Hannibal Mayer - Der Zug der Elefanten. Fabian Vogt

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Hannibal Mayer - Der Zug der Elefanten - Fabian Vogt


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dem riesigen Schädel geradezu fest. Mit solchen Giganten würde ich mich auf den Weg machen. Unfassbar.

      Dann kamen der rote Samsonite und mein Rucksack.

      Hinter den Zollschaltern stand Hannibal. Er winkte mir mit einem breiten Grinsen zu und lief mir entgegen. »Fabian.« An seiner Seite ein fast zwei Meter großer Schwarzer, der mich sofort lachend in den Arm nahm.

      »Fabian.Willkommen in Südafrika.Wie schön, Hannibals Freund kennenzulernen.«4

      Freund?

      »Bongani?«

      »Ja. Ich bin Bongani.Tshwane hat mir schon viel von dir erzählt. Ich freue mich, dass du mit dabei bist.«

      Hannibal nahm mir die Koffer ab. »Lass uns erst einmal ins Hotel fahren. Da kannst du dich ein bisschen frisch machen - und dann berichten wir dir bei einem guten Frühstück, was wir schon alles erlebt haben.«

      Ich lief neben den beiden her und überlegte, welche Fragen ich stellen musste. Es gab so unendlich viel zu klären. Ich wusste zum Beispiel immer noch nicht genau, welche Rolle ich bei dieser Tour spielen sollte.Wie groß war das Team für die Öffentlichkeitsar beit? Würde ich mit Satelliten-Telefon arbeiten? Welche PR-Kontakte bestanden schon? Doch ich wurde aus meinen Gedanken gerissen. Denn auf dem Dach des bewachten Parkplatzes, genau über dem Wagen von Hannibal, standen zwei Reiher auf der Wellblech-Überdachung. So, als warteten sie auf uns.

      Zwei Stunden später saßen wir in der mit rotem Samt ausgekleideten Lounge des Diplomat Guesthouse in der Arcadia Street in Pretoria - mit Blick auf eine malerische Straße, die mit Jacaranda-Bäumen gesäumt war. Und dann erzählte mir Bongani erst einmal sein Leben. Entspannt, mitreißend und unfassbar aufwühlend.

      Kurz nachdem Hannibal den Krügerpark verlassen hatte, musste auch die Familie des Schwarzen gehen. Bonganis Vater wurde damals verdächtigt, im Auftrag des African National Congress (ANC) gegen die weiße Apartheidsregierung zu konspirieren. Man konnte ihm zwar nichts nachweisen, deportierte aber die ganze Familie in das Homeland Lebowa, in dem schon damals mehr als eine Million Angehörige der Volksgruppe Pedi lebten.

      Der perfide Plan der Weißen, die schwarze Bevölkerung in abgegrenzte Reservate abzuschieben, sie dadurch nach und nach zu zersplittern und im Staat Südafrika zu Fremden zu erklären, schien aufzugehen. Plötzlich waren die Schwarzen Ausländer in ihrem eigenen Land und wurden juristisch auch so behandelt. Insgesamt 3,5 Millionen Schwarze siedelte die Regierung zwischen 1960 und 1985 um, bis schließlich mehr als zwei Drittel der ursprünglichen Bevölkerung in »Bantustan« wohnten - wie die weißen Südafrikaner die Homelands gehässig nannten. Diese Ghettos sollten die Rassentrennung auch territorial besiegeln, obwohl sie ökonomisch und militärisch vollständig von Südafrika abhängig blieben.

      Bonganis Familie lebte einige Jahre in Lebowakgomo, der Hauptstadt von Lebowa, wo der Vater Arbeit in einer Behörde bekam, die versuchte, die Selbstverwaltung zu gestalten, die dem Homeland am 2. Oktober 1972 angeblich eingeräumt wurde. Bongani selbst musste schon wenig später die Schule verlassen, um seine Familie finanziell zu unterstützen. Er fing an, in einem Krankenhaus zu arbeiten, blieb dort fast siebzehn Jahre - und erlebte hautnah mit, wie das Ende der Apartheid die Lebensentwürfe von Millionen Menschen veränderte. Der hochgeschossene Schwarze war zweiunddreißig Jahre alt, als Nelson Mandela und die anderen Führer des ANC freigelassen wurden, und sechsunddreißig, als am 27.April 1994 Lebowa zusammen mit den neun anderen Homelands wieder mit Südafrika vereinigt wurde.

      Als Bongani mir beschrieb, wie sie damals nächtelang feierten und tanzten, immer wieder die bislang verbotene Hymne »Nkosi Sikelele Afrika« (Gott segne Afrika) sangen und die neue Flagge mit dem Regenbogen schwenkten, kamen ihm die Tränen. »Es war, als finge unser Leben jetzt erst an.Wer den Schritt von der Unfreiheit in die Freiheit nie erlebt hat, der weiß nicht, was es bedeutet, frei zu sein. Nicht mehr unterdrückt, nicht mehr gedemütigt, nicht mehr voller Ängste und Zweifel. Frei. Im wahrsten Sinne des Wortes. Das war wie eine Bekehrung.«

      Wenig später wurde Mandela als erster schwarzer Präsident des »Neuen Südafrika« vereidigt. Und Bongani verließ das ehemalige Homeland sofort, um die ungewohnte Freiheit auszukosten. Nacheinander arbeitete er in sehr verschiedenen Jobs - überall im Land: Er wurde zuerst Aquarienpfleger im frisch eröffneten Waterfront Two Oceans Aquarium in Kapstadt und tauchte dort täglich in den Bassins umher, um die Scheiben von innen zu reinigen. Und wie nicht anders zu erwarten: Er fand in der Anlage schnell einen ungewöhnlich intensiven Kontakt zu den Robben und Seelöwen und träumte schon von einer dauerhaften Anstellung als Pfleger. Doch dann verliebte sich die Freundin seines Vorgesetzten in ihn, wartete mehrfach halbnackt in der Männerumkleide auf ihn und war sehr beleidigt, als Bongani ihrem prallen Po nicht verfiel. Kurz darauf wurde er entlassen.

      Danach führte der Schwarze einige Jahre lang Touristen durch Bloemfontein, installierte goldfarbene Satellitenschüsseln, verkaufte Abonnements des Erotik-Magazins »Loslyf«, spielte einen aufsässigen Sklaven im Goldsucher-Freizeitpark Gold Reef City, pflegte die Gartenanlagen in Sun City, dem Las Vegas Südafrikas, und zog schließlich ganz nach Johannesburg, um dort in einem Heim für Aidswaisen zu arbeiten. Jedoch: Seine Frau Dana wurde 1998 auf offener Straße von einem aggressiven Zulu wegen eines Rings im Wert von sechzig Rand erschossen - und weil die beiden keine Kinder hatten, stand Bongani plötzlich wieder ganz allein da.

      Da beschloss er, noch einmal alles auf eine Karte zu setzen, und fing mit vierzig Jahren an, das Abitur nachzumachen. »Sie haben mir meine Jugend gestohlen. Und ich wollte sie mir zurückholen.Verstehst du, Fabian?« Ich verstand ihn gut.

      »Weißt du, eines habe ich begriffen: Jeder Mensch wird mit einer Aufgabe auf die Welt geschickt. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass Gott mir die Gabe des Elefantenflüsterns geschenkt hat, wenn ich sie nicht einsetzen soll. Darum wollte ich das Abitur nachmachen und Tiermedizin studieren.«

      Ich zog die Augenbrauen hoch. »Wieso wollte?«

      Bongani legte die Hände zusammen. Fast genüsslich. »Weil Shingwezi mich gerufen hat.«

      »Dich auch?«

      »Ja. Und jetzt habe ich endlich die Möglichkeit, meine Gabe einzusetzen. Lass uns gemeinsam diese Herde nach Deutschland führen und dort ein Wunder des 21. Jahrhunderts vollbringen: die Wiedereinbürgerung des Elefanten in Europa.«

      Ich beugte mich vor: »Wie lange brauchst du noch für das Abitur?«

      Der Schwarze zog die Augenbrauen verschmitzt hoch. »Ein Jahr, aber das ist jetzt egal. Ich kann in eurem Land arbeiten. Im Elefantengehege. Wozu brauche ich da eine Ausbildung?« Er schüttelte leicht den Kopf. »Die Träume, die wir nach dem Ende der Apartheid hatten, haben sich nicht erfüllt. Der Kampf zwischen Schwarz und Weiß geht weiter.Tausende sterben in diesem Land jedes Jahr aufgrund der Kriminalität. Und sieh dir unsere Häuser an: Das sind keine Häuser mehr, das sind Burgen, Festungen. Umgeben von hohen Mauern, Stacheldraht und Elektrozäunen. Ich kenne keine Familie, in der nicht schon jemand überfallen, ermordet oder verschleppt wurde. Euer Deutschland ist besser.Viel besser. Und dass Tshwane und ich noch einmal zusammen ein Abenteuer erleben würden, das wusste ich schon, als wir 1970 das Elefantenjunge Epila retteten.«

      »Wie hast du Bongani eigentlich gefunden?«, fragte ich Hannibal. Der guckte seinen Freund an, riss sich ein Haar aus - und beide brachen in Lachen aus. »Du wirst es uns nicht glauben.«

      Jeder wollte die Geschichte zuerst erzählen, dann aber ließ der Schwarze Hannibal glucksend den Vortritt. Der trank mir zu und fing mit leuchtenden Augen an: »Also:Als ich in Südafrika landete, hatte ich weder eine Adresse noch sonst irgendeine Ahnung, wo ich suchen sollte. Eine einheimische Detektei, die ich von Deutschland aus gebeten hatte, Bongani ausfindig zu machen, konnte mir zwar sagen, dass er kurze Zeit in Kapstadt ansässig gewesen war, dann aber hatte sich kein weiterer Hinweis ergeben …«

      Bongani unterbrach ihn: »Die Reiher haben uns gefunden.«

      Mein Ausatmen war so laut, dass ich selbst erschrak. »Die Reiher?«

      Hannibal zuckte mit den Achseln. »Es klingt absurd. Und das ist es auch. Nachdem ich mehrere Tage vergeblich


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