Hannibal Mayer - Der Zug der Elefanten. Fabian Vogt

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Hannibal Mayer - Der Zug der Elefanten - Fabian Vogt


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Metern Entfernung. Gekonnt. Der Wildhüter nickt seinen beiden Begleitern zufrieden zu. Jetzt können sie nur noch warten, bis das Narkotikum wirkt. Das dauert einige Minuten.

      Hoch aufragende Kumuluswolken ziehen vorüber und legen ihre Schatten wie samtene Decken über die Ebene. Die Männer war-ten im Schutz eines Baumes. Sie beobachten das angeschossene Tier aus sicherer Entfernung. Der Wildhüter mit einem alten Armee-Fernglas vor dem Gesicht.

      Der Elefantenbulle wirft immer wieder den Kopf hoch. Irritiert. Und verärgert. Er überlegt, ob er die Eindringlinge angreifen soll oder nicht. Doch seine Bewegungen verlieren schon jetzt erkennbar an Kraft. Unruhig schwenkt er den Rüssel hin und her. Fängt an zu weben, wie das gleichmäßige Schaukeln von einem Bein auf das andere bei Elefanten genannt wird. Ein gigantisches Uhrenpendel, das immer langsamer wird: Die Zeit verrinnt lautlos, doch ihre Geschwindigkeit nimmt ab. Kurz darauf knicken die Vorderbeine des fast vier Meter hohen Bullen ein.

      Jetzt rennt der Wildhüter los. Denn der Elefant muss in der richtigen Position zum Liegen kommen.Wenn er falsch landet, kann es passieren, dass die Eingeweide so sehr auf das Zwerchfell drücken, dass das riesige Tier erstickt. Doch es geht alles gut. Der Elefant legt sich ruhig hin und schließt die Augen.

      Dennoch wartet der Wildhüter weitere fünfzehn Minuten, bevor er sich dem Bullen nähert. Er hat vor nicht allzu langer Zeit erlebt, dass einer seiner Kollegen von einem Elefanten zerquetscht wurde, weil sich ein scheinbar schlafender Dickhäuter noch einmal aufrichtete und den unvorsichtigen Mann gegen einen Felsen drückte. Ein unschöner Tod. Und vor allem überflüssig.

      Als der Schütze sicher ist, dass der Bulle schläft, ruft er mit dem Walkie-Talkie seine an der Straße wartenden Helfer. Die erscheinen kurz darauf mit einem Kranwagen und einem Schwerlasttransporter. Sechs bis sieben Tonnen wiegt der Elefant, schätzt einer der zu warm angezogenen Männer, die schon beim Abschuss mit dabei waren, in holprigem Englisch. Er sagt dann etwas auf Russisch zu seinem Nachbarn, was dieser mit einem rauen Lachen quittiert.

      Dreißig Minuten später ist der Elefant verladen. Und die Männer sind schweißgebadet.

      Sie werden das Tier in einem Camp an die Transportkiste gewöhnen und dann - in einigen Wochen - mit dem Schiff an seinen Bestimmungsort bringen.

      Ein guter Tag.

      Denken sie.

      14. Februar 2004

      Samstags ist der Opel-Zoo in der Nähe von Frankfurt am Main immer überfüllt.Vor allem bei schönem Wetter. Kinderhorden drücken sich an den Glasscheiben die Gesichter platt,Väter schieben, meist lustlos, widerspenstige Buggis über holprige Wege und Mütter rufen mit schrillen Stimmen entnervt nach trotzigen Mädchen oder heulenden Jungen, denen ihr Eis heruntergefallen ist. Eis! Im Februar. Über tierische Verhaltensweisen kann man an solchen Tagen wesentlich mehr vor als hinter den Gittern lernen.

      Ich weiß nicht, warum ich an diesem Samstag eine Karte für den Tierpark gekauft habe. Eigentlich hasse ich Menschenansammlungen. Doch wenn ich es nicht getan hätte, wären Hannibal und ich uns nie begegnet. Und ich hätte all die unglaublichen Erfahrungen in Afrika verpasst. Heute sehe ich in den Ereignissen dieses Tages eine Fügung, damals hätte ich sie eher als Zufall bezeichnet.Andererseits, wenn einem etwas zufällt, muss es ja jemand losgelassen haben. Wie dem auch sei: Das größte Abenteuer meines Lebens begann am Valentinstag 2004 in einem kleinen Zoo im Vordertaunus.

      Ich war, wie ich das gelegentlich tue, zur Entspannung den örtlichen Philosophenweg entlanggelaufen, der zwischen Königstein und Kronberg durch ein malerisches Tal führt - und als öffentlicher Wanderpfad den Zoo durchquert, sodass man, auch ohne zu bezahlen, am Nilpferdbassin, an den Affenhäusern und an einigen anderen Gehegen vorbeikommt.

      Ich fühlte mich in diesem Winter ziemlich miserabel, weil kurz zuvor eine langjährige Beziehung in die Brüche gegangen und ich auch beruflich an einen toten Punkt gekommen war. Ich hatte viele Jahre erfolgreich außergewöhnliche Reportagen für nationale und internationale Magazine geschrieben (am bekanntesten sicher: »Afghanistan - Gute Landmine zum bösen Spiel?«, »Geheime Konten in Kairo - Jeden Monat ein Auszug aus Ägypten?« und »Über Laichen - Das Liebesleben des Dorsches«) und war für einen investigativen Bericht über »Die schwarzen Geschäfte der Öl-Mafia« sogar mit dem World-Press-Preis ausgezeichnet worden. Doch das ewige Herumreisen und das Springen von einem Projekt zum nächsten hatten mich müde und auch ein wenig mürbe gemacht. Ähnlich erging es mir mit meinem zweiten Standbein, der Musik. Ich hatte mich wiederholt dabei ertappt, dass ich beim Komponieren eigene ältere Melodien recycelte. Kurzum: Mir fehlte die Inspiration. Und weil ich ohnehin nicht genau wusste, was ich mit meinem Leben beziehungsweise mit diesem Tag anfangen sollte, kaufte ich mir eben eine Eintrittskarte für den Zoo. Zum Glück.

      Wenig später stand ich mit Dutzenden anderer Menschen am äußeren Zaun des Elefanten-Freigeheges und beobachtete neugierig zwei große, graue Dickhäuter, die pausenlos Karotten in ihre Münder hineinstopften. Mit ihren Rüsseln holten sie das Gemüse aus unzähligen Kinderhänden, die sich ihnen gierig entgegenstreckten.

      »Willst du auch eine?«

      Ein kleines Mädchen mit Zöpfen hielt mir eine dreckige, gebogene Mohrrübe hin. Einen kurzen Moment dachte ich ernsthaft, es wolle sie mir zum Essen anbieten, bis mir klar wurde, dass ich den Elefanten damit füttern sollte. Ich wollte nicht, konnte aber den aufgerissenen Augen der Kleinen nicht widerstehen. Ein wenig unsicher legte ich die Karotte auf meine flache Hand und streckte den Arm aus. Seltsames Gefühl.

      Der lange Rüssel des Elefanten kam, schnupperte an meinem Handgelenk und streifte dabei kurz den Schnappverschluss meiner Uhr, der schon immer leicht aufgegangen war. Erschrocken riss ich die Hand in die Höhe, woraufhin meine teure Armbanduhr in hohem Bogen in das Gehege flog.

      »Mama, der alte Mann bewirft den Elefanten mit seiner Uhr.«

      Ich wusste nicht, worüber ich mich am meisten ärgern sollte: darüber, dass das Mädchen einen Siebenunddreißigjährigen als alten Mann bezeichnete, dass meine Uhr weg war oder dass etwa vier zig Augenpaare mich, den scheinbar ertappten Tierquäler, hasser füllt anstarrten. Ich ging wortlos davon und suchte mir am Weg einen längeren Ast, mit dem ich das wertvolle Geschenk meiner Mutter aus dem Dreck zwischen den Elefantenfüßen fischen konnte.

      »Mama, der Opa will den Elefanten mit einem Stock hauen.«

      Das mag lustig klingen, aber der Gesichtsausdruck des Vaters der Kleinen, der mir den Ast mit einem derartigen Ruck aus der Hand riss, dass ich eine blutige Schramme am Daumen bekam, war es nicht.

      »Wenn Sie noch einmal einem Tier wehtun, prügele ich Sie windelweich. Verstanden? Was Tiere angeht, verstehe ich keinen Spaß.«

      Ich wollte gerade zu einer harschen Erwiderung ansetzen, da zog mich jemand zur Seite. »Aber meine Uhr …«

      »Warten Sie einfach einen Augenblick.Aruba trauert.«

      Ich schaute den leicht fülligen Mann mit dem weichen Gesicht und der tiefen Stimme verständnislos an.War das ein Geheimagent? Codewort »Aruba trauert«.

      »Wovon reden Sie? Wer ist Aruba? Und was wird aus meiner Uhr?«

      Er hielt mir seine Hand hin und sagte freundlich: »Hannibal Mayer. Ich habe gesehen, was passiert ist. Aber so werden Sie Ihre Uhr niemals wiederbekommen. Vor allem nicht, solange diese selbstgerechten Tierschützer Sie beobachten.«

      Ich erwiderte den Händedruck verwirrt. »Vogt. Fabian Vogt. Seien Sie nicht böse, aber sollte ich nicht meine Uhr retten, bevor ein Elefant drauftritt?«

      »Weil Aruba trauert, braucht sie Zeit.«

      »Ich will ja nicht nerven, aber wer ist Aruba?«

      Er deutete wortlos auf das leicht angerostete Schild vor sich am Gatter, auf dem erläutert wurde, dass Aruba die älteste Elefantin


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