Das Archiv des Teufels. Martin Conrath

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Das Archiv des Teufels - Martin Conrath


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das Gesicht, zeigt mit der Gabel auf Robert, als wolle er ihn zum Duell fordern. Robert hält ihm den Ausweis wie einen Schild entgegen und fragt sich, ob Soltau Nazi war. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch.

      Soltau erhebt sich erstaunlich behände für seine Körperfülle, reicht Robert die Hand. »Willkommen, Major.«

      Robert drückt die Hand. Sie ist trocken.

      »Was kann ich für Sie tun?« Er setzt sich, zeigt auf den Stuhl, der vor seinem Schreibtisch steht.

      Robert schüttelt den Kopf. »Danke, aber ich habe es eilig. Ich muss mit Kyrill Dragusch sprechen. Er soll hier untergebracht sein.«

      Soltau wirft einen Blick auf das Gulasch und seufzt.

      »Sie können es ja später wieder aufwärmen«, schlägt Robert vor. »Ich habe mir sagen lassen, dass es dann noch besser schmeckt.«

      Soltau lächelt. »Danke, Major, ich werde Ihren Rat beherzigen.«

      Soltau geht zum Wandtelefon. Es ist ein Feldtelefon, das mit einer Kurbel betrieben wird und nicht mit dem übrigen Netz verbunden ist. Man kann nur innerhalb des Lagers jemanden erreichen.

      Soltau kurbelt, wartet einen Moment, sein Gesicht legt sich in Falten, dann glättet es sich wieder. »Ja, Rudi, Klaus hier. Ich brauche einen Insassen namens Kyrill Dragusch in meinem Büro. Sofort.«

      Dragusch müsste schnell gefunden sein. Die Flüchtlinge sind in Listen erfasst und Baracken zugeordnet, dürfen das Lager nicht verlassen. Werden sie dabei erwischt, fliegen sie raus aus Deutschland, nicht nur aus der amerikanischen Zone.

      Soltau setzt sich wieder, schaut das Gulasch an, dann Robert.

      Der nickt, Soltau schmatzt einmal, dann lässt er sich nieder und füllt sich den Bauch. Robert ist es recht, er hat keinen Grund und keinen Bedarf, mit Soltau Konversation zu betreiben. Gerade als er den letzten halben Kloß vertilgt, klopft es. Ohne auf Antwort zu warten, öffnet jemand die Tür. An Soltaus Reaktion erkennt Robert, dass es sich um Rudi handeln muss. Hinter Rudi betritt ein hagerer Mann den Raum, eingehüllt in einen abgetragenen Anzug, der ihm zwei Nummern zu groß ist. An den Füßen trägt er Arbeitsschuhe aus derbem Leder, die Schnürsenkel sind mehrfach geknotet, an Stellen, die sich durchgescheuert haben. Er ist gründlich rasiert, riecht gewaschen.

      Robert zeigt auf ihn, spricht ihn an. »Kyrill Dragusch?«

      Der Mann nickt.

      »Vielen Dank, Herr Soltau. Aber ich muss mit Herrn Dragusch allein sprechen.« Robert lässt Dragusch nicht aus den Augen.

      Soltau wuchtet seinen Leib aus dem Stuhl und verlässt ohne ein weiteres Wort mit Rudi das Büro. Robert zeigt auf Dragusch und den verwaisten Stuhl. Der Mann zögert.

      »Setzen Sie sich, Herr Dragusch«, sagt Robert auf Russisch. Er mag die Russen nicht, sie sind ihm zu triebhaft und zu unterwürfig, aber er mag ihre Sprache. Dragusch ist Ukrainer. Deren Temperament ist noch überschwänglicher. »Na los, nehmen Sie schon Platz. Soltau wird es nicht erfahren, dass Sie auf seinem Thron saßen.«

      Dragusch zögert einige Sekunden, dann setzt er sich so vorsichtig, als lauere unter dem Stuhl eine Mine, die durch sein Gewicht ausgelöst würde.

      Robert bleibt stehen. So muss Dragusch zu ihm aufblicken. »Sie sind Kyrill Dragusch, ehemaliger Soldat der Wehrmacht?«

      Dragusch nickt vorsichtig.

      »Sie waren dem Bataillon Ostmark zugeteilt?«

      In Draguschs Augen flackert es. Erinnerungen stürzen auf ihn ein, und Angst breitet sich in seinem Körper aus, das kann Robert deutlich sehen. Dragusch hustet, schweigt.

      »Ich weiß, dass Sie in Lemberg waren. Aber Soltau weiß das anscheinend nicht. Er könnte die falschen Schlüsse ziehen und Sie ausweisen, weil er Sie für einen Nazi-Verbrecher hält, der mit gefälschten Papieren ins Land gekommen ist, und nicht für einen politisch Verfolgten.«

      Dragusch spannt seine Muskeln an. Robert muss aufpassen, dass er den Mann nicht zu sehr in die Enge treibt. Er könnte auf die Idee kommen, dass nur noch Flucht ihm helfe, um dem Gefängnis oder der Ausweisung zu entkommen, die für ihn den Tod bedeuten würde. Er wird von den russischen Behörden gesucht. Angeblich wegen Mordes, aber dafür liegen keine Beweise vor. Es gibt aber eine beeidigte und beglaubigte Zeugenaussage, dass Dragusch sich geweigert haben soll, an Verbrechen in Lemberg teilzunehmen, und noch weitere Papiere, die ihn wie einen Engel aussehen lassen. »Wenn Sie mit mir zusammenarbeiten, haben Sie nichts zu befürchten. Wenn Sie mich anlügen, sind Sie erledigt.«

      Dragusch beißt auf seiner Lippe herum. Er denkt nach, wägt die Risiken ab, versucht Robert einzuschätzen, versucht zu ergründen, vor wem er mehr Angst haben muss: vor Robert und dem CIC oder seinen ehemaligen Vorgesetzten. Dragusch senkt den Kopf, reibt sich die Schläfen. »Was wollen Sie wissen?«

      Sein Russisch hat einen leichten Akzent, den Robert aus dem Süden des Landes kennt, aus Odessa, das am Schwarzen Meer liegt.

      »Ich kann mir vorstellen, dass Sie das lieber vergessen möchten.«

      Dragusch entspannt sich, beginnt stockend. »Ich habe nur für mein Land gekämpft. Für die Ukraine. Ich habe nichts gegen Juden.«

      »Dann wären Sie ja glatt eine Ausnahme.«

      Dragusch schluckt.

      »Hören Sie. Wir müssen eine Absprache treffen. Sie versprechen mir, die Wahrheit zu sagen, und ich verspreche Ihnen, dass Sie straffrei ausgehen werden, dass niemand etwas von dem Teil Ihrer Vergangenheit erfährt, den ich kenne. Ich weiß, dass Sie die Juden hassen. Es gibt Geheimakten, aus denen sich das ergibt. Ich weiß, dass Sie im Verdacht stehen, am Massaker in Lemberg beteiligt gewesen zu sein, weil Sie mit dem Bataillon Ostmark unter Sigfried Heiderer als Erste eingerückt sind, nachdem die Russen geflohen waren und die Stadt geräumt hatten. Der Auftrag war klar: ethnische Säuberung. Die Juden sowieso, und dann noch jeder, der im Verdacht stand, mit den russischen Besatzern kollaboriert zu haben, vorzugsweise Polen. Dann schützt Sie auch Ihr Zeuge nicht mehr, der Sie anscheinend für einen Heiligen hält.«

      Wie immer gehen Robert diese Lügen leicht über die Lippen. Menschen einzuschüchtern, ihnen Angst einzujagen, ohne sie physisch zu verletzen, ist die hohe Kunst des Verhörs. Er weiß einiges über Dragusch, aber längst nicht alles, was er gerade behauptet hat.

      »Ich habe die Juden gehasst, sie hatten alles, wir nichts«, spuckt er aus. Dann senkt er die Stimme. »Aber das ist vorbei. Ich habe es eingesehen. Es war falsch. Und ich habe nicht mitgemacht.«

      Dragusch wird sich nicht ans Messer liefern, er traut Robert nicht. Verständlich. Warum sollte er? »Was war falsch?«

      »Was meine Kameraden gemacht haben. Juden und Polen metzeln. Aber ich und eine Gruppe von knapp vierzig Mann sind nicht ausgerückt zu den Erschießungen der Juden. Das müsste doch auch in den Akten stehen, dass es welche von uns gab, die nicht mitgemacht haben. Wir wussten, dass wir uns weigern durften. Niemand hat uns Vorwürfe gemacht, weil die SS das doch mit Vergnügen gemacht hat, wenn wir nicht wollten. Das waren echt harte Hunde, die von der SS.« Dragusch schlägt das Kreuz. »Heilige Mutter Gottes, steh mir bei«, murmelt er. »Wissen Sie, die haben auch Kinder und Schwangere umgebracht. Wir wussten das. Ich hätte das nicht machen können.«

      In der Tat hat es einen schriftlichen Befehl an alle Kommandanten gegeben, dass sich Wehrmachtsangehörige, die sich an Pogromen beteiligen, unsoldatisch verhalten und die Täter vor ein Kriegsgericht gestellt werden sollen. Doch passiert ist das nicht. Der Befehl diente nur dazu, die zu schützen, die sich dem Gemetzel verweigerten. »Wer hat den Befehl zu den Erschießungen der Juden gegeben?«

      Dragusch hebt erstaunt die Augenbrauen. »Ich weiß es nicht. Angeblich hat niemand einen Befehl gegeben.«

      »Kein Soldat rennt einfach los und erschießt Leute. Das sollten Sie wissen.«

      »Die haben gesagt, die Juden hätten Kinder mit dem Messer abgeschlachtet und den Frauen die Gebärmutter herausgeschnitten. Wir haben das nicht geglaubt und wurden abkommandiert, die Ostseite der Zitadelle


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