Hannibal Mayer - Der Zug der Elefanten. Fabian Vogt

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Hannibal Mayer - Der Zug der Elefanten - Fabian Vogt


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Antwort auf Ihre Frage gar nicht so schwer: Ostdeutschland!«

      »Ostdeutschland? Verstehe ich nicht.«

      »Sehen Sie, ich komme aus dem Osten und leide sehr darunter, dass dort inzwischen ganze Landstriche fast entvölkert sind, weil die Menschen abwandern. Und ich habe das Gefühl - aber bitte, das ist meine Interpretation -, dass Shingwezi mich ermutigen will, auf den riesigen brachliegenden Flächen in Ostdeutschland eine Art Elefantenlodge aufzumachen. Ich muss selbstkritisch sagen: Vielleicht meldet sich da auch einfach der Unternehmer in mir. Das Erstaunliche ist nur: Ich habe letzte Woche eher zufällig mit dem zuständigen Kreisvorsteher vom Niederen Fläming in Sachsen-Anhalt gesprochen - und der war hin und weg von der Idee. Schließlich wäre das endlich einmal ›Aufbau Ost‹ konkret. Die Region bekäme eine echte Touristenattraktion, es gäbe viele neue Arbeitsplätze und die Infrastruktur würde gestärkt. Jedenfalls hat dieser Kreisvorsteher die Idee gleich in den Kreisbeirat eingebracht, und seitdem ruft mich fast jeden Tag ein Bauer an, der mir noch ein paar Hektar Land für das Projekt ›Elefantenpark‹ anbieten möchte.«

      Ich hob die Hand. »Jetzt mal langsam. Bitte noch mal von vorne. Ich habe das noch nicht richtig verstanden. Sie meinen ernsthaft, ein Tier ermutigt Sie im Traum, ein Elefantengehege in Ostdeutschland aufzumachen? Wer ist diese Shingwezi überhaupt?«

      Da erzählte er mir die ganze Geschichte: von seiner Zeit in Südafrika, der bewegenden Freundschaft mit Bongani, von ihrer Suche nach den weißen Löwen, von der Jagd der Raubkatzen auf Epila, das Elefantenjunge, und der wagemutigen Rettungsaktion des Schwarzen. Ich lauschte seinen Worten gebannt und unterbrach ihn kein einziges Mal.Als er fertig war, fragte ich: »Und Sie glauben ernsthaft, dass diese Elefantenmutter jetzt mit Ihnen spricht? Dass sie Kontakt aufgenommen hat?«

      Da sah er mich ganz erstaunt an: »Natürlich. Ich bin doch ihr Kind. Und Familienmitglieder müssen zusammenhalten.«

      Ich hob die Hand, um noch einmal Getränke zu bestellen. Aber auch, weil meine Gedanken sich erst wieder ordnen mussten. Dann sagte ich: »Einiges ist mir noch unklar. Können Elefanten überhaupt in Deutschland leben? Also: im freien Gelände.«

      Hannibal riss sich wieder ein Haar aus. Dann sagte er ruhig: »Selbstverständlich. Elefanten leben auf Meereshöhe, aber auch in Hochmooren auf viertausend Metern Höhe. Die kommen fast überall zurecht.Wussten Sie nicht, dass noch vor dreitausendsiebenhundert Jahren auf der Wrangel-Insel Mammuts lebten? Das war erdzeitlich gerade erst gestern. Ich sage Ihnen eines: Sachsen-Anhalt hat ideale Bedingungen für eine Neuansiedelung der Elefanten in Mitteleuropa. Hier im Opel-Zoo ist man unglaublich stolz darauf, dass 1965 und 1968 zwei Kälber geboren wurden. Elefantenzucht in Europa. Das war damals eine Sensation. Doch im Niederen Fläming könnten die Tiere sich unter ganz natürlichen Bedingungen fortpflanzen. Warum soll Ostdeutschland nicht wieder eine natürliche Elefantenregion werden?«

      Ich nickte der Kellnerin kurz zu, die zwei weitere Gläser Wein brachte. Dann nahm ich hastig einen Schluck. »Also: Sie wollen diese Shingwezi mit einem Container hierherbringen. Und dazu einen Bullen. Oder wie muss ich mir das vorstellen?«

      Hannibal Mayer winkte ab. »Habe ich das nicht erwähnt? Shingwezi ist die Matriarchin einer großen Herde von etwa hundert Tieren. Elefanten leben in Verbänden, die von einem weisen und erfahrenen Muttertier angeführt werden.Wie gesagt: Bisher ist das alles nur eine verrückte Idee. Ausgelöst durch diesen wiederkehrenden Traum.Aber es stimmt:Wenn, dann müsste ich alle hierherbringen.«

      »Wie bitte? Hundert Elefanten? Das wird ja wohl ziemlich teuer.«

      Jetzt lachte er. »Richtig. Und deshalb bleibt nur die Option zu Land. Die Strecke dürfte in einem Jahr zu schaffen sein.«

      Jetzt verschlug es mir fast die Sprache. »Sie überlegen ernsthaft, mit hundert Elefanten von Südafrika nach Sachsen-Anhalt zu ziehen? Das ist doch absurd.«

      Seine Stimme klang ein wenig gereizt, als er erwiderte. »Wieso? Mir fallen viel absurdere Sachen ein: Es gibt Menschen, die umrunden die Welt mit einem Fahrrad, einem Kettcar, einem Einhandsegler, einem Tretboot, einem Motorrad, einem Pony oder einem Ballon. Das finde ich absurd. Oder denken Sie an all die Bungee-Jumper, die Headbanger oder die Teilnehmer von Big Brother. Die wirken auf mich so, als hätten sie nicht mehr alle. Ich dagegen möchte etwas wahrhaft Sinnvolles tun. Und ich sage Ihnen eines: Ein derartiger Zug um die halbe Welt wäre für Sachsen-Anhalt eine unglaubliche Marketing-Kampagne. Unser Bundesland wäre in aller Munde.Außerdem könnte das Elefantengehege gar keinen besseren Start erleben. Sie würden doch auch gern eine Herde sehen wollen, die gerade mehr als zehntausend Kilometer hinter sich gebracht hat, um zu Ihnen zu kommen. Oder?«

      In diesem Moment war ich mir nicht sicher, ob dieser Mann vor mir ein großer Visionär oder einfach ein Wahnsinniger war. Konnte es wirklich gelingen, mit hundert Elefanten eine solche Strecke zurückzulegen? Andererseits: Alle großen Veränderungen und Unternehmungen galten irgendwann einmal als unmöglich. Es braucht immer eine Person, die es wagt, das Unmögliche zu denken und es möglich zu machen. War Hannibal Mayer so jemand? Zumindest leuchteten seine Augen vor Begeisterung - und das gefällt mir grundsätzlich an Menschen.

      Vorsichtig fragte ich: »Was werden Sie jetzt machen?«

      Er hob sein Glas an die Lippen, trank es aus und breitete ein wenig zu theatralisch die Arme aus - so schwungvoll, dass die letzten Tropfen aus dem Glas bis zum Nachbartisch flogen. »Keine Ahnung.Wirklich nicht.Wenn die Träume wieder aufhören, werde ich das Ganze wahrscheinlich einfach auf sich beruhen lassen und irgendwann vergessen. Doch wenn sie wiederkommen, könnte ich zum Beispiel nach Südafrika fliegen und Bongani suchen. Falls er noch lebt, müsste er ja den gleichen Traum träumen. Schließlich hat Shingwezi uns beide adoptiert.«

      Er beugte sich zu mir vor: »Wie gesagt, manchmal überlege ich sogar, ob diese Träume nicht irgendwie … von Gott kommen. Nebenbei: Wissen Sie, dass Martin Luther das Wort Elefant im Deutschen eingeführt hat? Ja, das stimmt wirklich. Im Althochdeutschen sagte man noch Helfant, von Helfen, ein hilfreiches Tier - und Helfenbein war der Knochen des hilfreichen Tieres. Luther hat dann das H weggelassen. Ich erzähle das auch, weil ich mich frage, ob es nicht an der Zeit ist, dass wir Menschen unsererseits anfangen, den Tieren zu helfen. Übrigens: Vielen Dank für die Einladung. Es war nett, Sie kennenzulernen. Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder.«

      Sein Gesichtsausdruck war so freundlich und herzlich, dass ich - als wäre das selbstverständlich - erwiderte: »Hey, wenn das mit Ihrer Elefanten-Karawane was wird, rufen Sie mich doch kurz an.Vielleicht brauchen Sie ja jemanden für die Pressearbeit.«

      Er nickte gedankenverloren und wir tauschten unsere Visitenkarten aus. Dann stand er auf und ging.

      Die Begegnung mit Hannibal Mayer hat mich in den darauffolgenden Wochen immer wieder beschäftigt.Vor allem, weil ich, als ich bezahlt und das Restaurant »Sambesi« verlassen hatte, auf dem Gartenzaun vor dem Biergarten einen rotbeinigen Reiher sitzen sah.

      Ich fragte an der Kasse nach, doch die junge, leicht schielende Frau schüttelte nur den Kopf und sagte in breitem Hessisch: »Rohtbeinische Reiäh gibt es im Obbel-Zoo ned.«

      Viele Monate hörte ich nichts von meinem ungewöhnlichen Gesprächspartner - und dann klingelte eines Nachts das Telefon.

      8. August 2005

      Afrika. Der zweitgrößte Kontinent der Erde - nach Asien. Dreißig Millionen Quadratkilometer Landfläche mit fast einer Milliarde Einwohnern. Und mit fünfhunderttausend Elefanten. Eine Welt für sich. Ein Schmelztiegel unterschiedlichster Kulturen, Religionen und Ideale.Wüste, Regenwald, Savanne und Vulkane. Und ich sitze in elftausend Metern Höhe im Nachtflug von Frankfurt nach Johannesburg. 22.40 Uhr von Rhein-Main. Fensterplatz. 21K.Vor mir Hühnchen mit Reis. Sieht aber genauso aus wie das Steak meines Sitznachbarn.

      Der Himmel ist wolkenlos. Eine unglaubliche Aussicht. Hin und wieder tauchen zwischen den dunklen Flächen Lichter auf. Manchmal nur ein Punkt,


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