Hannibal Mayer - Der Zug der Elefanten. Fabian Vogt

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Hannibal Mayer - Der Zug der Elefanten - Fabian Vogt


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oder einen einzelnen Menschen steht, der da sein Leben möglichst sinnvoll gestalten will. Da unten, da tobt die nackte Existenz, da spielen sich in diesem Moment Schicksale, vielleicht sogar Dramen, ab. Mehr, als ein Schriftsteller je beschreiben oder erdenken könnte.

      Unter mir wird gerade geliebt und gehasst, gibt es Hunger und Völlerei, Angst und Hoffnung,Verzweiflung und tiefen Frieden. In dieser Nacht schlafen überall in diesen Hütten und Palästen Frauen mit ihren Männern. Einige werden dabei leidenschaftliche Erfüllung erfahren, andere nur ihre Pflicht tun - und einige den HIV-Erreger übertragen bekommen, diese heimtückischste Geißel des schwarzen Erdteils. Die Lebenserwartung in Afrika liegt bei siebenundvierzig Jahren. Ohne Aids wären es zweiundsechzig.

      Vom nördlichsten Punkt des Kontinents, dem Cape Blanc in Tunesien, bis zum Cape Agulhas in Südafrika sind es knapp achttausend Kilometer - eine Strecke, die ich mit der Boing 747 in knapp zehn Stunden hinter mich bringe. In dieser Zeit schaue ich sprachlos hinunter und frage mich, wie jemand ernsthaft eine Hollywood-Komödie im Bordprogramm anschauen kann, wenn unter uns all diese viel aufregenderen Geschichten zu erahnen sind.

      Gegen 6.00 Uhr werde ich dann doch müde. Und fange an zu grübeln.Warum sitze ich hier eigentlich? Ich liebe Afrika. Ja.Aber ist Hannibals Vorhaben nicht einfach ein Irrsinn? Worauf lasse ich mich da ein? Die Strecke, die ich gerade in einer Nacht hinter mich bringe, soll ich ernsthaft auf dem Rücken eines Elefanten zurücklegen - über Monate?

      Zwei Wochen zuvor hatte mich der Abenteurer nachts aus dem Bett geklingelt. Gegen 2.00 Uhr morgens.

      24. Juli 2005

      »Hallo, hier ist Hannibal.Wie geht es dir?«

      Ich war ganz sicher, dass wir uns im Opel-Zoo nicht geduzt hat-ten, aber er sprach mich so selbstverständlich mit ›Du‹ an, dass ich einfach darauf einging.

      »Hannibal?«

      »Ja, Fabian, der mit den Elefanten. Du wirst dich doch an mich erinnern, oder?«

      Ich stotterte ein wenig: »Klar. Der Reiher mit den roten Füßen. Die Träume. Die weißen Löwen.«

      »Genau. Jetzt ist es so weit. Du kannst kommen.«

      »Kommen? Wohin?«

      Das kräftige Lachen aus dem Telefonhörer weckte mich endgültig auf. »Na, nach Südafrika. Ich rufe gerade aus Pretoria an.«

      »Aus Pretoria?«

      »Ja. Die Träume wollten nicht aufhören, da bin ich hierhergeflogen. Und habe tatsächlich Bongani gefunden.War nicht ganz einfach. Aber das erzähle ich dir, wenn du da bist. Jetzt habe ich hier ein halbes Jahr mit den Behörden rumgezackert - und heute konnte ich die offizielle Genehmigung abholen. Stell dir vor: Ich darf hundert Elefanten aus dem Krügerpark aussiedeln und nach Deutschland bringen. Irre, oder?«

      Ich war noch völlig verschlafen. »Ja, klingt super. Und warum rufst du mich jetzt genau an?«

      Man mag über Hannibal Mayer denken, was man will, aber seine sonore, fröhliche Stimme war zu allen Zeiten unglaublich motivierend. »Fabian, du wolltest doch Pressearbeit für unsere Afrika-Tour machen. Hier wirst du gebraucht. Das hier ist ein Job, der nur auf dich gewartet hat. Und ich weiß ja, dass du in Frankfurt zurzeit ohnehin nicht besonders glücklich bist.«

      Ich schluckte nur, sagte aber nichts. Er konnte nicht wissen, wie es um mich stand - dass ich aus meiner Krise, die sich immer mehr als handfeste Midlife-Crisis entpuppte, nicht herausgekommen war. Dass sich eine kurze neue Beziehung zu einem echten Desaster entwickelte, weil die Frau mich nur benutzte, um ihrem zunehmend desinteressierten Ehemann eins auszuwischen. Und dass ich im Augenblick von kleinen Aufträgen und unbefriedi genden Schreibjobs lebte.

      »Sag mir einfach, wann du kommst. Ich hole dich dann am Flughafen in Johannesburg ab. Am besten nimmst du einen Direktflug von Frankfurt. Dieses nächtliche Rumgehänge in Dubai ist ziemlich nervig. Pass auf, ich gebe dir mal die Nummer, unter der ich hier zu erreichen bin.«

      Ich war so perplex, dass ich wortlos mitschrieb.

      »Du wirst sicher ein paar Tage brauchen, bis du alles organisiert hast. Ich finde es übrigens echt klasse, dass du dabei bist. Tschüss. Ach, bring doch bitte ein paar Frankfurter Würstchen mit. So etwas kriegt man hier so schlecht. Bye.«

      Er legte auf. Und ich stand ratlos im Schlafanzug im Flur. Das war doch nicht möglich: Hannibal hatte nicht einen Moment damit gerechnet, dass ich Nein sagen würde. Für ihn war klar, dass mir nichts Besseres passieren konnte, als mit ihm quer durch Afrika zu reiten. Auf dem Rücken eines Elefanten. Ich ahnte damals noch nicht, wie recht er hatte.

      In dieser Nacht entschied ich, dass ich meine Zusage davon abhängig machen würde, ob es mir am nächsten Tag gelang, einen Chefredakteur zu finden, in dessen Auftrag ich die Reise antreten konnte. Manchmal entwickle ich solche abergläubischen Rituale: Falls die Ampel grün ist, wenn ich hinkomme, wird es ein guter Tag. Wenn das Telefon in den nächsten zehn Minuten klingelt, dann kriege ich diesen oder jenen Job.Wenn die Frau am Nachbartisch mich vor dem Ende meines Biers anlächelt, spreche ich sie an. Und diesmal sollte eben ein Kontakt zu einem Magazin entscheiden.

      Ich weiß, dass das albern ist und dass man sich als Erwachsener vor wichtigen Entscheidungen nicht derart kindisch drücken sollte. Aber vielleicht sind solche kleinen Verabredungen ja auch eine Möglichkeit für irgendwelche höheren Mächte, uns ein Zeichen zu geben.

      25. Juli 2005

      Als ich am nächsten Tag Peter-Matthias Gaede, den Chefre dakteur von GEO, anrief, hatte ich ihn sofort selbst an der Strippe, weil seine Sekretärin krank war. Das fing also schon richtig gut an. Ich erzählte PeM (wie er bei Journalisten heißt) kurz von Hannibal Mayer, von dessen ungewöhnlichen Plänen und von der Idee, eine Reihe von flankierenden Reportagen zu schreiben, die die Leserinnen und Leser quasi auf die Tour mitnehmen würden. Ich versuchte dabei, das Projekt möglichst nüchtern und sachlich zu schildern.

      Seine Reaktion war fantastisch, ja, die Stimme überschlug sich fast an meinem Ohr. »Stark, lieber Herr Vogt, ganz starke Idee. Afrika aus der Elefantenperspektive.Wir machen da eine tolle Serie draus. Ein bisschen was über die Länder und ganz viel Abenteuer. Schreiben Sie eine Safari-Story mit viel Human Touch. Ich brauche das Menschliche.Wie erleben die afrikanischen Völker die Elefantenkarawane? Wie fühlt sich der Hintern nach zehn Stunden Elefantenritt an? Und was bewegt diesen durchgeknallten Typen Hannibal? Sind Sie noch dran, mein Lieber? Gut. Also, die Sache läuft. Aber ich will das in Deutschland exklusiv. Sie schreiben nur für uns.

      In Ordnung? Klären Sie das mit diesem Kerl ab. Und sagen Sie ihm, dass wir die Geschichte dafür ganz groß rausbringen.«

      Ich gab ein halbwegs zustimmendes Geräusch von mir, weil ich überhaupt keine Ahnung hatte, wen Hannibal noch zu seinem grandiosen Abenteuer eingeladen hatte. Aber einen Tag später lag ein Vertrag in meinem Briefkasten - mit einem Flugschein nach Südafrika. Einem One-Way-Ticket. Damals konnte ich noch nicht ahnen, dass GEO mir als Erstes in den Rücken fallen würde. Aber dazu später.

      9. August 2005

      Ich landete am frühen Morgen auf dem Johannesburg International Airport. Müde und zugleich aufgedreht. Ich wollte die vielen Eindrücke des Landes in mich einsaugen, aber über der Stadt lag ein dünner Wolkenschleier, der schon aus der Luft die Industrieregion Gauteng wie ein Zauberland hatte aussehen lassen. Und natürlich hatte ich in all der Aufregung beim Packen nicht realisiert, dass in Südafrika im August tiefster Winter herrscht. Ich war viel zu dünn angezogen und fror schon am Gepäckband.

      Dennoch verspürte ich, während ich auf meine Koffer wartete, wieder einmal den Kitzel, der sich immer meldet, wenn ich ein unbekanntes Land betrete. Die Freude über das Fremde. Die Lust auf neue Erfahrungen: Die Werbung an den Wänden war anders als in Deutschland. Die Reisenden trugen bunte Kleidung mit wilden, afrikanischen Mustern. Die Musik aus den Lautsprechern erzählte andere Geschichten als in Europa. Und an den Wänden prangten großformatige Bilder der »Big


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