Tübinger Fieberwahn. Maria Stich

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Tübinger Fieberwahn - Maria Stich


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zu bewerkstelligen war der Besuch der Ausstellung »Faszination Schwert« in Stuttgart. Sie klappte die Broschüre auseinander, die sie in der Bücherei mitgenommen hatte. Im Rahmen der Veranstaltung gab es auch eine Sonderausstellung zum Thema »Römische Schmuckstücke«.

      »Zum letzten Mittel, wenn kein anderes mehr verfangen will, ist ihm das Schwert gegeben«, deklamierte sie laut Wilhelm Tells Worte, die auf der Rückseite standen. Das Alte Schloss in Stuttgart war gut mit der Bahn zu erreichen. Vielleicht würde sie mal an einem Sonntag nach Stuttgart fahren. Die Ausstellung ging noch bis zum 28. Mai. Sie pinnte den Prospekt an die Korktafel neben dem Spiegel.

      Automatisch warf sie einen Blick in den Garderobenspiegel und fuhr sich durch die kinnlangen kastanienbraunen Haare. Man sah ihr das halbe Jahrhundert nicht an. In einem Monat würde sie ihren 50. Geburtstag feiern.

      Sie starrte auf den schmalen grauen Haaransatz. Das Nachfärben kostete sie ein Vermögen. Sie würde einfach in den nächsten Tagen ein Tuch über dem Ansatz tragen und so den Friseurbesuch noch etwas hinauszögern.

      Saskia schaltete die Espressomaschine ein. Dann ging sie ins Schlafzimmer und tauschte den Morgenmantel gegen den karierten Jumpsuit, den sie in Edinburgh bei H&M gekauft hatte. Sie liebte das bequeme Kleidungsstück. Sie fühlte sich darin jung und lebendig. Was waren schon 49 Jährchen? Sie hatte noch so viele Träume.

      Sie angelte sich eine Banane aus der Obstschale auf dem Küchentisch. Die Kaffeemaschine zischte gurgelnd, als der doppelte Espresso in die geblümte Tasse lief. Heiß und mit drei Stück Zucker, so liebte sie ihren Muntermacher. Sie schälte die Banane, warf die Schale in den Bioeimer, der unter der Spüle stand. Auch hier roch es irgendwie seltsam. Sie sog prüfend die Luft ein. In dem Eimer lag neben der Bananenschale nur ein Apfelbutzen. Der konnte aber den Duft nicht verströmen.

      An der Küchenzeile im Landhausstil fehlten noch die Türen und der Dunstabzug. »Küchen Block anrufen!«, stand mit mehreren Ausrufezeichen auf dem roten Post It an der Pinnwand im Flur. Sie sah auf die Uhr. 7.55 Uhr, noch zu früh für einen Anruf!

      Saskia zog den weißen Stuhl heran, setzte sich an den Küchentisch und fuhr den Laptop hoch.

      Heute sollte sie noch den Klappentext und ein letztes Kapitel ihres neuen Buches »Feminae – Der Schmuck der Römerin« schaffen. Es ging nur zäh voran. Besonders die Recherchen kosteten sie viel Zeit. Das Buch musste bis zur Buchmesse in Frankfurt 2021 fertig sein. Die Lektorin saß ihr im Nacken. Saskia verspeiste den Rest der Banane, stand auf und suchte nach einer Serviette.

      Da sie nicht fündig wurde, ließ sie Wasser über die klebrigen Finger laufen und trocknete sich am Geschirrtuch mit dem Hahnmotiv ab, einem Mitbringsel aus dem Elsass. Gedankenverloren wanderte sie durch die Wohnung, drehte eine Runde durchs Wohnzimmer und blieb vor dem Regal mit dem Schmuckbäumchen stehen.

      Nach genauer Abwägung wählte sie einen silbernen Anhänger in Distelform mit einem Stein aus grünem schottischem Marmor aus, der hervorragend zu ihren braunen Augen passte. Sie legte die Kette um, ging zum Küchentisch zurück und setzte sich. Sie schloss die Hand um den Stein. Er würde sie inspirieren.

      Normalerweise schrieb sie in der Küche am effektivsten. Sie starrte auf die Tastatur. Dann stand sie wieder auf und öffnete die Tür zum Balkon einen Spaltbreit. Kühle Luft strömte herein. Heute konnte sie sich einfach nicht auf ihre Arbeit konzentrieren.

      Lag das an den zahlreichen Rechnungen, die seit dem Einzug in die neue Wohnung beglichen werden mussten? Oder hing es mit dem Mann in der Penthouse-Wohnung zusammen? Saskia wurde es plötzlich heiß und kalt. Sie drehte sich um und drückte zum zweiten Mal auf den Knopf an der Espressomaschine. Die rote Anzeige blinkte, Wasser fehlte.

      Sie beschloss, dem Tag durch eine Putzaktion einen positiven Dreh zu geben. Vielleicht fand sie dann einen Einstieg in ihr Buch.

      Nach 20 Minuten waren die Böden gewischt. Es roch nach zitroniger Sauberkeit, unterfüttert von einem modrigen Duft. Vielleicht kochten ihre Hausbewohner etwas Exotisches? Saskia öffnete die Wohnungstür und schnupperte ins Treppenhaus.

      Sie hörte, wie Emily im Erdgeschoss aus der Wohnung kam. Helle Kinderstimmen sangen und plapperten durcheinander. Dann fiel die Haustür ins Schloss.

      Die Kostkas im 3. Stock konnten es nicht sein, die waren bestimmt schon in ihrem Gartenbaubetrieb. Da wurde erst abends gekocht.

      Saskia wollte die Tür schon wieder schließen, als ihr ein Päckchen auf dem Boden auffiel. Es stand halb auf dem Fußabstreifer, wie unabsichtlich hingeworfen. Warum hatte der Paketdienst nicht geklingelt? Hatte Leo Druckerpatronen oder Computerzubehör bestellt?

      Neugierig zog sie den Karton mit dem Fuß zu sich. Er war an der Seite leicht aufgerissen. Sie schob ihn mit dem linken Fuß in ihre Wohnung und ließ die Tür leise ins Schloss fallen.

      ›Ambrosius Ackermann, Am Alten Güterbahnhof 17, 72072 Tübingen‹, stand in fetten Druckbuchstaben auf dem Adressaufkleber. Darunter klebte der gelbe Warnhinweis: ›Zerbrechlich‹. Die chinesischen Schriftzeichen darunter wiesen auf eine exotische Herkunft hin.

      Saskias Herz machte einen kleinen Hüpfer. Das Schicksal meinte es heute doch noch gut mit ihr. Schon seit Tagen versuchte sie, ihren neuen Nachbarn anzusprechen. Sie hatte ihn zum ersten Mal gesehen, als er einen dicken Umschlag aus seinem Briefkasten nahm.

      ›Ambrosius Ackermann‹, stand in Goldbuchstaben auf dem Namensschild. Er hatte sich umgewandt und ihr kurz zugelächelt. Da war es um sie geschehen. So wie es bei den Pilcherfilmen immer war. Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen, zumindest bei ihr. Seitdem loderte ihr Herz in heißer Liebe für ihn.

      Saskia fühlte eine Welle der Sympathie in sich aufsteigen. Sie umfasste den grünen Marmorstein ihres Glücksbringers.

      Dieser Ambrosius war genau ihr Typ, eine Mischung aus Marlon Brando und James Bond, kräftig und männlich. Gestern war ihr Traummann vor ihr in den Fahrstuhl geschlüpft. Nur den Duft eines herben Parfums hatte er hinterlassen.

      Sie hatte sich anschließend im Drogeriemarkt durch die Männerdüfte geschnüffelt und in Duftfantasien geschwelgt. Es war »Versace Eros«, hatte sie herausgefunden.

      »Danke, liebe Post!«, rief sie strahlend. Jetzt hatte sie endlich einen Anlass, an der Tür von Ambrosius zu klingeln. Sie hob das schwere Päckchen auf, drückte es an die Brust und tänzelte damit durch die Wohnung. Soweit man mit Fellhausschuhen in Form eines Schweinchens tänzeln konnte.

      Sie würde jetzt duschen, die neue schwarze Spitzenunterwäsche anziehen und … Ihre Fantasie ging mit ihr durch.

      Sie stutzte. Erst jetzt bemerkte sie es. Der Liebestaumel hatte anscheinend ihre Sinne vernebelt. Das Päckchen war es, von dem dieser unangenehme Geruch ausging. Das Ding verströmte einen geradezu bestialischen Gestank. Saskia hielt die Luft an. Sie rannte angewidert zur Balkontür und beförderte das stinkende Paket hinaus. Dann schloss sie die Tür und fächelte sich mit dem Geschirrtuch Luft zu.

      In diesem Augenblick klingelte es Sturm an ihrer Wohnungstür. Wer war das? Sie erwartete niemanden! Außerdem würgte sie an dem widerlichen Geruch, der ihre Wohnung verpestete.

      »Was!«, schrie Saskia und riss gleichzeitig die Tür auf. Sie zuckte zurück. Vor ihr stand Ambrosius Ackermann in voller Größe. Er trug eine rosa geblümte Schürze über einem schwarzen Jogginganzug. Seine Füße steckten in goldenen Crocs.

      Er funkelte sie aus geröteten Augen an. Seine sonst so sorgfältig frisierten dunklen Haare standen in allen Richtungen vom Kopf ab. Er fuchtelte mit einem riesigen Küchenmesser vor ihrer Nase herum. Saskia trat einen Schritt zurück.

      »Wo ist sie? Ich hatte sie nur kurz hier im Flur abgestellt!«, stieß er mit hochrotem Gesicht hervor.

      Dann schnupperte er, schob Saskia grob zur Seite und steuerte auf die Küche zu. Er schnüffelte lautstark und blickte suchend um sich. Dann entdeckte er das Päckchen auf dem Balkon.

      »Gott sei Dank! Nicht in den Müll geworfen! Ohne meine Durianfrucht kann ich das ›Perfekte Dinner‹ nicht gewinnen!«, schnaubte er.

      Ambrosius


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