Tübinger Fieberwahn. Maria Stich

Читать онлайн книгу.

Tübinger Fieberwahn - Maria Stich


Скачать книгу
mitten in einer Baustelle betreibt, übersteigt meine Vorstellungskraft.«

      »Dann wollen wir die Teestunde mal hinterfragen«, konstatierte Wilde. Er stand auf, lief auf die Gestalt zu und tippte sie vorsichtig an der Schulter an. Die Frau fuhr erschrocken herum. Wilde blickte in ein blasses Gesicht, aus dem ihn dunkle Augen überrascht anstarrten. Er zückte seinen Polizeiausweis.

      »Bitte nicht erschrecken! Hauptkommissar Wotan Wilde, Kriminalpolizei Tübingen. Das sind meine Mitarbeiter Hauptkommissarin Bernadette von Hohenstein und Hauptkommissar Wolfgang Schickenrieder.« Er deutete auf seine Mitarbeiter auf der Bierbank.

      »Und mit wem haben wir das Vergnügen zu dieser frühen Stunde?«, fragte er die Fremde.

      »Ich bin Silja Gundel und mache hier meine Morgenmeditation. Heute habe ich das Carsharing Auto, darum bin ich auf die Burg gefahren. Ein besonders intensiver Kraftort«, antwortete die Frau mit brüchiger Stimme und erstaunlich unaufgeregt. Dabei rang sie nach Atem, als wenn sie gerade erst den Burgberg bestiegen hätte.

      »Was ist denn passiert?« Sie bückte sich, schraubte ruhig die Thermoskanne auf, goss eine dampfende Flüssigkeit in den Becher und nippte daran.

      »Ein Unfall mit Todesfolge, unten im Tobel. Haben Sie etwas Auffälliges bemerkt?«, fragte Wotan.

      »Ich habe nichts gesehen! Ich bin gerade erst hier eingetroffen!«, meinte Silja Gundel und nahm einen weiteren Schluck.

      »Kommen Sie doch heute Nachmittag zu uns ins Kommissariat und wir machen ein Protokoll.« Wotan überreichte ihr eine Visitenkarte, die er aus seiner Brieftasche gefischt hatte.

      »Kriminalkommissariat Tübingen, Konrad-Adenauer-Straße 30«, las sie laut vor, »da kann ich mit dem Bus hinfahren.«

      Wilde warf Bernadette einen auffordernden Blick zu. »Meine Kollegin wird Ihre Daten aufnehmen. Dann schönen Tag noch! Wo geht’s hier zum Parkplatz?«

      Silja Gundel zeigte auf einen kleinen Torbogen: »Da durch und dann die steile Auffahrt immer bergab. Kann man nicht verfehlen.«

      Die beiden Männer liefen los und standen schon an ihren Autos, als Bernadette angerannt kam. Sie warf Wotan den Schlüssel zu.

      »Damit du dich nicht wieder über meinen sportlichen Fahrstil beschwerst«, erklärte sie aufgekratzt.

      »Danke, Bernie!«, grinste Wotan.

      »Lagebesprechung in meinem Büro«, ergänzte er, an Schickenrieder gewandt, und stieg ein. Bernadette machte es sich auf dem Beifahrersitz bequem.

      Silja Gundel stand noch wie angewurzelt da, als sie die Motoren der Kommissare anspringen hörte und die Motorgeräusche dann leiser wurden. Wie in Trance steckte sie Becher, Thermoskanne und Handy in den Leinenrucksack, der am Boden lag. Ihr Atem ging pfeifend, als sie den kleinen Pfad in den Tobel hinabschritt.

      Du musst mit deinen Kräften haushalten, mahnte sie sich innerlich. Mit ihrer angeschlagenen Lunge war nicht zu spaßen und sie hatte ihr Spray zu Hause im Bad vergessen. Der Tatort war mit einem rotweißen Band abgesperrt. Sie musste sich beeilen, bevor der Körper abtransportiert wurde. Sie wollte einen letzten Blick auf ihn werfen.

      »Halt! Am Tatort kein Durchgang!« Ein Polizist in Uniform versperrte ihr den Weg. Silja starrte ihn wortlos an. Momentan konnte sie nichts tun. Sie hatte ja das Foto aus der Nacht, das musste erst mal genügen. Sie drehte sich um und lief den Pfad in Richtung Parkplatz bergauf. Sie keuchte vor Anstrengung und rang nach Luft, als sie endlich vor dem weißen Fiat mit dem Logo der Carsharingfirma stand.

      Sie wartete eine kleine Weile, bis sie wieder zu Atem kam. Dann stellte sie sich breitbeinig hin und breitete die Arme aus. Ihr Blick ging in Richtung der aufgehenden Sonne. Sie warf den Kopf zurück und stieß ein lautes, stakkatoartiges Lachen aus. Dabei liefen Tränen über ihre Wangen.

      »Sehen toll aus, die Osterglocken in der Rabatte«, bemerkte Bernadette, während sie das alte Holzfenster im Büro öffnete, um Frischluft hereinzulassen und einen Blick auf den Parkplatz vor dem Kommissariat mit seinen riesigen alten Kastanien zu werfen.

      »Die neuen Möbel riechen so …, so neu!«, teilte sie mit.

      Es roch wirklich etwas penetrant nach den nagelneuen Möbeln, die sie erst letzte Woche bekommen hatten. Die Industrieleuchten, die den Raum erhellten, hatten das falsche Licht für die farbenfrohe Einrichtung, sie sollten aber auch noch ausgetauscht werden.

      Die drei Schreibtische und die Aktenschränke waren in Dunkelgrau gehalten mit hellgrauen Kanten und roten Schubladen. Die ergonomischen Bürostühle waren mit rotem Kunstleder bespannt. Nur der hellgraue, abgetretene Boden war nicht ausgetauscht worden. Er passte nicht so recht zu dem neuen Design.

      Außerdem hatte man ihnen ein paar Grünpflanzen in Hydrokultur spendiert, die von der Gärtnerei »Rudenauer« geliefert worden waren und auch von deren Mitarbeitern gepflegt werden sollten. Sonst hätten sie wohl nicht lange überlebt.

      Bernadettes Kollegen Robert Altmann und Wotan Wilde saßen schon am Besprechungstisch.

      Alle starrten auf die »Wand der Schande«, wie sie die magnetische Glastafel nannten, die auf Stelzen im Raum stand. Bernadette behauptete immer, dass das nicht mit rechten Dingen zugehen könnte. Glas konnte nicht magnetisch sein. Trotzdem pinnte sie die Bilder und Dokumente mit den Magneten, die auf der Seite der Tafel gebunkert waren, an das Board.

      Momentan hingen das vergrößerte Foto aus dem Ausweis des Toten und Bilder vom Tatort an der Wand.

      Jetzt öffnete sich die Tür und Wolfgang kam herein.

      »Macht das Fenster zu, da kommen alle Pollen rein!«, rief er panisch. Seufzend erhob sich Bernadette und schloss das Fenster. Sie kannten alle Wolfgangs Pollenallergie, die ihn besonders im Frühling plagte, und taten alles, um seine Leiden zu lindern.

      Erleichtert verkündete der große Rothaarige: »Einen schönen guten Morgen, liebe Kinder. Papa hat euch Frühstück mitgebracht. Vier Teile zum Preis von drei.«

      Er trug einen Becherhalter mit vier Pappbechern und warf eine Tüte mit dem Logo der Bäckerei Padeffke auf den Tisch. »Dreimal Kaffee für unser Spitzenteam und einmal Tee für den Herrn Altmann. Dazu Butterbrezeln und ein Croissant für Eure Durchlaucht, die Prinzessin.« Er verbeugte sich leicht in Richtung Bernadette.

      »Du immer mit deinen Sonderangeboten. Ist ja schon krankhaft!«, murrte Robert.

      Wolfgang ließ sich durch diese Bemerkung nicht seine gute Laune verderben. Na und, er war ein Schnäppchenjäger. Die Discounter machten es einem doch einfach mit ihren Preisschlachten. Und so üppig war sein Gehalt ja auch wieder nicht. Heute Abend würde er noch bei Aldi vorbeifahren und die günstigen Duftkerzen für seine Freundin Claudia besorgen.

      Er sah Bernadette beifallheischend an. Die blickte kurz auf, verdrehte ihre Augen und starrte dann wieder auf die Tafel.

      »In Zukunft gibt es bei Padeffke nur noch heiße Getränke im Mehrwegbecher, soll ich ausrichten! Aber hoffentlich bekommen wir bald unsere neue Kaffeemaschine, dann hat sich das sowieso erledigt!«, laberte Wolfgang Schickenrieder ungerührt weiter. »Und dir, lieber Wotan, hab ich einen Flyer für die Schwerterausstellung im Alten Schloss in Stuttgart mitgebracht.«

      Er legte Wotan die dunkelrote Broschüre neben sein Handy. Der warf einen interessierten Blick darauf. »Faszination Schwert«, las er laut und schob die Broschüre neben seinen aufgeklappten Laptop.

      »Ich habe schon eine neue Maschine beantragt, aber ihr wisst doch, dass unser Controller da extrem pingelig ist«, bemerkte Wotan.

      Die alte Jura-Maschine gab nur noch gurgelnde Geräusche von sich, ohne das ersehnte braune Getränk auszustoßen. Außerdem bildete sich regelmäßig eine Wasserlache unter dem Gerät, wenn man auf den Ausgabeknopf drückte. Und den Kaffee aus dem Automaten im Eingangsbereich des Kommissariats konnte man beim besten Willen nicht trinken.

      Wolfgang verteilte die Kaffeebecher auf dem Besprechungstisch und riss


Скачать книгу