie rennt. Zwei Meter groß sprang sie mit federnden Schritten an uns vorbei.

      Kurz darauf erreichten wir den Krügerpark. Und sahen bald auch die berühmten Schilder an der Straße: »Pas op! Olifante is gevaarlik.«

      Afrika.

      Hannibal ließ den Motor aufheulen und wirbelte eine Staubwolke hinter aus auf, als wir das erste Tor passiert hatten. Irgendwo vor uns wartete eine Elefantenherde auf uns.

      Und tatsächlich:Vier Stunden und unzählige holprige Feldwege später stand sie plötzlich vor uns. Shingwezi. Dreieinhalb Meter hoch und wahrscheinlich fünf Tonnen schwer. Sie kam aus einem Wäldchen getrottet und sah uns an. Ganz ruhig.Vorsichtig. Bongani näherte sich der Matriarchin lächelnd und legte ihr zur Begrüßung die Hand ins Maul. Dabei gab er Brummtöne von sich, wie ich sie noch nie gehört hatte.

      Hannibal flüsterte mir zu: »Das ist Infraschall. Elefanten verständigen sich mit Lauten zwischen fünf und achtundzwanzig Hertz. Das meiste davon hören wir gar nicht, weil unsere Ohren Geräusche erst ab zwanzig Hertz registrieren. Die grauen Riesen kommunizieren damit aber nachweislich problemlos über fünfzehn Kilometer miteinander. Das brauchen sie auch, um die Herde zusammenzuhalten.«

      »Welche Herde?«

      Hannibal sagte etwas auf Afrikaans zu Bongani, der nun einen neuen Brummton von sich gab - woraufhin Shingwezi den Rüssel hob und laut trompetete.

      Wahrscheinlich war dies der Moment, in dem auch ich mich für alle Zeiten in die Elefanten verliebte, diese grauen Riesen mit der zarten Seele. Weil dieser Anblick, dieser wunderbare Auftritt, so grandios war. Womöglich das Schönste, das ich je gesehen hatte: Überall durchstießen graue Leiber die dichte Vegetation, brachen aus dem hellen Grün und liefen tänzelnd auf uns zu. Dutzende. Nein, noch viel mehr. Der Boden vibrierte, und es war, als stürzte von allen Seiten die Welt über uns herein. Eine Minute lang bebte die Schöpfung, dann hatten uns die Elefanten umringt. Gigantische Körper, große, verwegene Köpfe mit kleinen, klugen Augen - und schier endlos lange Rüssel, die uns mit einem lauten, aufgeregten Tröten begrüßten.

      Das Unfassbare war: Ich hatte keine Angst. Das hier, das war das Leben. Das war Sein. Pur, unverfälscht, kräftig und satt. So nah war ich ihm wohl noch nie gewesen. Und ich war nicht überrascht, als plötzlich Tränen in meine Augen schossen.

      »Verstehst du mich jetzt?«, fragte Hannibal. Ich nickte nur.

      12. August 2005

      Einen Tag später brachen wir auf. Drei Männer und hundert Elefanten. Hannibal hatte den Wildhütern die staatlichen Papiere vorgelegt - und viel Zustimmung geerntet. Schließlich war die Elefantenpopulation im Krügerpark in den letzten Jahren derart angewachsen, dass schon mehrfach größere Herden in andere Parks hatten umgesiedelt werden müssen. Ein andauerndes Problem.

      Das Naturschutzgebiet des Krügerparks ist zwar so groß wie Belgien, trotzdem reicht sein Nahrungsangebot nicht aus, um derart viele Dickhäuter zu versorgen. Dadurch bekommen die staatlichen Behörden nicht nur tierpflegerische Probleme, sondern immer häufiger auch Krach mit erbosten Siedlern, deren Felder von Elefanten geplündert werden - und die sich nicht scheuen, ihre Pflanzungen notfalls mit der Waffe gegen Eindringlinge zu verteidigen. Trotz aller Jagdverbote.

      Mehrfach war das Wild-Management schon gezwungen gewesen, das biologische Gleichgewicht im Park selbst durch Culling, das kontrollierte Abschießen von Elefanten, wiederherzustellen. Ein in der Presse wenig populärer Akt, der weltweit bei Tierschützern für Schreie der Entrüstung sorgt. Insofern wunderte es mich auch nicht, dass die Behörden dem Ansinnen Hannibals so schnell nachgegeben hatten.

      Das alles ging mir durch den Kopf, während ich in fast vier Metern Höhe saß und kräftig hin und her geschaukelt wurde. Der weiche, wiegende Gang der Elefanten ist tatsächlich ungewöhnlich, aber schon nach kurzer Zeit gewöhnte ich mich daran und saß fortan wie auf einem lebendigen Thron. Oder wie auf einem borstigen Schiff.

      Um mich herum wogte ein Meer aus Elefan tenrücken, zwischen dessen grauen Wogen und der Gischt aus aufgewirbeltem Staub bisweilen schemenhaft der grüne Boden aufblitzte. Ich schwebte dort oben, meine Blicke verloren sich in der endlosen Weite, und es war, als würden dadurch auch die Grenzen in meinem Denken eingerissen. Mein Geist wurde frei. Und schon damals registrierte ich erstaunt, dass der eigenartige Bewegungsablauf der Elefanten beim Gehen einen Rhythmus in sich birgt, der die Seele beruhigt. Ich flog beinahe. Ein Hochgefühl, das lange anhielt.

      Am Vormittag hatte ich allerdings erst einmal geübt aufzustei gen. Wer zum ersten Mal leibhaftig vor einem Elefanten steht, kann sich nämlich überhaupt nicht vorstellen, dort jemals ohne eine Leiter hinaufzukommen. Didimale hatte mich schräg von oben herab aus den Augenwinkeln angesehen. Den Anfänger. Doch weil Bongani neben mir gestanden und leise gebrummt hatte, hatte ich zumindest gewagt, die Hand auszustrecken und die graue Dame zu berühren. Erstmals. Seltsames Gefühl. Fremd und anziehend zugleich.Was für ein beeindruckendes Lebewesen.

      »Versuch, raufzukommen«, hatte Bongani mich ermutigt, doch ich war nicht einmal sicher gewesen, wo ich anfassen durfte. Die raue Haut? Das Ohr? Die Schulter? Vier Meter Höhe können unbezwingbar erscheinen. Anfangs hatte ich versucht, am Elefantenbein wie an einem Baum hochzuklettern.Vergeblich. Im Laufe der Zeit war dann der Rest der Herde immer näher gekommen, als wollte sie meine lächerlichen Versuche anschauen - und sich darüber amüsieren. Als ich zum vierten Mal hinuntergefallen und auf dem Rücken gelandet war, hatte auch Bongani nur noch laut gelacht.

      »Entschuldige. Das war nicht fair, Fabian. Also: Du musst Didimale ein Zeichen geben.Am besten immer mit dem gleichen Ruf. Was weiß ich: Hojo! Und den Ruf setzt du ein, wenn du auf ihr Bein geklettert bist. Los.«

      Bitte!

      Ich hatte mich mit dem linken Bein auf das Knie der Elefantin gestellt und mich unsicher an ihrem Oberschenkelknochen festgehalten. Bongani hatte etwas gerufen und mit seinem Ankus in die Kniekehle des Tieres gestoßen. Daraufhin hatte Didimale ihr Bein angehoben und ich war wie mit einem Fahrstuhl nach oben gehoben worden. Und weil ich dadurch nun wie ein Freeclimber in der Steilwand in drei Metern Höhe hinter ihrem Ohr gehangen hatte, hatte sie mich mit dem Rüssel das letzte Stück hinaufgeschoben. Am Po. Meine Nase war dadurch in der ledernen Haut versunken und hatte sich intensiv mit dem unverwechselbaren erdig-moschusartigen Geruch der Elefanten gefüllt. Für einen Moment hatte mein Herz gestockt, als ich nach unten gesehen hatte, dann war der Applaus der anderen zu mir hochgedrungen und ich hatte angefangen, mich zu entspannen: Ich sitze auf einem Elefanten. Das darf doch nicht wahr sein. Irre. Ein Elefant. Und hier oben soll ich jetzt zehntausend Kilometer hinter mich bringen. Das wird entweder das Abenteuer meines Lebens oder eine Katastrophe. Na, dann mal los.

      Und es ging los.

      Schon nach wenigen Stunden war mir, als wären Didimale und ich eins geworden. Mein Becken nahm die Schwingungen des Elefantenkörpers auf, als liefe eine Welle vom Boden durch uns beide hindurch und schwänge sich auf ins Universum. So fühlte ich mich tatsächlich wie ein Bindeglied zwischen Himmel und Erde.

      Das Leben, das ich noch vor ein paar Tagen geführt hatte, lag sehr rasch unendlich weit hinter mir und ich sog den herben Geruch der Landschaft gierig in mich auf.Welch eine Reise lag vor uns. Hin und wieder ging mein Blick aber auch neugierig nach hinten, denn fern am Horizont zeigte eine kleinere Staubwolke die Gruppe der Bullen an, die hinter uns herzog.

      Wenn männliche Elefanten mit etwa zwölf Jahren geschlechtsreif werden, dürfen sie nämlich nicht mehr länger bei der Herde bleiben, sondern ziehen als Einzelgänger oder in kleineren Gruppen mit anderen Bullen umher. Den Elefantenkühen nähern sie sich dann nur noch, wenn diese fruchtbar sind, was jedoch nur viermal im Jahr für drei bis sechs Tage der Fall ist. Ich weiß nicht, wie Hannibal es geschafft hat, aber irgendwie folgten die Bullen der großen Herde die ganze Zeit und verloren uns in all den Monaten und trotz vieler heikler


Скачать книгу