Das Archiv des Teufels. Martin Conrath
Читать онлайн книгу.ist, bin ich der Weihnachtsmann.«
»Erwischt, Rob. Die Kommis versuchen immer wieder, meine Leute mit dem Stoff zu ködern. Aber wir sind unbestechlich, nicht wahr?«
»Wie viele erliegen der Versuchung?«
»Natürlich keiner.« Will lacht trocken. »Komm mal mit.«
Will stellt sein Glas ab, Robert tut es ihm gleich. Sein Freund führt ihn zum Hinterausgang des Casinos, sie treten in die Nachtluft, gehen ein Stück weiter, bis sie etwa zwanzig Meter vom Eingang entfernt sind. Hier ist es unmöglich, sie abzuhören. Zweimal zieht Will an seiner Zigarre, bläst den Qualm in die Luft, schaut ihm hinterher. »Wie kann ich dir helfen?«
Robert betrachtet die Zigarre. Verdammt, das Leben könnte so gut sein. »Morgan hat meine Heimfahrt gekippt. Eine Mission.«
»Ja, ich habe es gehört. Verdammte Scheiße.« Will lässt seine Zigarrenspitze leuchten. Saugt, als wäre es seine letzte. »Er wollte dich aus dem Fokus haben, dich unsichtbar machen? Hat nicht ganz funktioniert. War aber klar, oder?«
Robert nickt. »Keine Ahnung, was der Zirkus soll.«
»Also, worum geht’s?
Robert wird Will nichts von seinem Bruder erzählen, das ist seine Angelegenheit, er möchte Will nicht damit belasten. »Na ja, die Sache ist schon spannend. Ich soll einen zukünftigen Minister cleanen.«
Will legt ihm einen Arm um die Schulter. »Es geht um Heiderer, nicht wahr?« Er wartet keine Antwort ab. Robert weiß, dass er über die politischen Verhältnisse in Deutschland bestens informiert ist. »Wichtige Sache. Heiderer muss lupenrein sauber sein, sonst wird Stalin durchdrehen. In Korea geht es für ihn weder vorwärts noch rückwärts. Und dann noch ein Nazi als Minister? Globke war schon ein Fehler, und jetzt Heiderer. Erinnerst du dich an Globke?«
Eine rhetorische Frage. Robert hat Globke nicht vergessen. Er ist ein mieser Nazi-Bastard, jetzt ist er Adenauers engster Berater. Entscheidet über Personalfragen. Und er ist ein Schützling des CIC und eines Dutzends anderer Geheimdienste. An den ist nicht ranzukommen, Globke wird von ganz oben gedeckt. Den hätte Robert niemals gecleant, eher hätte er das CIC unehrenhaft verlassen.
»Heiderer könnten wir verhindern.«
Will wackelt mit dem Kopf. »Das könnte deinen Kopf kosten.«
Das ist Robert klar. Da er seinem Freund nichts von seinem Bruder erzählen will, kann er ihm auch nicht sagen, dass er bereits beschlossen hat zu verhindern, dass Heiderer Minister wird. »Wenn’s schiefgeht, könnte der Kalte Krieg heiß werden, nicht wahr?«, stellt Robert fest.
»Ja, Stalin und die Kommis warten nur auf einen Anlass. Jetzt, wo sie die Wasserstoffbombe haben, werden sie übermütig. Ich glaube, Stalin rennt den ganzen Tag mit einem Harten rum und wartet nur darauf, uns endlich in den Arsch treten zu können.« Will lacht dröhnend.
»Ich denke, Stalin hat Angst vor uns.«
»Das ist auch gut so, so muss es bleiben. Wir haben Nachrichten aus Moskau. Stalin glaubt, wir wollen ihm die DDR, Polen und Tschechien wegnehmen. Er glaubt, wir wollen ein Deutschland in den Grenzen von 1939. Er glaubt, dass wir in Korea schon mal üben.«
»Das pfeifen die Spatzen von den Dächern. Und so ganz grundlos sind Stalins Bedenken nicht. Die Lage kann schnell kippen, es gibt viele braune Seilschaften, bis in die höchsten Regierungskreise.«
»Ja, mir sind das auch zu viele Nazis, aber es geht nun mal nicht anders. Stalin befürchtet, dass Deutschland mit uns gemeinsame Sache machen wird, dass wir die Nazis behalten, um den Hass zu schüren gegen Russland. Um zu vollenden, was Hitler nicht fertiggebracht hat.«
»Wollen wir das?«
Will zieht an seiner Zigarre, zeigt auf Robert. »Der Russe klopft an unsere Tür. Das Land ist riesig, die Ressourcen so gut wie unendlich. Menschen, Bodenschätze, Energie. In kürzester Zeit wird die Rote Armee wieder mächtig genug sein, es mit uns aufzunehmen. Zumal wir einen langen Weg haben, um aufs Schlachtfeld zu kommen. Wir können uns einen solchen Feind nicht leisten. Aber die Doktrin ist klar: kein Krieg in Europa. Nur wenn wir angegriffen werden.«
Er pafft den Rauch in Roberts Richtung. Den unverwechselbaren Duft kann man über viele Meter hinweg wahrnehmen.
»Sie wissen, dass wir das wissen. Also fürchten sie, dass wir von Deutschland aus Moskau und halb Russland mit Atomwaffen zerstören, wenn wir uns angegriffen fühlen.«
»So sieht es aus, mein Freund. Heiderer könnte das Zünglein an der Waage sein, die hin zum Krieg ausschlägt. Noch ein Nazi und Stalin drückt den roten Knopf. Wenn Adenauer Heiderer zum Minister macht, muss er sauber sein. Blütenweiß. Du hast einen wichtigen Auftrag.«
»Ich allein soll die Verantwortung für den dritten Weltkrieg tragen? Das kann mir keiner erzählen.«
Will schaut Robert an, zieht die Augenbrauen hoch.
Robert begreift. »Ich bin tatsächlich der Einzige. Ich verstehe das nicht. Wenn Heiderer so wichtig ist, warum dann nur ein Mann?
»Das entzieht sich meiner Kenntnis, Rob. Siehst du, ich weiß auch nicht alles. Ich weiß nur eins: Du musst mehr als vorsichtig sein. Ich werde dir helfen, wo ich kann, aber das wird nicht viel sein. Du kannst mich immer über den Notsender erreichen, das weißt du?«
Robert atmet tief durch. »Ja, und das ist gut so. Immerhin eine kleine Rückversicherung bei diesem Himmelfahrtskommando.«
»Du bist der Beste.«
Robert winkt ab. »Das wollte Morgan mir auch schon weismachen.«
»Du wirst das schaffen, wie immer! Nutze unsere Auslandsstützpunkte, nutze dein Sprachgenie und deine Fähigkeit, dich vollkommen in jemand anderen zu verwandeln. Und jetzt genug davon!« Will zerrt ihn zurück ins Casino, sie leeren in schneller Folge vier Gläser Bowle. Robert fühlt sich beschwingt, die Bowle tut ihre Wirkung, ebenso die Zigarre, die stickige Luft und die schnelle Musik.
Will wirft die Arme in die Luft. »Wir sind die Sieger.« Er zeigt auf die Tanzfläche.
Roberts Leichtigkeit kehrt zurück. Die Band macht gerade eine Pause. Er erblickt eine junge Frau. Sie schaut ihm in die Augen. Er winkt ihr zu. Sie kommt herüber, zieht Robert auf die Tanzfläche, Will lacht, gibt ihm einen Schubs. Die Frau flüstert Robert ihren Namen ins Ohr. »Ich bin Kate. Du bist echt süß. Und ich will heute Nacht nicht allein sein.«
Robert überläuft ein wohliger Schauer. Die Band kommt auf die Bühne, der Sänger zählt bis vier. Der Drummer spielt einen Wirbel über alle Trommeln, dann setzt der Bass ein, Robert frohlockt: »Twist!« Dafür muss man kein begnadeter Tänzer sein. Man muss nur die Hüfte schwingen, die Arme hin und her werfen, ebenso die Beine, immer gegeneinander. Man geht in die Knie, twistet weiter, bis die Muskeln brennen. Robert vergräbt seinen Blick in Kates blaue Augen und vergisst für eine Nacht, dass die Welt ein Jammertal ist.
Deutsche Demokratische Republik, Berlin, 27.3.1952
Anna klopft an die Holztür, die von innen dick gepolstert ist und zum Sekretariat von Alexander Jukowski führt. Zwei Tage sind vergangen, seit sie Auerbach gefasst hat. Zwei Tage, in denen sie im Versicherungsbüro Akten gewälzt hat.
Jukowski ist Generalmajor, gehört dem MGB an, dem mächtigen russischen Geheimdienst, und ist faktisch der Chef der Staatssicherheit der DDR. Jukowski weiß alles, sieht alles, hört alles. Fast alles. Diese verdammte kleine Pistole ist ihm entgangen. Er hat Tausende Spitzel, im Westen wie im Osten.
Christel Neureuther, Jukowskis erste Sekretärin, ruft »Herein«. Ihre Stimme wäre ein gutes Folterinstrument. Sie ist schrill und durchdringt mühelos die gepolsterte Tür. Ansonsten ist sie eine angenehme Person, sie duzen sich, haben einen gemeinsamen Feind: Nazis.
Anna drückt die Tür auf. Sie gibt kein Geräusch von sich, die Angeln sind bestens geölt. Christel nickt nur in Richtung der Tür, die zu Jukowskis Reich führt. Auch diese Tür ist gepolstert, aber viel dicker als die des Sekretariats. Durch diese